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Welche Notbremse?

Was kann man aus der Corona-Pandemie für die nächste Krise lernen?

Von Jan Ole Arps

Ein älterer Mann steht vor einem geschlossenen Lokal und liest sich einen Aushangt durch
Notbremse fürs Gehirn: Bei den Corona-Regeln blickt schon lange niemand mehr durch. Foto: Silvision / Flickr, CC BY-ND 2.0

Eine Frage, die sich angesichts der Corona-Politik der letzten Monate und der aktuellen »Notbremse« aufdrängt, lautet: Warum ist das politische Personal so schlecht? Wieso werden haufenweise Maßnahmen beschlossen, von denen man schon vorher weiß, dass sie wenig zur Eindämmung der Pandemie beitragen werden? Warum werden Maßnahmen, die effektiv sein könnten, nicht ergriffen? Hat die politische Klasse keine Lust, die Pandemie in den Griff zu kriegen?

Rückblick ins Frühjahr 2020: Angesichts rasant steigender Infektionszahlen durch ein weitgehend unbekanntes Virus und katastrophischer Szenarien in norditalienischen Krankenhäusern bringen die meisten europäischen Regierungen weitreichende Infektionsschutzbeschlüsse auf den Weg: Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen, auch die Schließung einiger Betriebe, Kurzarbeitergeld sowie üppige Zuschüsse, vor allem an Unternehmen. In Deutschland wird der Bezug von Hartz IV erleichtert, Zwangsräumungen werden ausgesetzt. Mit den Maßnahmen gelingt es, die Infektionszahlen binnen weniger Wochen deutlich zu senken.

Viele Linke stellen im Frühjahr 2020 überrascht fest, dass der Staat im Moment der Krise durchaus zu umfangreichen Eingriffen ins Wirtschaftsleben bereit ist, nicht wenige erkennen Chancen für eine sozialere Politik. Es ist ein Muster, das schon in der Weltwirtschaftskrise zehn Jahre zuvor zu beobachten war. Auf einmal ist der Staat da und handelt, schnürt Hilfspakete und leistet sich ansonsten unübliche Eingriffe ins Wirtschaftsgeschehen. Auch 2008/09 äußerten Linke Hoffnungen, hier könnte sich ein Fenster für politischen Wandel öffnen, mit der Erfahrung der Krise im Rücken sei ein Zurück zu den neoliberalen Politikrezepten der Vorjahre ausgeschlossen.

Damals wie heute kam es anders. In der Pandemiepolitik ist nichts mehr übrig vom kurzen Frühling des Staatsinterventionismus. Die Euphorie in der Linken ist verflogen. Einschränkungen betreffen quasi nur noch das Privatleben, während die Lohnarbeit, abgesehen von Gastronomie und Kultur und etwas mehr Homeoffice, wie gehabt weiterläuft. Wirtschaftsverbände maulen zwar, wenn sie zu Testangeboten am Arbeitsplatz verpflichtet werden sollen, und fordern die Einbeziehung der Betriebsärzte in die Impfkampagne (nicht, um die Risikogruppen, sondern die eigenen Beschäftigten schneller zu impfen). Aber im Großen und Ganzen tragen sie die Politik der Regierung mit. Warum auch nicht: Der DAX eilt von Rekord zu Rekord.

Die Diskussion um eine nächtliche Ausgangssperre passt Wirtschaft und Regierung daher gut in den Kram. Eine weitere Maßnahme, die Begegnungen im Privaten dämonisiert, damit das Offensichtliche nicht zur Sprache kommt: Eine Eindämmung der Pandemie ist nicht möglich, ohne auch die Arbeit so weit es geht herunterzufahren. Die Arbeit kann nur heruntergefahren werden, wenn Menschen sich das Zuhausebleiben und auch die Betreuung der Kinder im Homeschooling leisten können, also Ausgleichszahlungen erhalten. Doch um das zu erzwingen, fehlen der Linken die Mittel.

Wenn es eine Lehre für künftige Krisen gibt – und die werden kommen: die nächste Pandemie, der Klimawandel –, dann diese: Man sollte sich kein drittes Mal von kurzen Phasen des Improvisierens der Regierung blenden lassen, und Meinungsfenster in der öffentlichen Debatte haben wenig Einfluss auf politische Entscheidungen. Es mag nicht die überraschendste Erkenntnis sein, aber was etwas bringt, ist der Aufbau kampffähiger Strukturen im Alltag. Spontane Streiks in Italien, Spanien oder den USA haben im Frühjahr 2020 gezeigt, dass es möglich ist, durch kollektive Aktionen Infektionsschutz durchzusetzen. Das geht nur, wenn die Linke dort organisiert ist, wo Druck entfaltet werden kann: nicht nur auf Twitter, sondern auch in den Versandzentren und Fabriken, Krankenhäusern, Schulen und Wohnblocks.

Also ja, das politische Personal ist überraschend inkompetent. Weil das ausreicht, um das Kapital durch diese Krise zu schaukeln. Die gute Nachricht: Mit einer gut organisierten und im Alltag verankerten linken Bewegung hätte die Regierung ernsthafte Schwierigkeiten.