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Australiens Stich in Frankreichs Rücken

Paris sieht sich durch den Aukus-Pakt im eigenen Machtstreben ausgebremst

Von Jörg Kronauer

Pier mit einem Kriegsschiff und einem Uboot, im Hintergrund die Skyline von Sydney
Uran statt Diesel: Der Kauf von Atom-U-Booten durch Australien stellt einen gefährlichen Präzedenzfall dar. Foto: brett Vachon / Flickr , CC BY 2.0

Er kam für alle wie aus heiterem Himmel: der Aukus-Pakt, den US-Präsident Joe Biden, der britische Premierminister Boris Johnson und sein australischer Amtskollege Scott Morrison am 15. September per Onlineschaltung bekanntgaben. Ihre drei Staaten – auf englisch: Australia, United Kingdom, United States, daher das Akronym – haben sich zu einem neuen Bündnis zusammengeschlossen, das vor allem rüstungs- und militärpolitische Ziele verfolgt. Der Pakt sieht eine enge Zusammenarbeit auf einigen High-Tech-Feldern vor, die große Bedeutung für moderne Streitkräfte haben: Cyberfähigkeiten, Künstliche Intelligenz, Quantencomputing. Darüber hinaus geht Aukus mit einer verstärkten militärpolitischen Zusammenarbeit einher. Die heftigsten Wellen geschlagen hat allerdings, dass der Pakt den Verkauf nuklear angetriebener U-Boote an Australien vorsieht und dass Canberra dafür ein 56 Milliarden Euro schweres U-Boot-Geschäft mit Frankreich einseitig storniert.

Die strategische Bedeutung des Aukus-Pakts liegt auf der Hand. Dieselgetriebene U-Boote, wie sie Australien ursprünglich beschaffen wollte, sind bestens für den Einsatz in Küstengewässern geeignet – also vornehmlich zur Landesverteidigung. Nuklear angetriebene U-Boote sind zumeist größer, schneller und können monatelang am Stück unter Wasser bleiben. Weit ausgreifende Operationen im Indischen und Pazifischen Ozean bis hinein ins Südchinesische Meer sind mit ihnen möglich. Im Rahmen des Aukus-Pakts wird Australien zudem neue Cruise Missiles (»Tomahawk«) mit einer Reichweite von bis zu 2.500 Kilometern erhalten, die von Kriegsschiffen abgeschossen werden. Um den Ausbau der australischen Angriffsfähigkeiten voranzutreiben, werden die US-Streitkräfte ihre Präsenz in Australien deutlich aufstocken. Schon jetzt sind bis zu 2.500 U.S. Marines in Darwin stationiert, im äußersten Norden des Landes, der China am nächsten liegt. Nun sollen weitere Truppen sowie eine größere Zahl US-Militärjets und -Kriegsschiffe hinzukommen; eine »Kampfpräsenz am oberen Ende des Spektrums« ist geplant.

Intensiviertes Wettrüsten

Der Aukus-Pakt schiebt also das Wettrüsten im Pazifik, das längst in vollem Gange ist, ein weiteres Stück an. Spezielle Sorgen ruft dabei Australiens Erwerb von nuklear angetriebenen U-Booten hervor. Zwar hat die Regierung in Canberra betont, sie strebe keinesfalls eine Aufrüstung mit Atomwaffen an. Doch schafft die Nutzung hochangereicherten Urans durch die australische Marine zumindest einen gefährlichen Präzedenzfall. Bislang besitzen nur sechs Staaten Atom-U-Boote, und sie alle haben auch Atomwaffen: die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Indien. Genehmigt sich Australien nun als ein Nicht-Atomwaffenstaat die Nutzung hochangereicherten Urans und hochsensibler Technologie, so könnte dieses Beispiel Schule machen. Expert*innen warnen, das erleichtere womöglich die zukünftige weitere Verbreitung von Atombomben.

Gravierende andere Folgen sind bereits eingetreten und betreffen Frankreich. Paris kontrolliert bis heute mehrere »Überseegebiete«, darunter La Réunion und Mayotte im Indischen, Neukaledonien und Französisch-Polynesien im Pazifischen Ozean. Die Inseln haben formal unterschiedlichen Status; mehrere werden von den Vereinten Nationen bis heute auf der Liste der »Non-Self-Governing Territories« (Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung) aufgeführt, die faktisch Kolonien der westlichen Mächte umfasst. Als die Liste 1946 erstellt wurde, standen auf ihr 72 Gebiete, von denen die meisten inzwischen unabhängige Staaten geworden sind. Gestützt auf seine De facto-Kolonien begreift sich Frankreich bis heute als »indo-pazifische« Macht. Es hat in den beiden Weltmeeren laut Eigenangaben rund 7.000 Soldat*innen, 15 Kriegsschiffe und 38 Militärflugzeuge stationiert.

Bislang besitzen nur sechs Staaten Atom-U-Boote, sie alle haben Atomwaffen.

Seit gut einem Jahrzehnt bemüht sich Paris überdies um die Bildung von Bündnissen im Indischen und im Pazifischen Ozean. Der Grund: China wird stärker, baut seine Positionen in beiden Gewässern aus. Frankreich sucht sich in seinen Kolonialgebieten gegen Beijing zu behaupten. Einer der Staaten, mit denen Paris eine besonders enge Kooperation sucht, ist Indien. Dies schlägt sich auch in umfangreichen Rüstungsgeschäften nieder: Von 2016 bis 2020 wurde Frankreich für Neu Delhi zum zweitgrößten Lieferanten von Großwaffensystemen.

Der zweite Staat, mit dem Paris besonders intensiv zusammenzuarbeiten begonnen hat, ist Australien. 2017 unterzeichneten die Regierungen beider Länder eine Erklärung über eine »Erweiterte Strategische Partnerschaft«, 2018 folgte die Einigung auf eine gemeinsame »Indo-Pazifik-Vision«. Gemeinsame Manöver wurden ausgeweitet. Als rüstungsindustrielles Herzstück der militärischen Kooperation galt der 2016 geschlossene Vertrag zur Lieferung von zwölf U-Booten aus französischer Produktion. Noch am 30. August, zwei Wochen vor der Bekanntgabe des Aukus-Pakts, priesen die Außen- und Verteidigungsminister beider Staaten bei einem Treffen im »Zwei-plus-zwei-Format« das U-Boot-Geschäft als rüstungsindustriellen Grundpfeiler ihrer Indo-Pazifik-Kooperation.

Macron drängt auf strategische Autonomie der EU

Der Abschluss des Aukus-Pakts und die Tatsache, dass Frankreich von ihm ferngehalten, nicht einmal vorab über ihn informiert wurde, stellen nun klar: Die USA übernehmen im Indischen und Pazifischen Ozean jetzt ganz offen die Zügel. Staaten, die – wie Frankreich – dort eine eigene Strategie verfolgen, werden ausgebootet. Indem Australien mit wehenden Fahnen zu den Vereinigten Staaten übergelaufen ist, hat es die »Erweiterte Strategische Partnerschaft« mit Paris deklassiert.

Aus französischer Sicht kommen noch besonders erniedrigende Momente hinzu. Einer davon: Die Barracuda-U-Boot-Klasse, von der Frankreich zwölf Stück an Australien liefern wollte, hat einen nuklearen Antrieb. Die für Canberra bestimmten Modelle mussten vom französischen Hersteller, der Naval Group, eigens aufwendig umgerüstet werden, weil sich die USA 2016 noch gegen australische Atom-U-Boote ausgesprochen hatten. Es wäre prinzipiell kein Problem gewesen, die französischen Modelle nuklear auszustatten, aber die Milliardensummen gehen nun nach Großbritannien und in die USA.

Ein zweiter: Dass Biden, Johnson und Morrison beim G7-Gipfel im Juni fast wortwörtlich hinter dem Rücken von Macron Geheimverhandlungen über den Aukus-Pakt führten, während sie offiziell die Partnerschaft mit Paris zelebrierten, ist schon wirklich unangenehm.

Und nun? Das in seinen neokolonialen Machtansprüchen eingeschränkte Frankreich hat seine Botschafter aus den USA und Australien zu Konsultationen heimgerufen – der Botschafter in Washington ist mittlerweile wieder zurück am Arbeitsplatz –, und es denkt über weitere Konsequenzen nach. 2014 musste es den Verkauf zweier Hubschrauberträger für 1,2 Milliarden Euro an Russland auf Druck vor allem aus den Vereinigten Staaten abblasen; 2019 musste es Spezialeinheiten aus Syrien überhastet abziehen, nachdem die USA ohne jede Absprache angekündigt hatten, ihre Militärs aus dem Land heimzuholen. Letzteres veranlasste Präsident Emmanuel Macron, den »Hirntod« der Nato zu diagnostizieren. Dass der Aukus-Pakt in Paris den Eindruck verstärkt hat, für Washington nur fünftes Rad am Wagen zu sein, lässt sich nachvollziehen. Macron dringt nun verstärkt auf eine »strategische Autonomie« der EU. Ob weitere Reaktionen folgen, die sich dann auch auf die NATO auswirken könnten, wird man sehen.

Klar ist bei alledem: Der Aukus-Pakt heizt neben dem Streit im Westen auch Differenzen in Südostasien an. Zustimmende Äußerungen zum neuen Bündnis kamen aus Singapur sowie von den Philippinen; beide kooperieren traditionell eng mit dem US-Militär. Stark verärgert äußerten sich hingegen die Regierungen Indonesiens und Malaysias. Der neue malaysische Premierminister Ismail Sabri Yaakob warnte, der Aukus-Pakt könne andere Staaten zu »aggressiverem Vorgehen« veranlassen und ein womöglich sogar nukleares »Wettrüsten in der Indo-Pazifik-Region« auslösen. Er entsandte eine Delegation nach Beijing, die sich mit der dortigen Regierung über die weitere Entwicklung austauschen sollte. Dass der Aukus-Pakt auf lange Sicht die Positionen des Westens stärkt, kann man – nicht nur mit Blick auf die von ihm verursachten innerwestlichen Spannungen – bezweifeln.

Jörg Kronauer

ist Soziologe und freier Journalist und lebt in London.