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Gewalt und Gefühle

»Couscous mit Zimt« erzählt von Solidarität unter Frauen und Sehnsuchtsorten, die keine sein sollten

Von Bilke Schnibbe

Wohin mit der Sehnsucht nach einer »verlorenen Heimat« in den Kolonien, die auf Ungerechtigkeit und Gewalt aufgebaut war? Elsa Koesters Mutter wuchs in diesem Kolonialbau in Tunesien auf. Foto: Elsa Koester.

Elsa Koester ist Redakteurin bei der deutschen Wochenzeitung Der Freitag. Nun ist ihr erster Roman »Couscous mit Zimt« erschienen, eine französisch-tunesisch-deutsche Familiengeschichte, in der sich viel aus Koesters eigenem Leben wiederfindet. Dazu kommen einige umkämpfte Klassiker linker Debatten auf den Tisch: Mutterschaft und Tochterschaft, Kolonialgeschichte und ihre mangelnde Aufarbeitung in sogenannten postkolonialen Gesellschaften, psychische Krankheit und die Frage, wie wir politische Kämpfe erfolgreich organisieren können. Nicht zuletzt lässt sich der Roman als ein vorsichtiges Rantasten an den in linken Kreisen verpönten Begriff der »Heimat« lesen.

Koesters Protagonistinnen sind drei Frauen: Oma Lucile, Mutter Marie und Tocher Lisa. Marie wurde in der französischen Kolonie Tunesien geboren. Sie verlor das Land, in dem sie aufwuchs, als Tunesien 1956 unabhängig wurde. Gemeinsam mit ihrer Mutter Lucile kehrt Marie nach Frankreich zurück. In Frankreich nennt man die Rückkehrer*innen »Pièds-noirs«, »Schwarzfüße«, also solche, die sich in den kolonisierten Maghreb-Staaten die Füße verbrannt hätten. Als Erwachsene landet Marie schließlich in Berlin, wo sie mit ihrer Tochter Lisa lebt. Der bringt sie zwar bewusst kein Französisch bei. Dennoch saugt das Mädchen die widersprüchlichen Sehnsüchte der Mutter nach dem kolonisierten Tunesien in sich auf.

Wohin mit unseren Emotionen?

Anders als oftmals im aktivistischen oder journalistischen Arbeiten, habe sie in der Schriftstellerei die Freiheit gefunden, emotional schwierige Themen zu bearbeiten, sagt Koester. Das läge auch daran, dass es in der organisierten Linken an einem Umgang damit mangele, die eigene Emotionalität und das, was berechtigterweise als politisch richtig und wichtig gilt, auf denselben Nenner zu bringen. In ihrem Roman geht Koester der Frage nach, wie das eigentlich ist, wenn eine weiße Linke aus einer Familie, die in der Kolonialzeit in Tunesien aufgewachsen ist, Sehnsucht nach der Kolonialvilla, dem Landgut, den Gewürzen, Gerüchen und dem »unbeschwerten« Leben als Kind von Kolonialherr*innen hat. »Natürlich ist das nicht richtig! Aber Menschen, auch Linke, haben solche falschen Gefühle. Die Forderung danach, sich selbst zu entkolonisieren, hat nach meinem Empfinden etwas damit zu tun, dass Menschen solche widersprüchlichen Gefühle bearbeiten«, sagt Koester. Es fehle in der französischen Gesellschaft insgesamt, aber auch in der Linken, an einer emotionalen Kultur, in der eine Entkolonisierung der Gefühle stattfinden kann.

Das müsste wiederum eine Kultur sein, die nicht dazu führt, dass die eigene Verantwortung weggeschoben wird und die Aufmerksamkeit auf den »Wehwehchen« weißer Kolonialfamilien liegt, die vermeintlich ihre »Heimat« in den Maghrebstaaten verloren hätten. »Rechte nennen diesen positiven Bezug auf einen Sehnsuchtsort Heimat, wie nennen Linke das?«, fragt sich Koester. »Zuhause« sei ein guter Begriff, der nicht die rechte »Blut und Boden«-Ideologie aufgreife und trotzdem ein Sprechen über diese Gefühle ermöglichen könnte. Mit ihrem Roman wolle sie aber keinen linken Gegenentwurf zum Heimatbegriff liefern. »Das wäre wieder Themen hinterherrennen, die von rechts gesetzt werden.«

»Couscous mit Zimt« führt einen Mechanismus der französischen Gesellschaft vor Augen, den wir auch in Deutschland nur zu gut kennen: Man kann in den Geschichtsbüchern von der Gewalt, der Unterdrückung und Ungerechtigkeit lesen, die aus den Vorgängergesellschaften heraus begangen wurden. Dass es aber die eigenen Familien waren und sind, die diese Geschichte schrieben, erscheint unvorstellbar, wird tabuisiert und findet offiziell kaum statt: »Da sehe ich schon Parallelen zwischen der deutschen und der französischen Gesellschaft, was das Nicht-wissen-Wollen angeht«, sagt Koester.

Fürsorge für uns selbst

Die Frage, wie wir als Linke mit Gefühlen umgehen, durchzieht den Roman auch an anderer Stelle: »Ich hatte krass das Gefühl, mit vielen Emotionen in der Linken nicht aufgehoben zu sein. Insbesondere nach dem Tod meiner Mutter. Es gibt keine linke Trauerkultur«, sagt Koester. Und das obwohl seit Jahren feministische Kämpfe um die Themen emotionale und Care-Arbeit, Fürsorge und Solidarität geführt werden. Gerüche, Sehnsüchte, verkörperte Erinnerungen, transgenerationale Traumatisierungen hätten kaum Platz in linker Kultur und linkem Miteinander. Auch ihre Protagonistin Lisa ist erst einmal alleine mit ihrer Trauer um Mutter und Großmutter, die fast zeitgleich sterben und sie mit einer Wohnung in Paris und vielen Fragezeichen über der eigenen Geschichte zurücklassen.

Die Erzählung erinnert an die hochgelobte, sogenannte Frauensaga der letzten Jahre: Ähnlich wie in den Romanen der italienischen Schriftstellerin Elena Ferrante über zwei Freundinnen aus Neapel begleitet man in »Couscous mit Zimt« drei Frauen kreuz und quer durch ihr Leben mit- und ohneeinander. Koester ärgert sich darüber, wenn »Couscous mit Zimt« in die Schublade »Frauenroman« gesteckt wird. »Einen Roman, in dem hauptsächlich männliche Protagonisten auftreten, würde man nicht Männerroman nennen«, meint sie.

Trotzdem ist es nach wie vor eine Besonderheit, eine Geschichte zu lesen, in der drei Frauen miteinander verstrickt ihre Leben leben. Mal möchte man sie beim Lesen voneinander lösen und mal möchte man sie zueinander schieben. So lässt Koester Lucile erzählen, dass es das Schlimmste auf der Welt sei, Kinder zu bekommen und wie anhänglich, schwierig, belastend ihre Tochter Marie sei. Auf der anderen Seite beobachten wir Marie, die in Alkoholismus und Einsamkeit im Leben umherstrudelt, wofür auch Lucile Verantwortung trägt. Dazwischen steht Lisa, Enkelin und Tochter, die mit den vielen losen Enden einer Familienerzählung in den Händen nach Paris fährt, um nach dem Tod der beiden anderen die Wohnung ihrer Großmutter aufzulösen. Koester gelingt es ausgezeichnet, darzustellen, wie verworren und widersprüchlich familiäre Erzählungen von Schuld und Unschuld sind. Wem soll man nun glauben? Lucile oder Marie? Oder doch Maries Schwester, Tata Solange? Mit Lisa begeben wir uns auf die Suche.

Bilke Schnibbe

war bis Oktober 2023 Redakteur*in bei ak.

Elsa Koester: Couscous mit Zimt. Frankfurter Verlangsanstalt, Frankfurt 2020. 448 Seiten, 24 EUR.