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Bergbau-Multi unter Druck

Über Jahrzehnte hat der australische Bergbaukonzern Rio Tinto ohne Rücksicht auf Einwohner*innen agiert – doch das Blatt wendet sich

Von Volker Böge

Eine Frau steht am Rande eines Kraters und zeigt auf edssen Mittelpunkt, eine vom Berbau geformte Landschaft
Bougainville-Ministerin und Mitanklägerin Theonila Matbob am Ground Zero der Panguna-Mine. Foto: Human Rights Law Centre

Ende Mai 2020 hatte der britisch-australische Bergbaukonzern Rio Tinto die Juukan Gorge in Westaustralien in die Luft gesprengt – eine Höhle, die Spuren von 46.000 Jahren Nutzung aufweist und 6.000 Jahre alte Malereien und andere archäologisch äußerst wertvolle Artefakte enthält. Sie ist für die örtlichen Puuti Kunti Kurrama und Pinikura (PKKP), australische Aborigines, ein »sacred site«, ein Ort von großer spiritueller Bedeutung, und wurde von Expert*innen als von »höchstem archäologischen Wert« eingestuft. Aber sie stand der Erweiterung einer Rio-Eisenerzmine im Weg und wurde daher weggesprengt.

In Teilen der australischen Öffentlichkeit gab es einen Aufschrei der Empörung. Rio erklärte, rechtlich wäre die Sprengung voll in Ordnung gewesen, aber es täte ihr leid, wenn sie die Gefühle der PKKP verletzt haben sollte, das solle nicht wieder vorkommen. Diese schlappe Erklärung reichte nicht. Die Angelegenheit hatte zu großen Wirbel verursacht. Es wurde eine parlamentarische Untersuchungskommission eingerichtet, und Rio Tinto musste zugeben, dass es andere Möglichkeiten gegeben hätte, die Eisenerzmine zu erweitern. Diese Alternativen hätten aber rund 135 Millionen australische Dollar (etwa 85 Millionen Euro) weniger Einnahmen gebracht. Und was sind schon 46.000 Jahre Kultur gegen 135 Millionen Dollar Profit? Die Rio-Bosse ritten sich immer tiefer in die Bredouille. Schließlich mussten Köpfe rollen: Der CEO (Geschäftsführer) und zwei weitere hochrangige Manager wurden gefeuert. Rio versprach eine eigene interne Untersuchung, Reformen der betriebsinternen Abläufe und der Konzern»kultur«. Der eigene Untersuchungsbericht zum Vorfall, den Rio veröffentlichte, wurde allerdings von der parlamentarischen Untersuchungskommission als äußerst mangelhaft, unangemessen und intransparent kritisiert.

In ihrem eigenen Zwischenbericht, den die Kommission am 9. Dezember vorlegte, wurde die Zerstörung der Juukan Gorge als unentschuldbar bezeichnet. Die Kommission verlangte von Rio, die PKKP umfassend zu entschädigen, und mahnte tiefgehende Reformen und Verhaltensänderungen sowie neue gesetzliche Regelungen an. Denn juristisch gesehen ging bei der Zerstörung der Juukan Gorge alles mit rechten Dingen zu, und Rio Tinto und andere Bergbaumultis haben noch tausende weitere »sacred sites« in Australien auf der Liste, die ihren Profiten im Wege stehen und weggesprengt werden sollen. Das wird nach der Empörung über Juukan Gorge eventuell nicht mehr so leicht möglich sein. Jedenfalls ist Rio Tinto, einer der größten Bergbaukonzerne der Welt, zur Zeit arg unter Druck. Der Konzern musste sich wiederholt bei den PKKP entschuldigen und einem Bergbau-Moratorium in der Juukan-Gorge-Region zustimmen. Und jetzt holt ihn auch noch seine dreckige Vergangenheit in Bougainville ein.

Panguna – ein vergiftetes Erbe

Anfang November 2020 nahm die australische Regierung eine Beschwerde gegen Rio an, in der es um die Umweltzerstörungen und Menschenrechtsverletzungen geht, die der Konzern auf der Insel Bougainville (Papua-Neuguinea – PNG) zu verantworten hat. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Law Centre (HRLC) Melbourne hatte diese Beschwerde im Auftrag von mehr als 150 Menschen eingereicht, die unter Folgeschäden der von Rio ehemals betriebenen Panguna-Mine leiden. Die Betroffenen fordern vom Konzern, sich seiner Verantwortung zu stellen und einen substanziellen Beitrag zur Behebung der Umweltkatastrophe auf Bougainville zu leisten. Rio hatte sich lange Zeit geweigert, ein solches Ansinnen überhaupt nur zu diskutieren, musste sich nun angesichts des wachsenden Drucks zu einem Schlichtungsverfahren bereit erklären.

Die Mine brachte Rio enorme Profite; die örtliche Bevölkerung dagegen ging leer aus.

Die Panguna-Mine auf Bougainville war in den 1970er und 1980er Jahren eine der größten Gold- und Kupferminen der Welt. Sie wurde betrieben von der Firma Bougainville Copper Limited (BCL), einer Tochter Rio Tintos. Das Kupfererz aus der Mine wurde weitestgehend zur Weiterverarbeitung bei der Norddeutschen Affinerie (heute Arubis) nach Hamburg verschifft. Die Mine brachte Rio enorme Profite. Die örtliche Bevölkerung dagegen ging weitgehend leer aus und musste die negativen ökologischen, sozialen und kulturellen Folgen des Bergbaubetriebs tragen. Proteste der örtlichen Bevölkerung und massive Repression der Sicherheitskräfte Papua-Neuguineas mündeten in einen zehnjährigen Bürgerkrieg. Die Panguna-Mine musste bereits zu Beginn des Krieges 1990 ihren Betrieb einstellen. Seither liegt sie still. Es hat nie eine geordnete Minenschließung gegeben.

Die Menschen im Minengebiet leiden noch heute unter den Folgen des Minenbetriebs: Riesige, früher landwirtschaftlich genutzte Flächen sind unter dem Minenabraum verschwunden (die Menschen vor Ort sprechen von einer Wüste), das Wasser der Flüsse ist belastet, die seinerzeit zwangsumgesiedelten Menschen leben in erbärmlichen Verhältnissen. Die Einwohner*innen führen vielfältige Gesundheitsprobleme auf die umweltzerstörerische Hinterlassenschaft der Mine zurück.

Im Juni 2016 verschenkte Rio Tinto seine Mehrheitsanteile der Tochterfirma BCL an die Zentralregierung PNGs und die Autonomieregierung Bougainvilles (Autonomous Bougainville Government – ABG) und machte gleichzeitig klar, dass man damit keinerlei Verantwortung mehr trage für die Minen-Hinterlassenschaften. Wie auch anfänglich beim Juukan-Gorge-Skandal, argumentierte Rio, dass man sich an die Gesetze gehalten habe, die für den Minenbetrieb seinerzeit gültig waren. Eine Verantwortung für die Umweltkatastrophe auf Bougainville sehe man daher nicht. Diese Haltung stieß in Bougainville sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei der ABG auf heftigen Protest. Letztere erklärte, es sei unakzeptabel, dass sich Rio einfach aus dem Staub machen wolle, und rief zu einer internationalen Kampagne gegen den Multi auf. (ak 619)

Beschwerde und Kampagne

Eine solche Kampagne kam nur langsam in Gang. Immerhin nahm sich die katholische Kirche, der bei weitem einflussreichste zivilgesellschaftliche Akteur auf Bougainville, der Sache an. Und auf internationaler Ebene engagierte sich das London Mining Network, ein internationaler Zusammenschluss von bergbau-kritischen NGOs mit einer langen Geschichte des Kampfes gegen Rio. Die katholische »Diocese of Bougainville« führte ein von MISEREOR aus Deutschland finanziertes Panguna Listening Project durch, in dessen Rahmen Geschichten über die Lebenssituation der Menschen im Minengebiet gesammelt wurden.

Die australische Menschenrechtsorganisation HRLC knüpfte hieran an. In Zusammenarbeit mit der Diözese und Partner*innen im Minengebiet setzte sie die Recherchen fort und publizierte im Mai 2020 eine weitere Broschüre. Auf Basis dieser Recherchen und der in ihrem Verlauf geknüpften Verbindungen zu den Gemeinden im Minengebiet konnte HRLC im September 2020 einen nächsten Schritt gehen. Im Auftrag von 156 Menschen aus dem Minengebiet wurde wegen der durch die Panguna-Mine verursachten Umweltzerstörungen und schweren Menschenrechtsverletzungen Beschwerde gegen Rio Tinto eingelegt. Die Beschwerde beruft sich auf die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und ist anhängig bei der nationalen australischen OECD Kontaktstelle, die im Finanzministerium angesiedelt ist. (1)

Rio Tinto, das jahrelang die Position vertreten hat, man habe mit dem Panguna-Problem nichts zu tun, hat nach Einreichung der Beschwerde erklärt, man sei sich bewusst, dass es gewisse Umwelt- und Menschenrechtsprobleme gebe, und man sei bereit, mit den betroffenen Gemeinden, der Autonomieregierung Bougainvilles und der Regierung PNGs zu reden – Juukan Gorge lässt grüßen. Anfang November 2020 wurde die Beschwerde nach Prüfung durch einen unabhängigen Gutachter vom australischen OECD-Kontaktpunkt angenommen. Rio Tinto musste sich mit einem Schlichtungsverfahren einverstanden erklären. Die Konfliktparteien einigten sich auf ein Rahmenabkommen für das Verfahren, und Mitte Dezember gab es ein erstes Online-Treffen von Vertreter*innen der betroffenen Gemeinden, HRLC und Rio. Jetzt kommt es darauf an, dafür zu sorgen, dass Gespräche hinter verschlossenen Türen nicht irgendwann im Sande verlaufen oder mit faulen Kompromissen enden, sondern dass der öffentliche Druck verstärkt wird und der Konzern sich tatsächlich daran beteiligt, die von ihm verursachten Schäden zu beheben (soweit das überhaupt möglich ist) und Wiedergutmachung zu leisten.

Volker Böge

ist Historiker. Er lebt in Brisbane.

Anmerkung:

1) OECD steht für die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der die 37 reichsten Länder der Welt angehören.