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|ak 682 | Alltag

Schneekugeln in der Wüste

Im Anthropozän sind Abziehbilder der Natur bei gleichzeitiger Zerstörung des Originals ein Geschäftsmodell

Von Ido Nahari und Caterina Selva

Ausschnitt aus tropical Island. Im Hintergrund umkreist eine metallische Wand die Halle, unterbrochen vor einem Fenster. Vor dem Fenster steht eine Wand mit Zeichnungen von Wolten. Es gibt einen Sandstrand und im Wasser plantschen Kinder. AStrand liegem Menschen auf Liegestühlen
Ob draußen Schnee fällt, es regnet oder die Sonne scheint – im hermetischen Tropical-Island-Hangar bleibt es tropisch. Foto: Thomas Kohler / Flickr , CC BY 2.0

Vergnügen ist gemeinhin nichts, das man intuitiv mit dem Klimawandel in Verbindung bringen würde, ganz im Gegenteil. Regelmäßig wird der fortschreitende ökologische Zusammenbruch in den Medien und im politischen Diskurs als hoffnungsloser Fall dargestellt, begleitet von einer schaurigen Faszination für die katastrophalen Bilder, die er hervorbringt. Während Kummer und Verzweiflung für die vielen Menschen in den Teilen der Welt, die durch den Klimawandel bereits dramatisch verwüstet sind, die einzig vorgesehenen Gefühlsregungen zu sein scheinen, bleiben auch den Privilegierten angesichts der globalen Erwärmung Solastalgie (1) und Angst nicht erspart.

Das von Liberalen (und Linksliberalen) diktierte Affektspektrum ist eindeutig: Die Verantwortung für die Rettung der Welt wird den Durchschnittsverbraucher*innen aufgebürdet, Optimismus bleibt allein Technologieunternehmen vorbehalten, die unseren Planeten durch Cloud Seeding bis hin zur Ozeandüngung technisieren. Doch gerade weil die Nachfrage nach Hoffnung auf die Natur sehr hoch und das Angebot durch politische Untätigkeit stark zurückgegangen ist, versuchen bestimmte Akteure des Privatsektors, diese Lücke zu füllen und aus dem psychologischen Bedürfnis nach Naturerlebnissen Profit zu schlagen. Im technologiezentrierten Weltbild ist die Wildnis gezähmt, den Verbraucher*innen verkauft der Markt ein idyllisches Bild dieser kontrollierten Umgebungen zu einem bestimmten Preis.

Da passt ein Ort wie das Tropical Islands Ressort, dem größten Indoor-Wasser-Themenpark der Welt, genau ins Bild. Der teilweise vom Land Brandenburg aus Steuergeldern finanzierte Themenpark befindet sich in einem Luftschiff-Hangar. Von Berlin aus ist es nur eine Stunde bis zum ehemaligen, von Nazis eingerichteten Flugplatz. Im Hangar herrscht eine angenehme Temperatur von 26 Grad und eine konstante Luftfeuchtigkeit von etwa 64 Prozent. Das Besuchserlebnis bei Tropical Islands umfasst auch einen Sandstrand aus fast tausend Kubikmetern feinem Sand, riesige Wandbilder mit blauem Himmel und den größten Indoor-Regenwald der Welt mit über 50.000 Pflanzen. Bedenkt man, dass dieses aberwitzige Vorhaben, das Natur und Künstlichkeit miteinander verbindet, ursprünglich von Tanjong finanziert wurde—einer malaysischen Unternehmensgruppe, die ihr Vermögen unter anderem mit Investitionen in Kraftwerke und Flüssiggasvertrieb in der ganzen Welt gemacht hat—kippt das Groteske hier regelrecht ins Reaktionäre. Praktisch bedeutet dies, dass der von der extraktivistischen Industrie (2) angehäufte Reichtum ausgerechnet in Unternehmungen investiert wird, die jene Bedingungen simulieren, die sie selbst kontinuierlich zerstören.

Die Herstellung gefälliger Kopien der Natur als kommerzialisierte Vergnügungsparks, während die Umwelt mehr und mehr Schaden nimmt, ist ein bitterer Beweis dafür, dass Traumbilder im Anthropozän ein echtes Geschäftsmodell darstellen. Zur Wahrheit gehört natürlich, dass es ziemlich kostspielig ist, ferne Klimazonen tatsächlich zu bereisen: Die Scheinwelt von Tropical Islands richtet sich an diejenigen, die zwar den Eintrittspreis für eine statische Nachbildung von Natur, nicht aber die Kosten für eine Fernreise aufbringen können. Letztlich geht es nicht nur um die Frage, wie die menschliche Vorstellung von Natur zum Zweck ihrer Vermarktung von jeglichen Störfaktoren befreit wird, sondern auch darum, wer es sich leisten kann, an dieser Attrappe teilzuhaben. Es geht gleichermaßen um Klassenkampf wie um den Kampf ums Klima. So bedauerlich es auch sein mag, auch die Vergnügungen, die wir konsumieren, sind in die unbestreitbaren globalen Wechselwirkungen des menschlichen Handelns einbegriffen.

Hermetische Winterlandschaft

Tropical Islands ist keineswegs der einzige Ort, der willigen Konsument*innen eine privatisierte Neuerfindung der Natur bietet. In einer ganz anderen Klimazone weichen die wohlige Wärme und der üppige Regenwald von Tropical Islands knirschendem Schnee und frostigen Temperaturen. Das in der Mall of the Emirates gelegene Indoor-Resort Ski Dubai hält seine künstliche Temperatur das ganze Jahr hindurch knapp unter Null. Da die Außentemperaturen oft weit über 40 Grad klettern und den Persischen Golf in wenigen Jahren unbewohnbar zu machen drohen, wandern die Einwohner*innen der Stadt angesichts der nahezu unerträglichen Hitze von einem privaten klimatisierten Ort zum anderen, wobei fast immer erwartet wird, dass sie für die angebotenen Dienstleistungen vor Ort bezahlen.

Diejenigen, die den harschen klimatischen Bedingungen schutzlos ausgeliefert sind, sind zumeist Wanderarbeiter*innen, die sage und schreibe 90 Prozent der nationalen Erwerbstätigen ausmachen und mit einer Reihe von diskriminierenden Übergriffen und Zwangsarbeit seitens ihrer Arbeitgeber konfrontiert sind. Für den richtigen Preis haben die Besucher*innen von Ski Dubai die Möglichkeit, Snowboardabfahrten auf glatten, weißen Pisten, einen heißen Kakao im Café im Schweizer Chalet-Stil oder Begegnungen mit importierten Pinguinen aus der Antarktis zu genießen – wobei der watschelnde Vogel nicht in den Alpen beheimatet ist. Aber Ski Dubai folgt der gleichen Logik wie Tropical Islands und viele andere Vergnügungsparks: Es ist ein Ort, wo soziale, geografische oder klimatische Fantasien kommerzialisiert werden — und wenn es bedeutet, dass Symboliken willkürlich zusammengestellt sind.

Einrichtungen wie Ski Dubai gelten als eine Art schrullige Neuheit, die von Menschen lieber aufgesucht denn vermieden werden.

Wie in den meisten technologisch konstruierten und fabrizierten Naturen spielen auch hier extraktive Technologien eine große Rolle. In einem Land, das die längste Dürre seit Menschengedenken erlebt, halten Maschinen, die von Öl-, Gas- und Süßwasserpumpen abhängen, die hermetische Illusion eines konfusen Winterwunderlandes aufrecht. Dass sich dieser abenteuerliche Ort in einem der größten Einkaufszentren des Nahen Ostens befindet, macht die Verbindung zwischen der menschengemachten Künstlichkeit der Natur und dem Konsumdenken unmittelbar anschaulich. Wenngleich es hier – ähnlich wie bei Tropical Island – heißen könnte, dass Einrichtungen wie Ski Dubai immerhin die Nachfrage nach Reisen zu einem authentischen Winterklima senken, ignorieren solche Aussagen die Tatsache, dass sie als eine Art schrullige Neuheit gelten, die von Menschen lieber aufgesucht denn vermieden werden.

Skipisten am Persischen Golf und ein Tropenwald in einer gemäßigten deutschen Region könnten unterschiedlicher nicht sein. Beiden Vergnügungsparks gemeinsam ist jedoch die Festschreibung einer Vorstellung von Natur, die es nie wirklich gegeben hat. Als Produkt der Globalisierung und der rasanten technologischen Entwicklung können unterschiedliche Klimazonen und Ökosysteme wie in Gewächshäusern überall dort existieren, wo wir es wollen. Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn wir uns eine Auszeit von unseren Alltagssorgen nehmen und uns in eine Fantasiewelt voll riesiger Pools und künstlicher Pisten stürzen, die uns solche Orte bieten. Aber solange die Natur künstlich verändert wird, um die reale zu ersetzen, und in den Dienst eines Marktes gestellt wird, der sie für einige wenige privatisiert, werden diese angenehmen Erfahrungen unweigerlich immense Auswirkungen auf die Art und Weise haben, wie wir über unseren Planeten denken und auf ihm leben. Einfach ausgedrückt: Es ist zwar naheliegend, etwas zu genießen, das technologisch auf unsere eigenen Interessen zugeschnitten ist. Aber Konsumprojekte, die aus unserer Unterhaltung und unserem Vergnügen in fabrizierten Klimazonen Kapital schlagen, machen uns perspektivisch unempfänglich für eine Vorstellung von Natur, die über die bloße menschliche Befriedigung hinausgeht.

Ido Nahari

ist Autor und Forscher. Er promoviert derzeit in Soziologie an der EHESS Paris.

Caterina Selva

ist Architektin, Landschaftsplanerin und Forscherin. Sie ist Absolventin des Center for Research Architecture an der Goldsmiths University und beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit den Machtstrukturen, die Körper und Landschaften formen, mit Umweltrassismus und Grenzökologien.

Übersetzt von Philipp Sack

Anmerkungen:

1) Solastalgie ist ein Begriff, der das Leid und die negativen Emotionen beschreibt, die Menschen angesichts von Umweltveränderungen an den Orten, an denen sie leben, empfinden.

2) Extraktivismus ist eine auf den Abbau von Rohstoffen fundierte Wirtschaft.