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Die besten Tracks 2022

Unsere Pop-Kulturalistin listet die zehn musikalischen Sahneschnitten des zu Ende gehenden Jahres auf

Von Nadia Shehadeh

Eine junge Frau mit weißen Haaren und verspiegelter Sonnenbrille steht an einem Mikrofon und scheint zu singen.
Manche haben abgeliefert, andere nicht. Zu erster Kategorie gehört zum Beispiel die Sängerin Phoebe Bridgers. Foto: David Lee/Flickr, CC BY 2.0

Die besten Tracks des Jahres identifizieren: Mein lieber Herr Gesangsverein, das hatte ich mir einfacher vorgestellt. Das komplette Jahr über habe ich eine eigene Playlist mit den meiner Meinung nach besten Releases gepflegt – sie hat mittlerweile über 24 Stunden Spieldauer.

Das Jahr 2022 war beschissen, das Musikjahr 2022 glorreich, und zum Glück bin ich eine Musikbesessene mit ausreichend Entscheidungswillen. Völlig subjektiv ausgewählt sind hier die meiner Meinung nach zehn besten Songs der letzten zwölf Monate: Mit Newcomer*innen, die groß durchgestartet sind, ein paar Geheimtipps, ein paar Super-Player*innen, die vorhersehbar geliefert haben, und Acts, die immer noch sträflich unterbewertet sind.

10. Robyn, Neneh Cherry, Mapei – »Buffalo Stance«

Die Großartigkeit dieses neu aufgelegten 80er-Jahre-Hits von Neneh Cherry wurde in diesem Jahr meiner Meinung nach nicht genug gewürdigt. Hier stimmt einfach alles: Die schwedische Pop-Sängerin Robyn veredelte den Refrain und Altmeisterin Neneh Cherry nahm Jung-Rapperin Mapei für diese Kollabo unter ihre Fittiche. Ein Song, der eine Zeitreise in die Vergangenheit und in die Zukunft ist – und generationenübergreifend funktioniert. Hierzu kann ich nur sagen: Gut gemacht.

9. Emily Blue, OTNES – »The Afterlove«

Von Emily Blue beziehungsweise OTNES haben Sie wahrscheinlich noch nie gehört – ich auch lange nicht. »The Afterlove« landete zufällig in einer meiner Playlists, und direkt nach dem ersten Hören wusste ich: Das ist einer der besten Pop-Tracks, der mir je untergekommen ist. Direktes Ohrwurmpotenzial, sauber abgemixt, eingesungen mit glasklarer Stimme: Davon will man mehr. Ich auf jeden Fall!

Das Jahr 2022 war beschissen, das Musikjahr 2022 glorreich.

8. Florence and the Machine – »Dream Girl Evil«

Als »Dance Fever«, das 2022er-Album von Florence Welch und ihrer Band erschien, hatte ich beim allerersten Reinhören das Gefühl, bei einer ganz schwachen Platte gelandet zu sein. Ein Irrtum! Es gibt unfassbar viele Songs mit Klassiker-Potenzial auf der Scheibe und »Dream Girl Evil« ist einer davon. Groß!

7. Ellen Krauss – »Shouldn’t I Just Let You Know«

Queere Musiker*innen haben 2022 einfach den Ton angegeben: Brandi Carlile, Ethel Cain, Phoebe Bridgers – es weht ein neuer Wind in der Pop-Welt, der bitter nötig ist angesichts vieler Backlash-Debatten. Da kommt Ellen Krauss mit ihrem »Shouldn’t I Just Let You Know« genau richtig – es gibt schließlich schon genug Liebeslieder aus Hetero-Perspektive.

6. Japanese Breakfast – »Be Sweet (Korean Version)«

Ein Track, der 2021 in seiner rein englischen Version schon ein Brett war, wurde durch den kleinen Kniff, ein paar Lines noch mal auf koreanisch einzusingen, sogar noch besser. »Be Sweet« in der koreanischen Version könnte die K-Pop-Einstiegsdroge werden – wenn man sich drauf einlässt.

5. The Mysterines – »Dangerous«

Eine Band, die bereits 2014 von Sängerin und Gitarristin Lia Metcalfe gegründet wurde und dann jahrelang vor sich hinschimmelte – bis 2019 das erste Achtungswerk, die EP »Take Control« erschien. Aber erst 2022 sollte das Jahr der Mysterines werden: Ihr Debütalbum »Reeling« knallte dieses Jahr an die Decke. »Dangerous« ist einer der Ohrwürmer, die einem sofort im Gedächtnis bleiben. Eine Band, von der man mehr hören will.

4. Hailey Blais – »Coolest Fucking Bitch in Town«

Kaum jemand kennt Hailey Blais. Das muss sich schleunigst ändern. Die Singer-Songwriterin verdient so schnell wie möglich einen Platz zwischen Phoebe Bridgers, Courtney Barnett und Lucy Dacus – hat aber kein Problem damit, als kleiner Indie-Underdog coole Tracks zu liefern. »Coolest Fucking Bitch in Town« ist einer davon – und auch ihr Album »Survivor Guilt« liefert am laufenden Band. Irgendwo angesiedelt zwischen Lockdown-Verarbeitung, politischen Themen und sympathischem Hipster-Mindset wird dieses feine Werk jedem*r, der*die es hört, noch lange in Erinnerung bleiben.

3. Beyoncé – »Break my Soul«

Zu diesem Track und dem ganzen Album drumherum muss man nicht viel sagen: Wer »Break my Soul« verpasst hat, der hat 2022 verschlafen – was natürlich nicht immer schlecht sein muss. Konzipiert als Anti-Work-Hymne und Dance-Track in einem hat dieses Meisterwerk vielen einen schönen Sommer beschert. Einfach nur danke, Beyoncé!

2. Kite – »Panic Music«

Kite: Eine sträflich vernachlässigte schwedische Synthie-Pop-Band – so vernachlässigt, dass sie vor ein paar wenigen Jahren bereits in meinem Wohnort, einer mittelprächtigen, ostwestfälischen Stadt, in einer beliebten Kaschemme spielten. Genau so unterbewertet wie die Band ist ihr Track »Panic Music«, der es eigentlich auf den ganz großen Radar hätte schaffen müssen – und der immer noch mit wenigen Views bei YouTube vor sich herdümpelt. Aber: Zumindest in Schweden weiß man, was man an dem Duo hat. Im Herbst 2023 werden sie auf der legendären Freilichtbühne »Dalhalla« in der schwedischen Provinz Dalarna spielen – und spätestens danach groß durchstarten.

1. Ethel Cain – »American Teenager«

Die junge trans Frau aus Florida ist in diesem Jahr mit ihrem Album »Preacher’s Daughter« so blitzschnell durchgestartet, dass sie die Shows ihrer hochgelobten Europa-Tour Anfang Dezember 2022 teilweise in größere Venues verlegen lassen musste, um der verzweifelten Nachfrage an Tickets gerecht zu werden. »American Teenager« wurde 2022 zur Hymne der post-pandemischen »Zoomers«, und von vielen internationalen Musikmagazinen an die Spitze der Jahrescharts gewählt. Ich schließe mich an. Von Ethel Cain werden wir noch viel hören – deswegen sollte man sich jetzt schon mal auf den Hype vorbereiten, der sowieso schon im Gange ist!

Nadia Shehadeh

ist Soziologin, Autorin und Spezialistin für Live-Musik und Pop-Absurditäten. Sie lebt in Bielefeld und schreibt regelmäßig für verschiedene Medien (u.a. ihre Kolumne »Pop-Richtfest« für nd.aktuell und das Missy Magazine). Im Februar 2023 erschien ihr Sachbuch »Anti-Girlboss – Den Kapitalismus vom Sofa aus bekämpfen« bei Ullstein.

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