analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 686 | Kultur

Lieder vom Fließband

Der Film »Liebe, D-Mark und Tod« erzählt die Geschichte der »Gastarbeit« anhand der türkischen Musik in Westdeutschland

Von Jan Ole Arps

Ein älterer Mann iin Abzug sitzt auf einem Tisch; auf seiner Stirn klebt ein alter 100-DM-Schein
»Die Scheine flogen uns nur so um die Ohren«, erinnert sich ein Zeitzeuge an die spendablen Gäste auf den Hochzeitsfeiern in den »goldenen Jahren«. Foto: © filmfaust / Film Five

Sub- und Gegenkulturen entstehen unter dem Radar des Mainstreams, oft in proletarischen Milieus, die ihre Ausgrenzungserfahrungen musikalisch verarbeiten und eigene Identitäten formulieren. Irgendwann werden die neuen Kulturen »entdeckt« und kommerziell ausgeschlachtet, einige Künstler*innen werden berühmt, die Popkultur nimmt Elemente auf und so weiter.

Ein eher seltenes Phänomen ist, dass eine Musikkultur mit Massenpublikum vom popkulturellen Mainstream weder kommerzialisiert noch überhaupt bemerkt wird, und das, obwohl sie einen riesigen Markt erschafft, Superstars hervorbringt und beträchtliche Geldsummen umsetzt. Genau das ist in Westdeutschland in den 1970ern und 1980ern geschehen. Unter anderem hiervon handelt der Film »Aşk Mark ve Ölüm / Liebe, D-Mark und Tod« des Regisseurs Cem Kaya, der jetzt im Kino zu sehen ist.

Kaya porträtiert und inszeniert darin die türkische Musikszene, die mit der »Gastarbeit« entstand und sich entlang der Stationen der deutschen Einwanderungspolitik weiterentwickelte. Ihre Geschichte beginnt in den Fabriken Westdeutschlands unmittelbar nach der Anwerbung türkeistämmiger Arbeiter*innen. Frühe Protagonisten wie Metin Türköz, in den 1960ern Arbeiter bei Ford in Köln, besingen die monotone Arbeit und das Leben im Wohnheim, die abweisende deutsche Kultur, rassistische Sprüche, die Sehnsucht nach Gemeinschaft oder den Liebsten zu Hause. Und immer wieder das enttäuschte Versprechen vom guten Leben in Deutschland. »Deutschland, du hast mir meine Liebe genommen. Alles an dir ist gelogen«, zitiert Cavidan Ünal in ihrem prächtigen Wohnzimmer ein Lied des Sängers Ümit Besen von 1987.

Im Sommer reist die Musik in den Autos der Arbeiter*innen in die Türkei, verbreitet sich dort weiter und bringt Stars hervor, deren Alben sich millionenfach verkaufen.

Die Vertriebswege basieren ebenfalls auf der Infrastruktur der Migration. Auch als sich Labels wie Türküola gründen, ist die Musik nicht in deutschen Plattenläden erhältlich, sondern nur in den Lebensmittelgeschäften der Eingewanderten. Im Sommer reist sie in den Autos der Arbeiter*innen mit in die Heimat, verbreitet sich dort weiter, bringt Stars wie Yüksel Özkasap (die »Nachtigall von Köln«) hervor, deren Alben sich teilweise millionenfach verkaufen.

Die deutsche Mehrheitsgesellschaft nimmt davon keine Notiz. Wer wusste, dass in der türkischen Hochzeitsmusikszene in Westdeutschland Ende der 1970er, Anfang der 1980er nicht selten Zehntausende D-Mark pro Abend verdient wurden, das Duo Derdiyoklar auf diesen Feiern bekannte Lieder mit Heavy-Metal-Klängen mixte, dass es im damals stillgelegten U-Bahnhof Bülowstraße den »Türkischen Basar« gab, der nicht nur Geschäfte beherbergte, sondern auch ein Zentrum der türkischen Musikszene in Berlin war? Ich wusste das alles nicht – und das ist im Grunde ein Teil der Geschichte, die der Film »Liebe, D-Mark und Tod« erzählt.

Während es im ersten Drittel vor allem um Sehnsucht und Enttäuschung geht und im zweiten um das Geld, das sich mit der Musik verdienen ließ, steht im letzten die Wut im Mittelpunkt. Die Kinder der ersten Generation hatten erlebt, wie die Eltern schufteten, während ihr eigener Lebensweg als ungelernte Arbeiter*innen schon vorgezeichnet war, wie es ein Schulmädchen in einem Fernsehinterview sagt. Mit den 1980er Jahren und der deutschen Einheit kam die rassistische Gewaltwelle hinzu. Die migrantische HipHop-Kultur, die sich aus dieser Wut entwickelte, zeigt Kaya als Schritt zur Selbstermächtigung und Weigerung, sich von der rassistischen deutschen Gesellschaft zum Opfer machen zu lassen.

Für den Film lässt Kaya sich alte Kassettensammlungen und Hochzeitsvideos zeigen, gräbt Material aus Privatarchiven aus, hört beim Improvisieren in der Berliner Hasenheide zu, spricht mit Zeitzeug*innen über legendäre Auftrittsorte, die es heute nicht mehr gibt. Dazwischen sind Ausschnitte aus den wenigen deutschen Fernsehsendungen montiert, in denen, oft in spöttelndem oder paternalistischem Ton, Klischees über »die Türken« präsentiert werden. Die knallbunten Schriftzüge, mit denen die Kapitel des Films überschrieben sind, sehen selbst so aus, als wären sie für Platten- oder Kassettencover entworfen worden. Kaya zeigt all das mit so viel Liebe und Humor, dass man sich wünscht, der Film möge nie enden.

Jan Ole Arps

ist Redakteur bei ak.

Aşk Mark ve Ölüm / Liebe, D-Mark und Tod, Regie Cem Kaya, Deutschland 2022, 96 Minuten.