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Als würde die Erde brennen

Seit Wochen sind Nordindien und Pakistan von einer Rekordhitzewelle betroffen. Was bedeutet das für eine linke Politik?

Von Elias König

Der Lehrer Baidnath Rajak bringt seinen Schüler*innen bei, wie sich bei der Hitze am besten verhalten können. Foto: Screenshot/Twittervideo

Zwei gefüllte Wasserflaschen hat sich Baidnath Rajak demonstrativ um den Hals gebunden, als er sich vor seine Schulklasse stellt. Mit lauter Stimme beginnt der Lehrer aus dem nordindischen Bundesstaat Bihar zu singen: »Heiße Winde haben begonnen zu wehen, es fühlt sich an, als würde auch die Erde brennen. Kommt nie mit leerem Magen in die Schule, esst genügend Gurken und Muskatnüsse!« Zehntausende Menschen haben Rajaks Video inzwischen online verbreitet. »Eine gute Art, die Kinder zu sensibilisieren und sie vor Hitzewellen zu schützen«, kommentiert ein Twitter-User.

Die glühende Hitze, vor der Rajak seine Schüler*innen warnt, ist seit Wochen in ganz Nordindien und Pakistan zu spüren. Die Behörden sprechen vom heißesten Frühling seit Anbeginn der Aufzeichnungen vor 122 Jahren. Mit jedem Sonnenaufgang setzt eine unerträgliche Hitze ein, selbst nachts sinken die Temperaturen häufig nicht unter 30 Grad Celsius. Dabei bleibt der Zugang zu kühlen Räumen oder kaltem Wasser für die meisten ein unbezahlbarer Luxus. Hinzu kommen zahlreiche Stromausfälle und ein Gesundheitssystem, das aufgrund der Covid-19-Pandemie ohnehin überlastet ist. 

In vielen betroffenen Gegenden herrscht zudem seit Jahren ein akuter Wassermangel. Das betrifft insbesondere landwirtschaftlich geprägte Regionen. Im Norden des Bundesstaates Gujarat etwa drohen die Bewohner*innen von über dreißig Dörfern nun unter dem Motto »No Water, no votes« damit, die anstehenden Wahlen zu boykottieren, wenn die Regierung sich nicht endlich ernsthaft mit der dortigen Wasserkrise auseinandersetzt. Aber auch in den Großstädten wird die Wasserbeschaffung zunehmend zum Problem. Die ebenfalls dürregeplagte Hauptstadtregion Delhi musste bereits bei der benachbarten Provinzregierung in Haryana um Hilfe bitten. Andernorts wiederum führt die Hitze zu ganz anderen Problemen. In den von Pakistan verwalteten Bergregionen etwa schmelzen die Gletscher in Rekordgeschwindigkeit ab und verwandeln selbst gemächliche Bergflüsse in reißende Ströme. Erst vor Kurzem brach die in der nördlichen Region Gilgit-Baltistan gelegene historisch bedeutsame Hassanabad-Brücke angesichts der ungewohnten Wassermassen einfach in sich zusammen.

Die schlimmste Phase der Hitzewelle könnte jedoch erst noch bevorstehen. Da die heißesten Temperaturen in der Regel erst im Mai und Juni eintreten, befürchten Wissenschaftler*innen eine weitere Zuspitzung der Situation.

Fossiler Faschismus und Schuldenkrise

In beiden betroffenen Ländern trifft die Hitzewelle schon jetzt auf eine ohnehin düstere politische Gemengelage. Im Falle Indiens dominiert die stramm hindu-nationalistische BJP-Partei das politische Geschehen. Ihren anhaltenden politischen Erfolg hat die Partei nicht zuletzt auch einer erfolgreichen Zweckgemeinschaft mit dem fossilen Kapital des Landes zu verdanken. So gehörten zu den Hauptgeldgebern der letzten Wahlkämpfe die Kohle- und Ölmilliardäre Gautam Adani und Mukesh Ambani, deren Firmen wiederum mit lukrativen Aufträgen und staatlichen Subventionen belohnt wurden. 

Es ist zu befürchten, dass der fossile Sektor die Hitze nutzen wird, um weitere Megaprojekte durchzusetzen. Erst vor wenigen Wochen genehmigte ausgerechnet die oppositionsgeführte Lokalregierung des Bundesstaates Chhattisgarh nach einer zehnjährigen Auseinandersetzung eine massive neue Kohlemine der Firma Gautam Adanis. Mehr als 20.000 der Indigenen Adivasi sollen für die Errichtung von ihrem Land vertrieben, 170.000 Hektar Urwald abgeholzt werden. Die Firma rechtfertigt das Projekt vor dem Hintergrund einer angeblich drohenden Kohlekrise, ein Narrativ, das auch von vielen internationalen Medien unkritisch übernommen wurde. Die Opposition hingegen wirft der Regierung vor, eine solche Kohlekrise lediglich vorzuschieben, um das eigene Missmanagement zu verschleiern. In Wahrheit seien doch genügend Kohlereserven vorhanden. Das Projekt kann nun vermutlich nur noch durch internationalen Druck verhindert werden – unter dem Motto #SaveHasdeo ist eine entsprechende Kampagne angelaufen.

In der Kornkammer Indiens ist es zu größeren Ausfällen bei der Getreideernte gekommen.

Im benachbarten Pakistan wiederum trifft die Hitzewelle auf eine bereits angespannte politische Situation. Vor einem Monat war dort der langjährige Premierminister Imran Khan abgesetzt worden, nachdem er vergangenes Jahr die Unterstützung des mächtigen Militärs verloren hatte. Khan will jedoch die politische Niederlage nicht auf sich beruhen lassen und mobilisiert seine Unterstützer*innen gegen den neu eingesetzten Premierminister, Shehbaz Sharif. Inmitten des politischen Schachmattes droht dem Land auch noch eine schwere Schuldenkrise – anstehende Gespräche mit dem Internationalen Währungsfonds werden wohl vorerst in weiteren Sparmaßnahmen münden.

Geopolitik und Klimaungerechtigkeit

Auch auf die Situation in anderen Ländern könnte die Hitzewelle drastische Auswirkungen haben. In den nördlichen Bundesstaaten, die als Kornkammer Indiens gelten, ist es zu größeren Ausfällen bei der Getreideernte gekommen, was wohl zu weiteren Exporteinschränkungen führen wird. Das könnte angesichts der russischen Invasion der Ukraine zu einer weiteren Verschärfung am Weltmarkt und zu einer der drohenden weltweiten Hungerkrise beitragen. 

Die Hauptverantwortung in der aktuellen Situation liegt aber, wie die Wissenschaftlerin Chandni Singh betont, im Globalen Norden. (1) Hier stehen die Kohlekraftwerke und Gasterminals, die die Klimakrise Tag für Tag weiter anheizen. Hier sitzen die Konzerne, deren fossile Geschäftsmodelle gerade buchstäblich einen ganzen Erdteil verschlingen, und die Regierungen, die die politische Führung Indiens und Pakistans trotz weitgehend dokumentierter Menschenrechtsverletzungen weiter umgarnen. Erst Anfang Mai empfing Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin Narendra Modi. Kritik an dem Treffen war trotz lautstarker Proteste indischer Gruppen in der Öffentlichkeit leider kaum zu vernehmen. Dabei müsste eine linke Politik der Klimagerechtigkeit doch gerade hier ansetzen – und dem heißen Wind des fossilen Kapitalismus mit einer erfrischenden Brise internationaler Solidarität begegnen.

Elias König

studiert Chinesisch an der National Taiwan Normal University in Taiwan und ist in der taiwanischen Klimabewegung organisiert.

Anmerkung:

1) Climate Injustice: Those Who Face Record Heat Wave in India & Pakistan Did Not Create the Crisis, in: democracynow.org, 2.5.2022