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Twitter: Wollen wir hier bleiben? 

An der Plattform gab es auch vorher schon einiges zu kritisieren, dennoch verschlimmert die Übernahme durch Musk die Situation – und nun?

Von Anne Roth

Stürzt gerade ziemlich ab: Twitter. Collage: ak

Schluss mit lustig. Elon Musk hat Twitter übernommen, und es fühlt sich ein bisschen an, als hätte er uns die Eigenbedarfsklage für einen Ort auf den Tisch geknallt, den viele für ihr virtuelles Zuhause hielten. Er selbst sieht das offensichtlich auch so und räumt seit dem ersten Tag richtig auf. Die halbe Belegschaft wurde auf die Straße gesetzt, die Moderation wurde zurückgefahren und blaue Haken sollten kostenpflichtig werden. Oder aber die Nutzung von Twitter insgesamt.

Als die Option, blaue Haken für acht Euro im Monat kaufen zu können, einige Tages später eingeführt wurde, gab es direkt einige ziemlich spektakuläre Fälle von täuschend ähnlichen Profilen einiger Prominenter und Unternehmen – mit blauem Haken. Ergebnis: Die Neuerung wurde wieder ausgesetzt und die US-Wettbewerbs- und Verbraucherschutzbehörde FTC hat angekündigt, die weiteren Entwicklungen sehr genau zu beobachten.

Es gibt wirklich einiges an Twitter zu kritisieren, aber immerhin gab es inzwischen Teams, deren Aufgabe es war, Bedrohungen, Einschüchterungen und andere gefährliche Dynamiken zu stoppen. Da war sehr viel Luft nach oben, aber es gab sie. Es sieht so aus, als ob Musk diese Entwicklung nun drastisch zurückdrehen will. Ob mit Absicht oder aus Ignoranz, lässt sich noch nicht sagen, doch das Tempo, mit dem er Änderungen ankündigt, deutet eher nicht darauf hin, dass es einen durchdachten Plan gibt.

Das Team, das sich damit beschäftigte, weshalb die Twitter-Algorithmen rechte Inhalte fördern: gekündigt. Das Team, das sich international um Menschenrechte kümmerte: gekündigt. Das Team, das Nutzer*innen etwa bei Wahlen dabei half, zwischen Fakten und manipulativen Inhalten zu unterscheiden: gekündigt.

Der Effekt war direkt sichtbar. Rechte posteten triumphierend Nazi-Memes und rassistische Inhalte, die Verwendung des N-Worts nahm innerhalb von zwölf Stunden um 500 Prozent zu. Zu befürchten ist, dass die Auswirkungen in Ländern, für deren Sprachen Twitter sowieso schon weniger Moderation bereitstellte, Bedrohungen und Falschbehauptungen noch stärker sein werden – mit dramatischen Folgen für die Betroffenen.

Auf der anderen Seite setzt mit der Bekanntmachung der Übernahme durch Musk eine Fluchtbewegung ein: Viele beobachteten eine spürbare Abnahme ihrer Follower*innenzahlen. Zwar lässt sich nicht sagen, ob zentral Accounts gelöscht wurden oder tatsächlich so viele Nutzer*innen Twitter komplett verlassen haben; das bestimmende Thema war jedenfalls: Können wir hier bleiben? Wollen wir hier bleiben?

Diese Debatte ist so alt wie Twitter und andere kommerzielle Plattformen. Mit unseren Daten wird Profit gemacht, wir liefern uns freiwillig einer Überwachung aus, von der Geheimdienste bis dahin nur geträumt haben, und hält uns der ganze Klick-Aktivismus nicht vor allem davon ab, auf die Straße zu gehen?

Was viele nicht wissen: Die Ursprünge von Twitter kommen aus dem Aktivismus.

Andererseits: Alleine macht sich keine Revolution, und Twitter war über Jahre mit Abstand die beste Plattform, um linke Inhalte unter die Leute zu bringen. Was viele nicht wissen: Die Ursprünge von Twitter kommen aus dem Aktivismus und der Überlegung, wie mithilfe von SMS bei Mobilisierungen Nachrichten in großen Gruppen ausgetauscht werden können. Und auch wenn die Bedeutung mittlerweile etwas nachgelassen hat, ist Twitter noch immer für viele Journalist*innen wichtig, um Stimmungen und Diskussionen zu beobachten. Die Debatten dort erreichen viele und sehr unterschiedliche Menschen, ob über etablierte Medien oder direkt bei Twitter (vorausgesetzt vielleicht, dass sie sich nicht mit Szene-Spezialvokabular nur um sich selbst drehen). Und genau deswegen sollten wir diesen Ort nicht kampflos räumen.

Musk will linke Stimmen loswerden, das ist offensichtlich. Und es steht ja sogar eine gemütliche Alternative bereit. Sie heißt Mastodon (über Namen müssten wir nochmal reden), ist nicht kommerziell, selbst verwaltet, open source und bildet ein Netz aus vielen kleinen und größeren digitalen Gemeinschaften, die sich ihre eigenen Regeln geben und doch auch alle miteinander kommunizieren können. Sehr, sehr viele sind in den letzten Tagen mit ihren Accounts dorthin umgezogen.

Und stellen fest: So einfach ist das auch nicht, denn wenn kein Konzern die Regeln vorgibt, müssen wir sie ausdiskutieren und auch selber reparieren, was kaputt geht. Es ist natürlich viel gemütlicher, aber bislang sind die Nazis, Maskulisten und Schwurbler*innen auch noch nicht alle da. Mastodon hat ein paar Instrumente, die es einfacher machen, sie vor die Tür zu setzen, aber die verschiedenen Aushandlungsprozesse werden mühsam werden. Schon jetzt ist zu spüren, dass die Alteingesessenen nicht nur begeistert sind von den vielen Neuen, die alles von vorn diskutieren wollen.

Das Gute ist: Wir müssen uns gar nicht entscheiden. Wir können beides machen, und das sollten wir auch, denn ganz sicher werden viele bei Twitter bleiben und absehbar nicht zu anderen Plattformen wechseln, ob das nun Mastodon ist oder irgendeine andere. Diese Menschen sollten wir nicht einfach Musks anrollender Manipulationsmaschine überlassen.

Anne Roth

ist Netzaktivistin und Referentin der Bundestagsfraktion Die Linke für den Bereich Netzpolitik.

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