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Gewollte Eskalation

In Sudan beginnt ein Bürger*innenkrieg, Triebmittel sind alte Vorurteile und der Angriff auf die revolutionäre Bewegung

Von Saskia Jaschek

Ein Zug, auf dessen Dach Menschen mit Fahnen sitzen, aus den Fenstern halten Menschen Fahnen heraus, der Zug fährt auf den Betrachter zu. links und rechts Menschen, auf trockenem, sandigen Boden stehend.
Der Angriff der Kriegsparteien gilt vor allem ihr: der Bewegung, die gegen die Diktatur von Omar al-Bashir auf der Straße und den Schienen war. Foto: Osama Elfaki / Wikimedia, CC BY-SA 4.0

Über zwei Monate sind vergangen, seitdem der Krieg in Sudan ausgebrochen ist. In dem tödlichen Konflikt kämpft das sudanesische Militär (SAF) unter der Führung von Abdelfattah al-Burhan gegen die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter der Leitung von Mohamed Hamdan Dagalo, kurz Hemetti.

An die 2.000 Menschen wurden bisher getötet. 1,9 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Laut UN sind 24,7 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Doch nur 1,8 Millionen von ihnen wurden von humanitären Hilfsorganisationen bisher erreicht. Alle bislang verhandelten Waffenstillstände wurden auf die ein oder andere Weise von beiden Seiten unterwandert. In den umkämpften Gebieten sind rund zwei Drittel der Krankenhäuser außer Betrieb – Überlastung und Mangel an medizinischem Material in den verbleibenden Krankenhäusern sind die Folgen.

SAF und RSF begehen Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die RSF überfällt Wohnhäuser und Zivilist*innen, raubt und zerstört Eigentum und verschleppt Menschen, Berichte von Vergewaltigungen nehmen zu. Das Militär bombardiert weiterhin Wohngebiete und zivile Einrichtungen wie Krankenhäuser, auch ohne, dass sich RSF-Soldaten in ihnen verschanzt hätten.

Die Angriffe auf Mitglieder der Komitees sind ein Anzeichen dafür, dass der Konflikt nicht nur ein Krieg zwischen Militär und Milizen, sondern auch beider Parteien gegen die Zivilbevölkerung ist.

Es häufen sich Berichte, nach denen Mitglieder der Widerstandskomitees verhaftet oder hingerichtet werden. Die Widerstandskomitees sind Basisorganisationen, die seit Jahren den Widerstand auf den Straßen organisieren und beim Sturz des Diktators Omar al-Bashir eine wichtige Rolle spielten. In diesem Krieg versuchen die Komitees, für das Überleben der im Sudan Verbliebenen zu sorgen. Dafür organisieren sie medizinische Versorgung, leisten Erste Hilfe und verteilen Lebensmittel, errichten Notunterkünfte für Geflüchtete sowie Frauen.

Die Angriffe auf Mitglieder der Komitees sind ein Anzeichen dafür, dass der Konflikt nicht nur ein Krieg zwischen Militär und Milizen, sondern auch beider Parteien gegen die Zivilbevölkerung ist. Mit den Widerstandskomitees trifft er vor allem die revolutionäre Bewegung.

Brennpunkt Darfur

Besonders verheerend ist der Krieg im Westen des Landes, in der Region Darfur. Die ohnehin kriegsgebeutelte Region wurde kürzlich zum Katastrophengebiet erklärt. Darfur grenzt an das Nachbarland Tschad, in welches laut UNHCR seit Kriegsbeginn rund 116.000 Menschen geflohen sind.

Bereits seit 2003 befindet sich Darfur in einem Kriegszustand. Um gegen regimefeindliche Rebellengruppen vorzugehen, hatte der damalige Diktator al-Bashir die Miliz Janjaweed – die heute zu einem großen Teil die RSF ausmachen – dazu benutzt, einen rassifizierten Vertreibungskrieg gegen die als nicht-arabisch geltenden Bevölkerungsgruppen zu führen. Bei dem Genozid wurden zwischen 2003 und 2005 ungefähr 300.000 Menschen getötet. Schon damals hatte General Hemetti das Kommando über die späteren RSF. In Darfur überlagert sich die alte Auseinandersetzung mit dem neuen Krieg, der in der Landeshauptstadt Khartum begann.

In der Hauptstadt des Bundesstaates West-Darfur, El Geneina, sollen innerhalb weniger Tage über 1.100 Menschen ums Leben gekommen sein. Viele Gebiete haben seit Wochen unterbrochene Telefon- und Internetverbindung und sind ohne Strom, deshalb dringen wenig Informationen aus der Region nach außen.

Die Menschen versuchen, aus den Städten zu fliehen, doch ob und wie lange sie auf dem Land sicher sind, ist ungewiss. Denn in Darfur kämpft die RSF vor allem gegen die Zivilbevölkerung. Das Militär ist in der Region Berichten zufolge nur vereinzelt in Kämpfe verwickelt.

Wie in Khartum begannen auch in Darfur die Kämpfe im April. Damals hatten verschiedene soziale Initiativen, politische sowie religiöse Vertreter*innen und weitere Teile der Zivilbevölkerung zunächst gemeinsam einen Waffenstillstand in der Konfliktregion ausgehandelt. Doch der hielt nur kurze Zeit. Geflüchtete aus Darfur berichten, »arabisch« gelesene Militante griffen – unterstützt von RSF-Soldaten – die Zivilbevölkerung an. RSF-General Hemetti versucht scheinbar mit der Ethnisierung des politischen Konflikts mit dem Militär, den Krieg in einen Bürger*innenkrieg umwandeln zu wollen.

Während die Widerstandskomitees und andere Basisgruppen weiterhin die Kampagne »Nein zum Krieg« unterstützen und entschieden beide Kriegsparteien ablehnen, sind andere Teile der Zivilbevölkerung gespalten. Manche Menschen wünschen sich einen Sieg des Militärs, weil sie in ihm eine nationale Institution sehen, die ihre Interessen gegen die in ihren Augen nicht legitimierten Milizen vertritt. Bei allen überwiegt jedoch der Wunsch, dass der Krieg endlich aufhört. Trotzdem stellen sich viele auf einen andauernden Konflikt ein.

Über 470.000 Menschen haben Sudan bereits verlassen. Doch eine Flucht aus dem Land gestaltet sich zunehmend schwierig. Die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Saudi-Arabien haben die Visavergabe für Sudanes*innen erschwert und schließen damit effektiv ihre Grenzen.

Tausende sudanesischer Staatsbürger*innen sind von einer Einbehaltung ihrer Pässe durch westliche Botschaften betroffen. Nach Kriegsausbruch wurden viele Botschaften geschlossen und Mitarbeitende evakuiert. Sudanesische Pässe, die sich zu dieser Zeit für die Visavergabe in den Botschaften der jeweiligen Länder befanden, wurden einbehalten oder sogar zerstört. Laut einer Anfrage der Linksfraktion im Bundestag sind rund 600 sudanesische Staatsbürger*innen von der Passeinbehaltung durch die deutsche Botschaft betroffen. Fünf der Betroffenen haben nun Klage erhoben und fordern eine sofortige Rückgabe ihrer Reisepässe. Nur so haben sie überhaupt die Möglichkeit, ins Ausland zu fliehen. Auch in Frankreich wurde geklagt, nachdem Bilder zeigten, wie sudanesische Pässe in der französischen Botschaft zerrissen und in Müllsäcken entsorgt wurden.

Kaum Hoffnung auf Frieden

Viele Sudanes*innen machen Volker Perthes, Leiter der UN-Mission UNITAMS, und den von UNITAMS unterstützten gescheiterten Verhandlungsprozess für die aktuelle Situation mitverantwortlich. Bei den Verhandlungen zwischen der zivilen Koalition der Forces of Freedom and Change (FFC) und al-Burhan sowie Hemetti rund ein Jahr nach dem von ihnen gemeinsam durchgeführten Staatsstreich war es vermehrt zu Spannungen zwischen den beiden Generälen gekommen, die sich bis zum jetzigen Konflikt ausweiteten.

Außerdem erinnern sich viele an die Finanzierung der RSF durch EU-Mittel im Zuge des Khartum-Prozesses. 2015 versuchte die EU mit diesem Prozess, die Migrationsabwehr in die Herkunftsländer zu verlagern. Viele Menschen kritisieren die Straffreiheit von beiden Generälen für ihre zahlreichen Verbrechen – etwa den Genozid in Darfur, das Massaker an der Widerstandsbewegung 2019 oder die Tötung von Protestierenden nach dem Putsch 2021. Bis heute gibt es keine Anklage der Generäle durch den Internationalen Strafgerichtshof, obwohl ihre Gräueltaten seit Jahren bekannt sind.

Dass sich nun Repräsentanten von SAF und RSF auf internationale Staatsbesuche begeben, verärgert große Teile der Bevölkerung. Sudanes*innen kritisieren die Verhandlungen mit den Kriegsverbrechern.

Die USA kündigten nun Wirtschaftssanktionen gegen die beiden Kriegsparteien an. Solange Nachbarländer oder Verbündete wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder Russland die Sanktionen nicht unterstützen, dürften sie wirkungslos bleiben.

Selbst wenn mithilfe internationaler Diplomatie eine Beendigung der Kämpfe erwirkt werden kann, bleibt ein Frieden in weiter Ferne. Mit jedem weiteren Tag des Krieges entfernt sich die Vorstellung eines Ausgangs, der zu Gerechtigkeit führen kann. Immer näher rücken ein weiterer Genozid und die Etablierung eines neuen Autoritarismus.

Porträtbild von Saskia Jaschek

Saskia Jaschek

lebt in Berlin und Khartum und promoviert an der Universität Bayreuth mit einer Forschung zur sudanesischen Widerstandsbewegung.

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