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»Wir haben unsere Löhne gesenkt«

Tatjana Niederberghaus von Unrast über den Umgang mit der Verlagskrise und linkes Publizieren

Interview: Johannes Tesfai

Tatjana Niederberghaus ist Teil des Verlagskollektives und findet den antirassistischen Schwerpunkt dort wichtig. Foto: privat.

Der Unrast Verlag wurde 1989 in Münster gegründet. Aus der autonom-anarchistischen Szene kommend, ist er mittlerweile einer der linken Publikumsverlage in Deutschland. Das Programm bedient sowohl Themen linker Bewegungen als auch theoretische Debatten. Bücher finden sich zu vielen linken Mobilisierungsthemen: Kurdistan, Feminismus und Reproduktion, Antifaschismus, aber auch klassische Texte aus der Arbeiter*innenbewegung und dem historischen Anarchismus. Als der Umsatz des Verlages im Frühjahr einbrach, entschied sich das Kollektiv, eine Crowdfunding-Kampagne zu starten.

Was macht den Unrast Verlag links?

Tatjana Niederberghaus: Das ist eine gute Frage, die ich mir auch oft stelle, da ich dazu gerne mal ein Buch machen würde. Links ist ja ein sehr weit gefasster Begriff. Was ist für die Leser*innen links, was für verschiedene Menschen? Mein ganz persönliches Verständnis von Linkssein ist es, für marginalisierte Gruppen einzutreten, allen Menschen eine Stimme zu geben, emanzipatorisch zu agieren und Sachen nicht als gesetzt zu betrachten, sondern zu hinterfragen und auch dafür einzustehen, dass Sachen nicht gesetzt sind, sondern hinterfragt werden sollten und auch dafür gekämpft werden sollte, um Sachen zu verändern, auch massiv.

Wie seht ihr euer Verhältnis zu linken Bewegungen oder, wenn mal nicht so viel passiert, zur linken Szene im weitesten Sinne?

Wir sind ein Kollektiv und haben unterschiedliche Schwerpunkte, sind alle ganz verschieden. Ich persönlich interessiere mich auch aus privaten Gründen für Antirassismus und Feminismus, andere im Kollektiv sehr für die kurdische Bewegung oder für kommunistische Texte. Wir kommen aus der Bewegung und wollen auch Bücher für die Bewegung machen.

Und warum braucht es linke Verlage?

Vor allem ist es wichtig, dass es linke Bewegungen gibt. Aber es ist auch wichtig, dass Gegenstimmen erzählt und archiviert werden. Bücher haben eine Langlebigkeit, das heißt, es kann mit ihnen gearbeitet werden, zum Beispiel kollektiv in Lesekreisen oder Kleingruppen. Daraus kann wiederum Bewegung entstehen. Bewegungen können gleichzeitig mit ihren Stimmen den Status quo der Gesellschaft infrage stellen und andere Möglichkeiten aufzeigen – auch durch Bücher. Indem sie sagen: Hier habt ihr das Buch dazu. Hier ist das Wissen.

Versteht ihr Bücher verlegen als eine Positionierung innerhalb von einem linken Diskurs?

Wir versuchen, die verschiedenen Programmsegmente, die wir haben, auch zu bedienen. So achten wir auf ein vielfältiges Programm, es sollten nicht zehn Bücher über Feminismus geplant sein, sondern auch etwas zu Antirassismus, ein Sachcomic, etwas zu Gender und Identitäten oder der linken Szene. Zudem versuchen wir, verschiedene Stimmen hörbar zu machen, und ich denke, ein Stück weit positionieren wir uns da auch. Was uns für eine linke Debatte lohnenswert erscheint, kann bei uns verlegt werden, auch wenn wir selbst nicht immer die Positionen teilen. Unrast versucht, Bücher aus der Bewegung für die Bewegung zu machen und dabei gegensätzliche Tendenzen innerhalb der Linken miteinander in Kontakt zu bringen und bestenfalls sogar zu versöhnen. Und natürlich sind wir klar antikapitalistisch.

Tatjana Niederberghaus

ist im Unrast Verlag für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich. Ihre Themenschwerpunkte sind Antidiskriminierung, Antirassismus sowie Gender und Klimagerechtigkeit. In ihrer Freizeit organisiert sie einen offenen Stammtisch für Afrodeutsche und Mixed-Identity FLINTA und bietet Wanderungen für PoC und Allys unter dem Motto »Reclaim the Forest« an.

Was sind Themen, die du eingebracht hast? Was möchtest du bei Unrast selbst gerne lesen?

Ich habe beruflich einen weniger politischen Background und komme aus der Dienstleistung, der Kultur und dem Tourismus. Mir ist oft aufgefallen, dass die Zielgruppen bei Unrast teils einseitig ausgemacht wurden. Mir ist es wichtig, dass alle Gruppen inkludiert werden, gerade auch die marginalisierten Gruppen, zu denen ich als PoC auch gehöre. Ich möchte, dass Menschen teilhaben können und ein Verständnis füreinander da ist. Deswegen ist mir der Antirassismus in unserem Programm sehr wichtig. Ich werbe, zumindest in meinem privaten Umfeld, stark dafür, dass sich die Menschen bilden, dass sich gerade weiße Menschen bilden. 90 Prozent der Durchschnittsbevölkerung behaupten von sich, sie seien antirassistisch. Ich möchte gerne, dass sie verstehen: Wir sind alle rassistisch sozialisiert, größtenteils und vor allem in diesem Land.

Was heißt es für das Unrast-Team, Kollektivbetrieb zu sein?

Unrast macht Bücher aus der Bewegung und für sie.

Ein Kollektivbetrieb bedeutet für uns, dass wir alle das Gleiche einbringen, soweit es denn geht. Wir arbeiten alle gleich viele Stunden und haben einen Einheitslohn. Wir treffen alle Entscheidungen möglichst gemeinsam und ohne, zumindest formale, Hierarchien. Es gibt keine*n Eigentümer*in. Wir verstehen uns zudem als politischen Verlag. Das heißt, wir haben moralische Grenzen, die wir einhalten wollen, und Werte, die wir vertreten. Aber wir versuchen auch, uns mit anderen Kollektiven zu vernetzen. Bei unserer Arbeit geht es nicht darum, dass wir Gewinne erwirtschaften wollen. Wenn wir einen Überschuss erzielen, wird der in Bücher, die wir sonst nicht finanzieren könnten, investiert. Inhaltlich sind wir uns nicht immer alle einig, aber das verstehen wir auch als Arbeit im Kollektiv, dass wir unsere Persönlichkeit mit einbringen können und für bestimmte Bücher plädieren oder ein Veto einlegen können.

Ihr habt euch entschieden, eine Crowdfunding-Kampagne zu starten, die jetzt ausgelaufen ist. Warum war das nötig?

Wir hatten einen massiven Umsatzeinbruch von um die 30 Prozent. Generell geht es dem Buchmarkt nicht allzu gut. Gleichzeitig sind unsere Kosten durch Rohstoff- und Transportpreise gestiegen. Die allgemeine Krise ist spürbar. Diese Kosten können und wollen wir nicht direkt auf die Bücher umlegen, obwohl unsere Fixkosten steigen. Denn wir müssten unsere Bücher sehr viel teurer machen, um das auszugleichen. Wir mussten schnell eine Lösung finden und haben erstmal unsere Löhne gesenkt. Zusätzlich haben wir zwei Mitarbeiter von uns freigestellt. Wir hoffen sehr, dass wir sie bald wieder zurückholen können. Doch das reichte nicht, um das Herbstprogramm zu drucken. Daher haben wir uns für die Crowdfunding-Kampagne entschieden. 

Habt ihr euer Crowdfunding-Ziel erreichen können?

Unser Ziel war 30.000 Euro, und wir haben 34.616 Euro bekommen. Das hat uns sehr gefreut. Die geplanten Bücher sind jetzt erschienen. Insgesamt waren wir überwältigt davon, dass so viele Menschen mitgemacht haben. Unser Bekanntheitsgrad hat sich gesteigert, und unsere Zielgruppe ist größer geworden. Menschen sind auf uns aufmerksam geworden, die sich vielleicht nicht explizit als links bezeichnen, sondern eher als interessierte Bürger*in. Menschen kennen jetzt den Verlag hinter den Büchern, die sie gelesen haben. Die Szenethemen waren übrigens bei der Crowdfunding-Kampagne weniger gefragt.

Welche Themen waren denn gefragt?

Obwohl wir wenig Belletristik verlegen, waren es Titel aus diesem Bereich, die gefragt waren. Aber auch das Sachbuch zu Ableismus und Behinderung ist gut vorbestellt worden. Der Titel zum Krieg in der Ukraine war hingegen kein Spitzenreiter, obwohl das gerade als Thema allgegenwärtig ist.

Zurück zur Krise des Buchhandels: Was sind gerade die drängendsten Probleme in der Branche?

Bei uns kleinen Verlagen ist das Hauptproblem, dass die Kosten gestiegen sind. Wir merken aber auch, dass viele Themen, für die wir stehen, von großen Verlagen ins Programm genommen werden.  Wir verlegen schon lange antirassistische Titel, jetzt ist es auch bei den großen Verlagen angekommen, dass Bücher von Schwarzen und PoC verkauft werden können. Der Erfolg der Black-Lives-Matter-Bewegung ist ein Stückweit in der Publikationslandschaft angekommen.

Merkt ihr die hohe Inflation in eurer Leser*innenschaft?

Ja. Wir merken, dass vermehrt Anfragen nach rabattierten Büchern oder nach Mängelexemplaren kommen. Durch den Krieg und die damit verbundene Energiekrise und die Inflation ist die Kaufkraft geschrumpft, und die Menschen sparen lieber, weil sie gerade nicht wissen, was auf sie zukommt. Viele können ihr Geld gerade nur für Miete, Brot und Butter ausgeben.

Ist ein Ende der Verlagskrise absehbar?

Ich denke, die ist temporär. Es gibt die Vermutung, dass viele Menschen in der Pandemie sehr viele Bücher gekauft haben, die erst mal gelesen werden wollen. Ich gehöre da auch zu. Ich habe zwei Bücherstapel zu Hause und muss die ganzen Bücher noch lesen. Bei Unrast wird es auch deshalb weitergehen, weil es immer soziale und politische Bewegungen geben wird. Es wird immer Stimmen geben, die gehört werden wollen, und da ist immer Wichtiges, was aufgeschrieben und verbreitet werden muss.

Im Oktober ist die Buchmesse in Frankfurt. Welche Rolle spielt die für euch, und seid ihr da vertreten?

Ja, sind wir. Es ist wichtig für uns, mit der ganzen Buchbranche in Kontakt zu bleiben, vor allem mit den anderen linken Verlage. Es gibt auch Bemühungen von linken Verlagen, sich gegen Rechts zu organisieren, die Verlage gegen Rechts. Und dann ist die Buchmesse wichtig, um Lesungen zu organisieren oder zu netzwerken. So kommen wir mit ausländischen linken Verlagen in Kontakt, schauen nach spannenden Übersetzungstiteln und können ihnen Rechte von unseren Büchern anbieten, so wurde etwa unser »Klassiker«, Bini Adamczaks »Kommunismus«, in über 20 Sprachen übersetzt.

Johannes Tesfai

ist Redakteur bei ak.