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Der Rohstoffhunger des Virtuellen

Die Politik fördert Chipfabriken mit Milliarden – und ignoriert die ökologischen Schäden, die mit der Digitalisierung einhergehen

Von Klaus Meier

Logo von TSMC an einem Gebäude, ein Wachmann, der vorbeigeht.
Investitionen aus Taiwan: TSMC, der Marktführer in der Halbleiterindustrie, plant ein Werk in Dresden. Foto: 李 季霖/ Flickr, CC BY-SA 2.0 Deed

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff war nicht unbescheiden, als er sagte: »Das wird sich auf Generationen auswirken, wir drehen ein ganz großes Rad.« Er meinte damit die geplante Ansiedelung eines neuen Intel-Werks im etwas verschlafenen Magdeburg. (ak 690) Und Intel-Chef Pat Gelsinger erklärte vollmundig, dass in der neuen Chip-Fabrik die »fortschrittlichste Fertigung der Welt« zur Anwendung komme. Doch einem Realitätscheck halten diese Einschätzungen nur bedingt stand. 

Intel war mit seinen x86-Chips im PC-Bereich und im Server-Geschäft über Jahrzehnte absolut führend. Doch beim Einstieg in moderne Halbleiterstrukturen wurde der Konzern vom taiwanesischen TSMC-Konzern und von Samsung abgehängt. Die Folge: Allein im Jahr 2022 ist Intels Kurs an der Börse um 47 Prozent eingebrochen. Der angesehene US-amerikanische Industrie-Historiker Chris Miller bringt es auf den Punkt: Intel habe seinen technologischen Vorsprung in allen Sektoren »verpfuscht.« 

Um sich zu retten, setzt das Unternehmen jetzt auf die Auftragsfertigung von Chips für andere Unternehmen. Das ist auch das Konzept für das neue Magdeburger Werk. Das Problem ist, dass Intel dies 2015 schon einmal versucht hat – und krachend gescheitert ist. Der Grund: Da Intel – anders als TSMC – selbst eigene Halbleiter entwickelt und vermarktet, wurde es von potenziellen Kunden als Konkurrent angesehen und daher gemieden. Ob der zweite Anlauf besser wird, steht in den Sternen.

3,3 Millionen Euro für jeden Job

Immerhin hat der einstige Weltruf von Intel noch ausgereicht, um deutschen Politiker*innen eine sagenhafte Subvention von zehn Milliarden Euro aus dem Kreuz zu leiern – für 3.000 Arbeitsplätze. 3,3 Millionen Euro für jeden Job. Auch der taiwanesische TSMC-Konzern erhält für die Schaffung von 2.000 neuen Arbeitsplätzen in Dresden fünf Milliarden Euro. Eine weitere Milliarde Euro als staatlichen Zuschuss bekommt der Infineon-Konzern für ein neues Werk in Dresden. Und 0,7 Milliarden fließen zum Chiphersteller Wolfspeed für eine neue Fab im Saarland. Ampel-Politiker*innen erklären dem zweifelnden Publikum, worum es geht: Deutschland soll zu einem Zentrum der weltweiten Halbleiterindustrie ausgebaut werden. »Wir brauchen Halbleiter, sehr viele Halbleiter und nochmals Halbleiter«, so die hochgeistige Erklärung des SPD-Bundeskanzlers.

Mit den neuen Chipfabriken soll die gesamte Digitalisierung gepusht werden, denn sie ist die große Schlacht des Kapitalismus im 21. Jahrhundert. Die deutschen Konzerne wollen dabei ganz vorne mitmischen. So beim Internet der Dinge. Konsumgüter, technische Geräte und Maschinen werden mit immer mehr Mikrocontrollern ausgestattet. Und alles wird mit allem vernetzt und sammelt Daten. Insbesondere die Künstliche Intelligenz spielt für digitale Geschäftsmodelle eine wichtige Rolle. Manager*innen sind davon seit Chat-GPT regelrecht elektrisiert. Massenkonsumgüter wie Kühlschränke, Waschmaschinen, Staubsauger, Fernseher und Smartphones könnten mit KI neue Eigenschaften bekommen, wovon sie sich neue Kaufanreize in übersättigten Märkten erhoffen. 

Diese Vision verfolgen auch die Automobilkonzerne. Die Fahrzeuge sollen mit dem Internet, mit intelligenten Ampeln, Verkehrsleitsystemen, Satelliten und untereinander kommunizieren. Das macht die Entwicklung von fortschrittlichen Fahrzeugassistenzsystemen möglich wie teilautonomes Fahren auf Autobahnen. Am Ende der Vision steht das vollautonome Auto. Um das zu erreichen, müssen aber Fahrzeuge, Ampeln und Leitsysteme mit Mikrocomputern, Sendern, Digitalkameras und Sensoren vollgestopft werden. 

Laut einer Studie von McKinsey steht die weltweite Halbleiterbranche vor einem Wachstumsjahrzehnt und kann bis 2030 zu einer Billionen-Dollar-Branche werden. Eine globale Goldgräberstimmung macht sich unter den Shareholdern breit, die besonders vom Thema KI befeuert wird. Alle bürgerlichen Parteien sind begeistert und sehen nur Vorteile. Probleme werden schlicht ausgeblendet. Doch wie sehen sie aus?

Hoher Wasserverbrauch

Die Halbleiterfertigung steht vor allem wegen ihres ungeheuren Ressourcenhungers immer wieder in der Kritik. So benötigt die Herstellung von Chips extrem viel Wasser, und auch der Energiehunger ist riesig. Expert*innen schätzen, dass ein großes Chipwerk jeden Tag bis zu 20 Millionen Liter Wasser verbraucht, ungefähr so viel wie eine deutsche Stadt mit 80.000 Haushalten. Dresden ist mittlerweile das Zentrum der deutschen Chip-Fertigung. Schon ist vom Silicon Saxony die Rede. Wenn man sich allein die drei größten Werke dort anschaut, nämlich Bosch, Globalfoundries und Infineon, so kommen allein sie auf 40 bis 50 Prozent des gesamten Wasserverbrauchs der sächsischen Landeshauptstadt. In Zeiten extremer Trockenheit könnte das ein Problem werden.

Der Wasservebrauch ist so hoch, weil die sogenannten Wafer nach jedem Produktionsprozess intensiv gewaschen werden müssen. Wafer sind dünne, meist 200 oder 300 Millimeter große dünne Scheiben, meist aus Silizium. Auf ihnen werden mikroskopische elektronische Strukturen mit einem fotolithografischen Verfahren geprintet. Das geschieht durch einen sich wiederholenden Wechsel von Lackbeschichtungen, Belichtung mit kurzwelligem Licht und einem anschließenden Wegätzen von Siliziumstrukturen mit aggressiven Säuren. Insgesamt können in einem Verfahren bis zu 1.000 Prozessschritte auftreten. Und jedes Mal braucht es große Mengen Wasser, um den Lack oder die Chemikalien vom Wafer abzuwaschen. Und je komplexer und kleiner die Chipstrukturen werden, desto mehr Wasser wird benötigt. So soll sich der Wasserverbrauch für Chips der nächsten Generation im Vergleich zu den heutigen Systemen sogar verdoppeln.

»Wir brauchen Halbleiter, sehr viele Halbleiter und nochmals Halbleiter«, sagt hochgeistig der SPD-Bundeskanzler.

Der hohe Wasserverbrauch erweist sich jedoch in einer Zeit der zunehmenden Klimakatastrophe als immer kritischer. Krisenszenarien wie vor zwei Jahren in Taiwan, als das eigentlich regenreiche Land von einer lang anhaltenden Dürre heimgesucht wurde, werden immer wahrscheinlicher. Diese bedrohte unmittelbar die Produktion des größten Chipherstellers TSMC. In dieser Situation beschloss die Regierung, den umliegenden Städten und Bäuer*innen das Wasser zu rationieren, nur damit TSMC ungestört weiter produzieren konnte. Szenarien, die in Zukunft auch in Deutschland vorstellbar sind.

Die Chipkonzerne versuchen zwar, die Wasserknappheit zu entschärfen, indem sie daran arbeiten, das verbrauchte Wasser zu reinigen und aufzubereiten. Doch die Anlagen dafür sind nicht nur teuer, sondern auch wahre Energiefresser. So wird der ohnehin schon große Energiehunger der Chipfabriken durch das Wasserproblem noch verstärkt. Eine Selbstversorgung durch Solarzellen auf den Dächern der Fabriken ist unrealistisch, weil der Energieverbrauch einfach zu hoch ist.

30 Prozent des Stroms allein für Rechenzentren?

Die Grünen haben bereits in ihrem Bundestagswahlprogramm geschrieben, dass sie »eine umfassende Investitionsoffensive« für die Digitalisierung starten wollen. Doch die Konsequenzen haben sie nicht erwähnt. Dazu gehört ein massiver Ausbau von Rechenzentren. Hier hat die sogenannte »Cloud« ihren physischen Sitz. Der dafür erforderliche Strombedarf ist riesig. So benötigten deutsche Rechenzentren im Jahr 2022 bereits 18 Terawattstunden (TWh). Zehn Jahre zuvor waren es lediglich elf TWh gewesen. 

Und die Zahl der Server steigt immer weiter. Treiber sind insbesondere die extrem rechenintensiven Prozesse der Künstlichen Intelligenz. Deshalb will der Microsoft-Konzern, der mit dem KI-Unternehmen OpenAI kooperiert, seine Cloud-Kapazitäten in Deutschland verdoppeln und 3,2 Milliarden Euro in neue Server investieren. Der Geschäftsführer von Cisco Deutschland wies jüngst in einem Beitrag für das Handelsblatt darauf hin, dass der Strombedarf der Rechenzentren in wenigen Jahren bei rund 30 Prozent des gesamten Stromverbrauchs liegen könnte. Hier zeigt sich eine beunruhigende Entwicklung, die alle Bemühungen zum Kohleausstieg hintertreiben könnte.

Gemeinden wurde schon das Wasser rationiert, damit TSMC weiter Chips produzieren kann.

In vielen Veröffentlichungen wird die Hoffnung geäußert, dass mit zunehmender Digitalisierung ein Wirtschaftswachstum bei immer geringerem Materialverbrauch möglich sei. Doch diese Hoffnungen sind verflogen. Die Digitalisierung ist heute untrennbar mit dem Einsatz von immer mehr mikrotechnischen Schaltungen, Speichern, Chips und Sensoren verbunden. Diese neuen Systeme funktionieren nur mit seltenen Metallen und Mineralien. So benötigen Flachbildschirme und Touchscreens für ihre Funktion das sehr seltene Metall Indium. 

Hinzu kommen Seltene Erden, die unter anderem in Digitalkameras, optischen Schaltern, Lautsprechern oder Festplatten eingesetzt werden. Weil diese Materialien so selten sind, müssen ganze Landschaften umgegraben werden, um sie zu gewinnen. Dabei gelangen auch giftige Schwermetalle und radioaktives Thorium und Uran an die Oberfläche und in die Gewässer. Die Bevölkerung in den Abbaugebieten bezahlt dafür einen hohen Preis. Ein gut dokumentiertes Beispiel ist das kleine malaysische Dorf Bukit Merah, in dessen Nähe der japanische Konzern Mitsubishi Chemicals Anfang der 1980er Jahre eine Mine zum Abbau von Seltenen Erden eröffnete. Aufgrund von Gift-Freisetzungen und nach langen Protesten wurde das Werk geschlossen. Überdurchschnittlich hohe Raten von Leukämie, Hirntumoren und frühkindlichen Missbildungen belasten die Bevölkerung jedoch bis heute.

Die Parteien im Bundestag sehen in der Digitalisierung vor allem Fortschritte. In einigen Bereichen stimmt das auch. So kann die Früherkennung von schwarzem Hautkrebs durch KI-Funktionen deutlich optimiert werden. Oder in der industriellen Produktion kann man KI für eine verbesserte Qualitätssicherung nutzen. Gegen diese Vorteile steht, dass Digitalisierung und KI für eine neue Runde des ungebremsten kapitalistischen Wachstums stehen. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem bereits viele planetarische Grenzen überschritten worden sind und uns ein ökologischer Kollaps droht. Hunderte Milliarden Euro werden zudem für die Digitalisierung verausgabt, wo eigentlich der klimaneutrale Umbau von Industrie und Infrastruktur im Mittelpunkt stehen müssten. Dass die Ampelkoalition sich diesen Umbau gerade von der Subventionierung der Halbleiterindustrie erhofft und diese aus dem Klima- und Transformationsfonds fördert, mutet daher irrwitzig an. Angesichts der Folgen sollte die Klimabewegung nur einen sehr selektiven Einsatz von Digitalisierung und KI befürworten, aber einer blinden, verallgemeinerten Nutzung äußerst kritisch gegenüber stehen.

Klaus Meier

ist Ingenieur und Hochschuldozent.