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Feministinnen mit Handkameras

Die Ausstellung »Widerständige Musen« in der Kunsthalle Wien widmet sich der Politisierung und feministischen Aneignung von Videotechnologie seit den 1970er Jahren in Frankreich

Von Elena Baumeister und Bianca Jasmina Rauch

Ein Ausstellungsraum, in der Mitte wird ein Kleidungsstück oder eine Rüstung ausgestellt, auf der rechten Seite steht eine Leinwand, auf der ein Video läuft
Mit der neuen Videotechnologie ließen sich die emanzipatorischen Kämpfe in Frankreich sowohl filmisch dokumentieren als auch beeinflussen. Feministische Videokollektive machten sich dieses Potenzial zu eigen. Foto: Markus Wörgötter

Am Beginn der Ausstellung »Widerständige Musen« steht die Selbstbewusstwerdung Delphine Seyrigs. Im patriarchal geprägten Autorenkino der 1960er Jahre wurde die Schauspielerin international bekannt und als göttlich-weibliche Schönheit gefeiert, fetischisiert und vermarktet, bevor sie sich in den frühen 1970er Jahren vor und hinter der Kamera politisierte. Beginnend mit Chantal Akermans Film »Jeanne Dielman, 23 quai du Commerce, 1080 Bruxelles« und Marguerite Duras’ »India Song« nahm sie nur noch komplexe Rollen an und arbeitete mit feministischen Regisseurinnen zusammen, darunter auch Ulrike Ottinger und Agnès Varda. Als bekannte Persönlichkeit nutzte sie zudem ihr Privileg, um Positionen zu vertreten, die von der damaligen Öffentlichkeit als radikal wahrgenommen wurden. Ihre Aussagen überraschen bis heute durch die Aktualität ihres provokativen Potenzials wie beispielsweise der 1972 in einer Fernsehsendung im Kontext der Kämpfe um das Recht auf Abtreibung formulierte Satz: »Ein Kind aufzuziehen ist für eine Frau traumatischer als abzutreiben.« 

»Widerständige Musen«, kuratiert von Nataša Petrešin-Bachelez und Giovanna Zapperi, nutzt multimediale Exponate, allen voran Videos, aber auch Kostüme, Fotografien, Briefe und Storyboards als Vorlagen für eine Ausstellungserzählung über die Zweite Frauenbewegung in Frankreich und ihren Einsatz von Bewegtbildern als aktivistische Praxis. Sie versuchen so den Bogen zu spannen zwischen der Schauspielerin Seyrig als einzelner, vielfältiger Akteurin und der Arbeit der feministischen Kollektive im Frankreich der 1970er und 1980er Jahre. Wesentlich für deren Arbeit war nicht nur ein solidarisches Agieren, sondern auch die Möglichkeit der neuen Videotechnologie, Bewegtbilder einerseits mit mobilen und vergleichsweise günstigen Geräten und Prozessen herzustellen und diese andererseits den gefilmten Personen direkt nach der Aufnahme zu zeigen: Beide Seiten konnten so in Dialog treten und Machtverhältnisse zwischen Filmenden und Gefilmten aufbrechen – so jedenfalls beschreibt es die Filmemacherin Carole Roussopoulos, die Seyrig 1975 bei einem Workshop zur Sony Portapak Videokamera kennenlernte, in einem Wandzitat.

Miso und Maso fahren Boot

Das von Seyrig mit Roussopoulos und Ioana Wieder gegründete Kollektiv »Les Insoumuses« (Widerständige Musen) erzeugte eine große künstlerische Bandbreite von Videoarbeiten. Interviews, dokumentarische Aufnahmen, parodistische Filmkommentare und Reenactments verwiesen auf aktivistische Inhalte wie den Einsatz für das Recht auf Abtreibung, für die Rechte von Schauspieler*innen, Sexarbeiter*innen und von LGBTQI+ Personen. Das Video »Maso et Miso vont en bateau« (Miso und Maso fahren Boot) von 1976 wiederum ist eine humorvolle mediale Intervention, die die Rolle von Frauen als Komplizinnen des Patriarchats anprangert – »Maso« meint masochistisch und »Miso« misogyn. Auf Bild- und Tonebene dekonstruiert, gestört und kommentiert wird der Ausschnitt eines TV-Interviews mit der damaligen französischen »Staatssekretärin für die Lage der Frau« Françoise Giroud, die die sexistischen Aussagen ihres männlichen Gesprächspartners reproduziert, um die eigene Machtposition zu sichern. »Les Insoumuses« solidarisierten sich mit Arbeitskämpfen, engagierten sich in der Antipsychiatrie-Bewegung und agierten in transnationalen Netzwerken mit diversen Aktivist*innen. Mit der US-Amerikanerin Jane Fonda etwa, die in den 1960er Jahren als Sexsymbol Berühmtheit erlangte, produzierte Seyrig 1974 die Dokumentation »Femmes au Vietnam« (Frauen in Vietnam), die Einblicke in die Realität der Frauen während des Vietnamkrieges geben sollte.

Beide Seiten konnten so in Dialog treten und Machtverhältnisse zwischen Filmenden und Gefilmten aufbrechen.

Durch ihre künstlerische Arbeit schrieben sich die feministischen Videokollektive in die emanzipatorischen Kämpfe der 1970er und 1980er Jahre ebenso ein, wie sie sie dokumentierten. Viele der in der Ausstellung teilweise in voller Länge, teilweise in Exzerpten gezeigten Videos sind dem vom Kollektiv 1982 gegründeten und nach der französischen feministischen Theoretikerin benannten »Centre audiovisuel Simone de Beauvoir« entliehen. An Videostationen manifestiert sich die Bedeutung von Archivierung und Zugänglichmachung von marginalisierter Geschichte für die Verortung heutiger Kämpfe und kritischer Wissenschaften. Trotz der Bandbreite der gebotenen Hintergrundinformationen – die Ausstellung wird durch ein umfassendes Booklet begleitet – und der großen Fülle des teilweise nur im französischen Originalton zur Verfügung gestellten Audiomaterials, sind die Ausstellungsbesucher*innen zeitweise angehalten, Verknüpfungen selbst herzustellen. An anderen Stellen drängt sich die Frage auf, ob der Umfang der Exponate dem roten Faden der Ausstellung gerecht wird, insbesondere wenn manch eine komplexe innerfeministische Auseinandersetzung im Ausstellungstext nur angerissen wird. 

Irritation und Inspiration

»Widerständige Musen« vermittelt einen Eindruck der Kämpfe zur Zeit der Zweiten Frauenbewegung und ihrer vielfältigen Vernetzungen. Indem bestimmte Details unkommentiert bleiben, lässt die Ausstellung, auf Tuchfühlung mit dem historischen Material, jedoch Momente der Irritation entstehen. Aus einer intersektionalen und sensibilisierten Perspektive wirken manche Aussagen und Kategorisierungen, die aus dem dominierenden Tonfall der Zweiten Frauenbewegung heraus formuliert sind, problematisch. Ohne Kontextualisierung oder Kommentar verpasst sie es somit, eine strategische Brücke in die Gegenwart zu schlagen. Aktivistische Arbeit wird am Beispiel Seyrigs als Fortsetzung eines künstlerischen Selbstverständnisses präsentiert und künstlerische Produktionen wiederum im Aktivismus verortet. So wird ein Eintauchen in eine Zeit ermöglicht, in der feministische Aktivistinnen sich des Bewegtbildes ermächtigten und die Selbst- und Fremdwahrnehmung von Frauen als eigenständige Subjekte mit künstlerischen Mitteln revolutionierten. Die Schau hätte die Umdeutung der Schauspielerin zur Aktivistin im Grunde als gesetzt vermitteln können, denn zumindest in cinephilen Kreisen war Seyrig spätestens seit dem Dokumentarfilm »Delphine et Carole, insoumuses« (Callisto Mc Nulty 2019) vielen bereits als Sprecherin der Zweiten Frauenbewegung in Frankreich bekannt. Dennoch bleibt am Ende ein stimmiger Eindruck der Ausstellungserzählung von »Widerständigen Musen«, spiegelt diese doch den Kern der feministischen Praxis Seyrigs und ihres Kollektivs wider: nur gemeinsam sind wir stark.

Bianca Jasmina Rauch

ist Filmwissenschaftlerin aus Wien mit einem Schwerpunkt auf feministisches Kino.

Elena Baumeister

ist Filmwissenschaftlerin aus Berlin mit einem Schwerpunkt auf feministisches Kino.

Die Ausstellung »Widerständige Musen« ist noch bis zum 4. September in der Kunsthalle Wien zu sehen.