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Mit brennender Geduld

Bougainville stimmt für die Unabhängigkeit von Papua-Neuguinea. Die Umsetzung des Votums kann aber noch dauern

Von Volker Böge

Der 11. Dezember 2019 ist ein historischer Tag für die Menschen auf der Pazifikinsel Bougainville. Der Vorsitzende der Bougainville-Referendums-Kommission, der ehemalige irische Premierminister Bertie Ahern, verkündet das Ergebnis des Referendums über den zukünftigen politischen Status der Insel: Bei einer Wahlbeteiligung von 86 Prozent votierten 97,7 Prozent der abstimmenden Bougainvilleans für die Unabhängigkeit von Papua-Neuguinea (PNG), nur zwei Prozent für den Verbleib, kombiniert mit »größerer Autonomie«. Dieses Votum ist ein Meilenstein in dem jahrzehntelangen Friedensprozess auf Bougainville, allerdings noch nicht dessen krönender Abschluss. Denn gemäß dem Friedensvertrag von August 2001 ist das Referendum nicht bindend. Erst müssen noch die Zentralregierung von PNG und die Autonomieregierung Bougainvilles in »Konsultationen« eintreten; danach muss das Parlament von PNG das Ergebnis ratifizieren. Auch wenn das eindeutige Votum den Bougainvilleans eine starke Ausgangsposition für die Verhandlungen verschafft, ist mit einem langwierigen Transitionsprozess zu rechnen.

Von 1989 bis 1998 war Bougainville Schauplatz eines Sezessionskrieges, der rund 20.000 Menschen – bei einer Gesamtbevölkerung von damals etwa 200.000 – das Leben kostete. Es bekämpften sich die sezessionistische Bougainville Revolutionary Army (BRA) und die Sicherheitskräfte der Zentralregierung von Papua Neuguinea, unterstützt von lokalen Milizen, den sogenannten Resistance Forces. Die 1997 zwischen den Kriegsparteien aufgenommenen Verhandlungen mündeten 1998 in einen permanenten Waffenstillstand und führten am 30. August 2001 zur Unterzeichnung des Bougainville Peace Agreement (BPA).

Bergbau, Umweltzerstörung, Krieg

Wesentlicher Auslöser des Sezessionskrieges auf Bougainville war ein riesiges Bergbauprojekt im Zentrum der Insel. Die Panguna-Mine war in den 1970er und 1980er Jahren eine der größten Gold- und Kupferminen der Welt. Betrieben wurde sie von der Firma Bougainville Copper Limited (BCL), einer Tochter des Bergbaumultis Conzinc Riotinto of Australia – heute Rio Tinto. Ein großer Teil des Kupfererzes aus der Mine wurde nach Hamburg verschifft, zur Weiterverarbeitung bei der Norddeutschen Affinerie. Die Mine brachte Rio Tinto enorme Profite und der Zentralregierung von Papua-Neuguinea (PNG) erhebliche Staatseinkünfte. Die örtliche Bevölkerung dagegen ging weitgehend leer aus und musste die negativen Folgen des Bergbaubetriebs tragen. Die massiven Umweltzerstörungen und die sozialen Verwerfungen, die durch den Minenbetrieb verursacht wurden, führten zu Protesten. Die Zentralregierung PNGs reagierte darauf mit dem Einsatz von Polizei und Militär. Das wiederum führte zur Bildung der sezessionistischen Bougainville Revolutionary Army (BRA). Was als lokaler Protest gegen die Mine begann, eskalierte so zum längsten und blutigsten Gewaltkonflikt im Südpazifik seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Panguna-Mine wurde während des Krieges bereits 1990 von der BRA besetzt und musste ihren Betrieb einstellen. Seither liegt sie still. Im Juni 2016 gab Rio Tinto seine BCL-Mehrheitsanteile zu gleichen Teilen an die Zentralregierung PNGs und die Autonomieregierung ab. Gleichzeitig erklärte Rio Tinto, dass es damit keinerlei Verantwortung mehr habe für die Beseitigung der gravierenden Umweltzerstörungen, unter denen noch heute Zehntausende leiden. Wie es mit der Mine weitergehen soll, ist umstritten. Die einen wollen sie wieder aufmachen, weil die Einkünfte aus der Mine dringend gebraucht würden, um die Unanbhängigkeit Bougainvilles finanziell abzusichern. Die anderen sind strikt gegen die Wiederinbetriebnahme. Sie argumentieren mit dem unendlichen Leid, das die Mine über Bougainville gebracht habe.

Es hat drei zentrale Elemente: Abrüstung und Demobilisierung, Autonomie für Bougainville innerhalb des Staatsverbands von PNG sowie ein Referendum über den künftigen politischen Status. In der Folge zogen sich Militär und Polizei PNGs von der Insel zurück, und die BRA vollzog einen Entwaffnungs- und Demobilisierungsprozess. Bougainville und einige weitere zur Region gehörende kleinere Inseln bekamen den Status einer Autonomieregion innerhalb PNGs mit weitreichenden Kompetenzen, einer eigenen Verfassung und einer eigenen Autonomieregierung: Autonomous Bougainville Government (ABG). Wahlen zum ABG fanden erstmals im Juni 2005 statt, dann wieder in 2010 und 2015. Das Referendum sollte frühestens zehn und spätestens 15 Jahre nach den ersten ABG-Wahlen, also zwischen Juni 2015 und Juni 2020, stattfinden. Laut BPA musste dabei eine Option die vollständige Unabhängigkeit Bougainvilles sein.

Der Weg zum Referendum

Die Zentralregierung von PNG tat in den Jahren nach Abschluss des Abkommens wenig, um die Autonomie für die Bougainvilleans attraktiv zu machen. Im Gegenteil: Die Region wurde vernachlässigt, Zusagen zur finanziellen Unterstützung des Wiederaufbaus wurden nicht eingehalten, für Bougainville bestimmte Gelder kamen gar nicht oder nur teilweise und mit großer Verzögerung an. Selbst jene Kräfte, die anfangs der Forderung nach Sezession ablehnend gegenüberstanden, wechselten ins Lager der Unabhängigkeitsbefürwortung. Dazu trug auch bei, dass der lokale Friedens- und Versöhnungsprozess sehr erfolgreich verlief und die ehemaligen Kontrahenten – Bougainville Revolutionary Army und Resistance Forces – zusammenrückten. Schließlich sprachen sich selbst jene politischen Führer auf Bougainville, die während des Krieges und in der ersten Phase des Friedensprozesses auf Seiten PNGs gestanden hatten, für die Unabhängigkeit aus. Und so gab es auf Bougainville keine relevanten Kräfte, die offen für den Verbleib bei PNG eintraten. Die Folge: mickrige zwei Prozent für die Option »größere Autonomie«.

Im Mai 2016 hatten die Regierung PNGs und das ABG den 15. Juni 2019 als Zieldatum für die Durchführung des Referendums festgelegt. Erst im Oktober 2018 einigte man sich auf die zur Abstimmung zu stellende Frage. Die Bougainville-Seite wollte ein simples Ja oder Nein zur Unabhängigkeit. Das wurde von der PNG-Regierung abgelehnt. Schließlich verständigte man sich auf die Alternative »größere Autonomie« (Option 1) oder »Unabhängigkeit« (Option 2).

Die Vorbereitung des Referendums kam dann aber nur schleppend in Gang, insbesondere wegen der Verzögerungstaktik der PNG-Regierung, die die Auszahlung zugesagter Gelder verschleppte und auch sonst wenig Engagement zeigte. Die Finanzierungslücken wurden großenteils von den UN gefüllt. Dennoch musste der Beginn des Referendums verschoben werden, zunächst auf den 12. Oktober, dann noch einmal auf den 23. November.

An der Basis in Bougainville hingegen wurde das Referendum mit Energie und Enthusiasmus vorbereitet. Jeder Wahlkreis, jedes Dorf und jeder Clan setzte alles daran, sich »referendum ready« zu erklären. Allerorten wurden Versöhnungsprozesse, die noch aus der Zeit des Krieges anhängig waren, abgeschlossen; Waffen, die vom ursprünglichen Entwaffnungsprozess »übrig geblieben« waren, wurden abgegeben. Selbst Hardcorefraktionen der ehemaligen BRA, die sich dem Friedensprozess bis dahin nicht angeschlossen, ihn aber auch nicht behindert hatten, gaben nun ihre Waffen ab und beteiligten sich an den Referendumsvorbereitungen. Nach und nach erklärten sich alle Orte Bougainvilles »referendum ready«.

Vor zähen Verhandlungen

Und so verlief denn auch das Referendum, das zwischen dem 23. November und dem 7. Dezember durchgeführt wurde, in vorbildlicher Form. Die internationalen Beobachter*innen (aus Australien, EU, USA, Japan usw.) bescheinigten einen transparenten, freien und fairen Verlauf. Auch die Auszählung der Stimmen verlief reibungslos. Der PNG-Seite blieb nichts anderes übrig als anzuerkennen, dass die Bougainvilleans ein klares Votum abgegeben haben.

Diese Anerkennung des Votums bedeutet allerdings nicht, dass die PNG-Regierung nun Bougainville ohne weiteres ziehen lassen wird. Zwar kann sie das Ergebnis nicht einfach ignorieren, doch Regierungsvertreter haben klar gemacht, dass PNG auf dem 2001 im BPA festgelegten Verfahren besteht: »Konsultationen« über das Ergebnis und Ratifizierung durch das PNG-Parlament. Damit stehen zähe, womöglich jahrelange Verhandlungen ins Haus. Beide Seiten hatten bereits vor dem Referendum eine »Joint Post-Referendum Transition Task Force« eingerichtet, die den Transitionsprozess vorbereiten sollte. Für die Bougainville-Seite ist nach dem Ergebnis vom 11. Dezember klar, dass es nur um einen Übergang zur Unabhängigkeit gehen kann. Dabei rechnen die Bougainvilleans mit der Unterstützung der »internationalen Gemeinschaft« (UN, Australien, Neuseeland …), argumentierend, dass diese an einem demokratischen Votum von 98 Prozent nicht vorbeigehen könne. Bisher jedoch hat insbesondere die regionale Vormacht Australien wenig Begeisterung für die Gründung eines weiteren kleinen Inselstaates in der Nachbarschaft gezeigt.

Bougainvilles Politiker*innen befinden sich in einer schwierigen Lage: Zum einen dürfen sie die Erwartungen ihrer Bevölkerung nicht enttäuschen; zum anderen müssen sie sich realistischerweise auf einen mehr oder minder langen (man munkelt von fünf bis zehn Jahren) Transitionsprozess einlassen. Denn noch fehlen die Voraussetzungen für eine tatsächliche Umsetzung des Unabhängigkeitsvotums. Dies ist auch der großen Mehrheit der Bougainvilleans bewusst – die Vorstellung: heute Referendum, morgen Party, übermorgen Unabhängigkeit – ist dank der gründlichen Referendumsvorbereitungen an der Basis definitiv vom Tisch. Die Bougainvilleans haben bisher im Friedensprozess sehr viel Geduld gezeigt, und sie werden weiter geduldig sein – wenn sie gewiss sein können, dass die Richtung stimmt.

Volker Böge

ist Historiker. Er lebt in Brisbane.