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Es braucht mehr Platz für Schwarze Ästhetiken

Die Schriftstellerin und Aktivistin Sharon Dodua Otoo über das von ihr kuratierte Literaturfestival »Resonanzen«

Interview: Jonas Berhe

Bild einer Schwarzen Frau, die auf einer Couch sitzt und ein Buch liest. Hinter ihr ein großes Regal voller Bücher
Schwarze deutsche Belletristik wird noch heute durch eine gewisse Brille rezipiert. Dabei geht vieles verloren. Foto: Seven Shooter, Unsplash

Ein Team von Expert*innen, sechs Nachwuchsautor*innen und viel Belletristik – Sharon Dodua Otoo spricht über das von ihr konzipierte und kuratierte Schwarze Literaturfestival »Resonanzen«, das vom 19. bis 21. Mai im Rahmen der Ruhrfestpiele Stattfindet.

Das von dir ins Leben gerufene »Resonanzen« Literaturfestival stellt Schwarze deutschsprachige Belletristik in den Mittelpunkt. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Sharon Dodua Otoo: Ich war letztes Jahr bei den Ruhrfestspielen mit einer Lesung dabei. Diese Kooperation war für beide Seiten so angenehm, dass ich gebeten wurde, die Eröffnungsrede der diesjährigen Festspiele zu halten. Nach meiner Zusage wurde ich auch gefragt, ob ich bereit wäre, einen Teil der regulären Festspiele, die ja seit 76 Jahren bestehen, mit zu kuratieren, um somit auch neue Zielgruppen zu erreichen. Dies traf auf meine Idee eines grundsätzlichen notwendigen Ansatzes einer »Intervention« in den Literaturbetrieb, also mehr Schwarzen Autor*innen Präsenz zu verleihen. Diese Idee wiederum hat dem Team der Ruhrfestspiele gefallen, und so kam beides zusammen.

Ein Porträt Otoo Sharon Dodua. Sie lehnt sich leicht nach rechts mit einer Hand im Haar.
Sharon Dodua Otoo. Foto: Johanna-Ghebray / Ruhrfestspiele Recklinghausen

Sharon Dodua Otoo

ist Schriftstellerin, Publizistin und politische Aktivistin. 2016 gewann Otoo mit dem Text »Herr Gröttrup setzt sich hin« den Ingeborg-Bachmann-Preis. 2020 hielt sie die Klagenfurter Rede »Dürfen Schwarze Blumen Malen?«. »Adas Raum«, ihr erster Roman, erschien 2021. Politisch aktiv ist Otoo bei der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, Phoenix e.V. und sie ist verbunden mit dem Schwarzen queer-feministischen Verein ADEFRA. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Der Zugang zur Intervention in den Literaturbetrieb ist also älter?

Ja. Da ich bei Podien oder literarischen Beiträgen oft die einzige Schwarze Person bin, denke ich eigentlich immer daran, wie es möglich wäre, weitere Schwarze Perspektiven zu unterstützen, damit auch sie Repräsentation finden. Oft bitte ich die mich einladenden Teams oder Einzelpersonen, noch einmal inne zu halten und zu überprüfen, wer aus der Schwarzen Community inhaltlich, thematisch und politisch passen könnte. Manchmal erlaube ich mir auch, selbst Vorschläge zu machen. Bisher waren das immer konstruktive Diskussionen.

Welche Literat*innen haben dich persönlich beeinflusst?

Immer und immer wieder als erste: Toni Morrison. Aber auch deutschsprachige Autoren habe ich während meines Germanistik-Studiums in London gerne gelesen. Allen voran waren es zumeist die sogenannten old white guys: Brecht hat mich immer inspiriert, gerade mit seiner Verflechtung von Humor, Gesellschaftskritik und Satire. Und auch Heinrich Böll habe ich sehr gerne gelesen. Zu seinem »Doktor Murkes gesammeltes Schweigen« habe ich kürzlich erst mit einem Team – einer Lektorin und einem Grafiker – eine neue Publikation umgesetzt. »Gesammeltes Schweigen« erscheint im Edition Zweifel.

Zurück zum Festival: Die Jury besteht aus Aminata Cissé Schleicher, Elisa Diallo, Ibou Coulibaly Diop und Dominique Haensell. Kannst du uns verraten, wie sich diese Gruppe gefunden hat?

Das ist eine wirklich schöne Frage. Drei der vier in der Jury kannte ich schon zuvor persönlich. Alle vier habe ich selbst angefragt. Ibou ist promovierter Literaturwissenschaftler und war sozusagen der Neue in der Runde für mich. Er war mir aufgrund seiner Tätigkeit als Kurator beim Humboldt-Forum aufgefallen. Mir hat gefallen, mit welchem politischen Anspruch er das gemacht bzw., dass er in einem Interview mit BARAZANI.berlin öffentlich machte, warum er mit der Arbeit dort aufgehört hat. Hinzu kam auch seine tief fundierte Kenntnis zur Négritude, Übersetzungen aus dem Französischen und seine Expertise zur Literatur in Europa. Ich war sehr froh, dass er zusagte. Mit Aminata bin ich aus der ISD (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland) schon lange befreundet und war aufgrund ihrer Übersetzungstätigkeiten, Radioarbeit und breiten Literaturkenntnissen von ihr überzeugt. Zudem finde ich ihre Afro-Deutsche Ostbiografie und der dem innewohnenden Blick sehr wichtig. Wer sie mal erlebt hat, kennt die Passion, mit der sie über Literatur redet und streitet. Dominique ist ebenfalls promovierte Literaturwissenschaftlerin, in verschiedenen Jurys tätig und hat mich mal für das Missy Magazine interviewt. Mir hat sehr gefallen, mit welcher Genauigkeit sie meinen Roman gelesen hat. Die nächste promovierte Literaturwissenschaftlerin ist Elisa Diallo. Ich lernte sie über ihre Arbeit bei einem großen Frankfurter Verlag kennen. Ihr Buch »Französisch verlernen« ist einem breiten Publikum bekannt, und sie selbst kennt den Literaturbetrieb von innen. Wir haben uns alle zusammen mehrmals online getroffen, und ich bin begeistert von der tollen Dynamik der Gruppe.

Ich bin begeistert von der tollen Dynamik der Gruppe.

Im Rahmen des dreitägigen Literaturfestivals werden sechs Nachwuchs-Schriftsteller*innen bisher unveröffentlichte Texte vorstellen. Die Namen dieser Personen werden im Vorfeld nicht veröffentlicht, allein ihr vorgegebenes Thema, »Erbe«, steht schon fest. Kannst du uns dennoch schon heute etwas zur Zusammenstellung der Schriftsteller*innen sagen?

Das sind alles Personen, die ich persönlich angesprochen habe. Entweder kannte ich sie, weil ich von ihnen etwas gelesen hatte oder sie mir aufgrund toller Gespräche zu Schwarzen Ästhetiken aufgefallen waren und dachte, diese Person sollte ebenfalls dabei sein. Alle sechs waren begeistert, als ich sie ansprach, und ihre Zusage werte ich erst mal als Vertrauensvorschuss an meine Person und großer Lust auf das Format. Die Jury kennt mittlerweile die Texte, aber diese sind anonymisiert und somit ist für sie immer noch unklar, wer was geschrieben hat. Mir war wichtig zu versuchen, innerhalb der sechs Teilnehmenden eine Genderdiversität hinzubekommen. Was nicht ganz einfach war, da ich Leute haben wollte, die auch thematisch unterschiedliche Themenschwerpunkte abbilden. Colourism war in der Phase, als ich Menschen für »Resonanzen« gewinnen wollte, beispielsweise ein großes Thema in der Schwarzen Community. Und ich wollte gerne generationsübergreifend arbeiten. Ich denke, das haben wir auch hinbekommen. Was ich aber jetzt schon verraten kann: Ich wollte drei Männer unter den Autor*innen dabeihaben – was nicht ganz geklappt hat… (lacht)

Und das vorgegebene Thema »Erbe« – das klingt für mich erstmal schwierig bis klobig …

Interessant, so nehme ich das Wort gar nicht wahr. Mir war wichtig, einen Begriff zu wählen, der offen ist und mit dem sich verschiedene Interpretationen übersetzen lassen. Es ist interessant, dass du Erbe als schwieriges Wort verstehst. Einem anderen Journalisten ist dies zu meinem Erstaunen auch eher negativ aufgefallen, weil er das Wort reduzierend fand, im Sinne von Herkunft und damit einer gegebenenfalls schnellen Einengung der Schwarzen Literat*innen. Das sehe ich so nicht. Eventuell hängt das damit zusammen, dass Deutsch nicht meine erste Sprache ist. Für mich ist Erbe gerade in Bezug auf Empowerment und Ähnliches ein sehr, sehr offener Begriff. Damit lässt sich viel machen.

In der Ankündigung des Literaturfestivals geht es mitunter auch darum, »Schwarze Ästhetiken in der deutschsprachigen Literatur ins Zentrum zu rücken«. Impliziert dies, dass der Literatur- und Kunstbetrieb hierzulande wenig von Schwarzen Ästhetiken ahnt?

Nun ja, nehmen wir mal die Rezeption meines Romans »Adas Raum«. Dieser wurde breit besprochen. Das hat mir sehr viel gegeben. Auch wenn mich einige Kritiker*innen zerrissen, so war das dennoch eine interessante Erfahrung. Welche Punkte hervorgehoben und welche im Buch gar nicht erst wahrgenommen wurden, fand ich vielsagend. Beispielsweise die Verflechtung bezüglich der Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus durch die KZ-Zimmer-Episode und das koloniale Erinnern an anderer Stelle ist einigen aufgestoßen. Ob beides überhaupt zusammen literarisch bearbeitet werden darf, hat einige Kritiker*innen beschäftigt. Da wurde aus meiner Perspektive oft sehr verkürzt und stark vereinfacht. Weggelassen aus dem Blick der Kritik wurde erstaunlicherweise oft meine Umschreibung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen im vorkolonialen Afrika, die ja erst durch europäische Missionare kaputtgemacht wurden. Auch mein Umgang mit der Darstellung von Menschen mit Behinderungen wurde meiner Ansicht nach kaum mit einem feministischen und auch von Widerstand geprägten Blick beleuchtet. Kurzum: Mehr Platz für Schwarze Ästhetiken könnte der hiesige Literaturbetrieb sehr gut gebrauchen.

Wird es ein weiteres Schwarzes Literaturfestival geben?

Es gibt Gespräche zur jährlichen Umsetzung von »Resonanzen«. Gleichzeitig haben wir auch diskutiert, die Idee touren zu lassen und somit jährlich in verschiedenen Städten zu gastieren. Ich würde mich freuen, weitere Häuser und interessante Spielorte zu finden und natürlich auch Menschen aus der Schwarzen Community, die Lust haben, mit ihren Beiträgen dabei zu sein. Mal sehen, ob dieser Traum wahr wird.

Jonas Berhe

ist Gewerkschafter und freier Journalist aus Frankfurt am Main.