Satt dank Replikator
Torsten Bewernitz hat ein Büchlein über die emanzipatorischen Aspekte von »Star Trek« vorgelegt
Von Peter Seyferth

Wenn ich abends zu müde bin, um theoretische oder literarisch anspruchsvolle Texte zu lesen, wenn ich einfach nur die Füße hochlegen, ein Bier öffnen und die Glotze anschalten will, begegne ich überall der Dystopie: pseudohistorischer Königsmist, pseudorealistischer Polizeimist, pseudozukünftiger Dystopiemist. Utopien können nicht verfilmt werden, jedenfalls nicht als Spielfilm, stellte einmal der Filmwissenschaftler Simon Spiegel fest. Was nun? Torsten Bewernitz hat die Antwort: »Star Trek«. Er gibt die Antwort in einem kurzweiligen Buch, dessen Titel eine Frage ist: »What Would Picard Do?« Das Buch ist ein politischer Blick auf das Raumschiff Enterprise und die Welt, durch die es fliegt. Eine Welt, die zugleich eine Utopie ist. Jean-Luc Picard ist Kapitän des berühmten Raumschiffs.
Bewernitz schreibt gegen einen Trend an. Weil sie überall sind, erschrecken uns Dystopien gar nicht mehr; wir haben uns an sie gewöhnt; sie gewöhnen uns an das Schlimme, das uns blüht; sie inspirieren die Möchtegern-Tyrannen. Daher stellt die Science-Fiction-Expertin Isabella Herrmann in ihrem neuesten Buch »Zukunft ohne Angst« fest, dass als »Antwort auf den als destruktiv wahrgenommenen Dystopieboom (…) mehr utopische, positive und optimistische Entwürfe gefordert« werden sollten. Sie verweist auf »Anti-Dystopien«, in denen die Überwindung schrecklicher Zustände vorstellbar gemacht wird. Literarische Beispiele wären etwa Octavia Butlers »Parable of the Sower« (1993), Cory Doctorows »Walkaway« (2017) oder Kim Stanley Robinsons »The Ministry for the Future« (2020). Sie stehen in der Tradition der kritischen Utopien seit Ursula K. Le Guins »The Dispossessed« (1974): Entwürfe besserer Gesellschaften, die aber nicht perfekt sind und gerade dadurch, dass sie die Möglichkeit und sogar Wahrscheinlichkeit schlechter Entwicklungen eingestehen, dem Umschlag in den Despotismus vorbeugen. Wenn die Beschreibungen alternativer Gesellschaftsformen zu gut werden, schlagen sie in ihr Gegenteil um. Der Ausweg ist die richtige Mischung aus Schrecken und Hoffnung. So wie in der emanzipatorischen politischen Theorie, in der ebenfalls sowohl die schlechten Realitäten und Tendenzen analysiert und kritisiert als auch bessere Möglichkeiten und Ziele in Aussicht gestellt werden sollten.
Das Buch ist ein politischer Blick auf das Raumschiff Enterprise.
Auch »Star Trek« bietet auf dem Bildschirm diese Mischung aus Kritik und Utopie. Bewernitz geht systematisch an das Film- und Serien-Franchise heran. Er behandelt in je eigenen Kapiteln das sozialistische Wirtschaftssystem der Vereinigten Föderation der Planeten, deren Umgang mit künstlicher Intelligenz, Krieg, Rassismus, Gender und Völkermord. Obwohl es zu jedem dieser Themen auch fragwürdige Ansätze im »Star-Trek«-Universum gibt, sticht es doch dadurch hervor, dass darin fortschrittliche Ideale immer wieder positiv dargestellt werden. Bewernitz’ Buch ist so flott geschrieben, dass es auch im Zustand der Feierabenderschöpfung noch lesbar ist. »What Would Picard Do?« ist ein begeistertes und begründetes Plädoyer, mehr »Star Trek« zu sehen – zur Unterhaltung und gleichzeitig als Reflexion über viele Themen, die uns als Linke umtreiben.
In dem Zeitabschnitt, der in der Serie »The Next Generation« erzählt wird, erklärt Picard gelegentlich Menschen aus früheren Zeiten, die noch im Kapitalismus leben mussten, dass das Streben nach großen Reichtümern beendet und das Geld abgeschafft worden sei – Replikatoren, eine Art Wundermaschine, befriedigen weitgehend materielle Bedürfnisse, die Verbesserung der eigenen Person und der Menschheit ist die neue Motivation für das Handeln. Das klingt utopisch, obwohl auch wir bereits in einer technischen Wunderwelt leben, in der Dinge möglich sind, die in vergangenen Jahrhunderten als Magie gegolten hätten. Doch Bewernitz betont, dass »Star Trek« keineswegs einfach nur eine schöne, neue Vielfalt von Welten ist. Im gesamten Universum der Serie kommen auch frühere, noch kapitalistische Zeiträume und spätere Phasen vor, in denen die Föderation an Stärke verloren hat, und zahlreiche Planeten sind einfach nur dystopisch. Knappheit kann schon aus narrativen Gründen nicht ganz verschwinden, weil der Bedarf an dem seltenen, für den Warp-Antrieb der Raumschiffe aber notwendigen Dilithium für spannende Konflikte sorgen kann. Und schon mit der Titelfrage stellt Bewernitz nicht ein System, sondern verantwortungsvolles menschliches Handeln in den Mittelpunkt. Picard ist ein Guter, aber selbstverständlich fehlbar. Falls »Star Trek« also utopisch ist, dann nicht als Blaupause für ein technisch-institutionelles Design, sondern als persönliche Inspiration und sogar als Fluchtpunkt aus unserer real-hässlichen Welt. Gerade zum Feierabend.
Zu den Stärken des Buches gehört, dass Bewernitz oft Ursula K. Le Guin zu Wort kommen lässt, die wie keine zweite die kritische Utopie vorangetrieben hat und außerdem »Star Trek« wirklich mochte. Bewernitz’ nerdiger, informationsübervoller Plauderton zählt ebenfalls zu den Stärken des Buches. Allerdings vertritt er keine übergreifende These, von der er uns überzeugen will. Der ehemaligen griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat ein Kapitel beigesteuert, der Kunsthistoriker Jens Kastner ebenfalls. Durch die Illustrationen des Anarcho-Zeichners Findus ist das Buch zudem recht ansehnlich.
Torsten Bewernitz: What Would Picard Do? Star Trek als Social Fiction. Unrast Verlag, Münster 2025. 144 Seiten, 14 EUR.