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Deutsche Medien im Krieg

Journalist*innen aller Couleur fantasieren im AfD-Slang eine Invasion an der polnisch-belarussischen Grenze herbei

Von Larissa Schober

verwackelte Aufnahme einer Gruppe Menschen in Winterkleidung, im Vordergrund ein Mann von hinten, rechts ein Verschlag aus Bäumen und Zweigen, im Hintergrund Rauch, Bäume und behelmte Polizisten, über der Szene ein Hubschrauber
Von deutschen Medien als »Waffen« in einem »hybriden Krieg« bezeichnet: Menschen, die bei Minusgraden an der belarussischen Seite der Grenze zu Polen ausharren und weder vor noch zurück können. Screenshot aus einem Video des Staatsgrenzkomitees der Republik Belarus

An der belarussisch-polnischen Grenze sind bis jetzt mindestens zehn Menschen gestorben – zuletzt ein 14-jähriger Junge. Er erfror in einem Lager am Grenzübergang Kuźnica, wie das polnische Online-Magazin OKO.press berichtete. Auf der belarussischen Seite harren dort seit Anfang November hunderte Menschen aus. OKO.press erhält immer wieder Hilferufe aus dem Lager: »Wir erfrieren!«

Entlang des Grenzzauns ereignet sich eine humanitäre Katastrophe – wobei Katastrophe eigentlich das falsche Wort ist, denn die Situation wird willentlich erzeugt. Vom belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, der polnischen Regierung und der EU. Viele deutsche Medien wollen die Situation indes nicht als tödliche Falle verstehen, sondern als militärische Auseinandersetzung. Auf den Fotos, die entsprechende Artikel bebildern, wimmelt es von schwer bewaffneten Soldaten und Unmengen von Stacheldraht. Bei der Zeit, der Welt, beim Spiegel ist die Botschaft: Wir sind im Krieg.

Das Narrativ des »hybriden Krieges« oder der »hybriden Bedrohung« hat sich rasant etabliert. In der Zeit konstatierte Ulrich Ladurner: »Polen hat das Recht, sich in diesem hybriden Krieg zu verteidigen, und die EU hat die Pflicht, dem Land beizustehen, weil Polen auch die EU verteidigt. So einfach ist das.« So einfach ist es nur, wenn man vergisst, dass es hier um Menschen geht. Wenn man vergisst, dass diese Menschen sterben müssen, weil die EU ihre Grenzen vehement abschottet. Es ist ein alter Diskurs, Schutzsuchende zur Bedrohung zu stilisieren, gegen die man sich verteidigen müsse. Im aktuellen Fall lässt sich die Verantwortung mit Lukaschenko als gegnerischem Gegenüber besonders gut auslagern. Und wenn man sich im Krieg befindet, ist bekanntlich jedes Mittel recht. Eine bessere Legitimation für den sinnlosen Tod von Menschen gibt es kaum.

Die Parteispitze der Grünen will nun Flüchtende mit Infokampagnen davon abhalten, nach Belarus zu kommen. Das ist ein hilfloser Versuch, Handeln zu simulieren und dabei keine Wähler*innen zu verschrecken. Menschen fliehen nicht ohne Grund. Das haben viele Jahre tödlicher Überfahrten über das Mittelmeer bewiesen. Die Route über Minsk ist weniger gefährlich. Wer in seinem Herkunftsland keine Perspektive mehr sieht oder gar um sein Leben fürchtet, dem kann eine Infokampagne herzlich egal sein. 

Noch-Außenminister Heiko Maas (SPD) betont, dass sich die EU nicht erpressen lasse. Das wäre ja schön, doch nicht erpressbar wäre die EU erst, wenn sie die rassistische Panik vor Menschen auf der Flucht durch eine Politik der Mitmenschlichkeit ersetzen würde. Dann könnte sie die Schutzsuchenden einfach aufnehmen. Der eingebildete Krieg hätte sich damit auch erledigt. Stattdessen schürt die EU ihn lieber weiter und lässt Menschen an der Grenze erfrieren. Und die deutschen Medien trommeln mit.

Larissa Schober

ist Redakteurin bei der iz3w und schreibt als Freie zu den Themen Osteuropa, Migration, Erinnerungskultur und Neue Rechte.