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Die Apokalypse hat Konjunktur

Mit seinem Buch »Endzeit« wagt Christian Jakob einen Balanceakt zwischen Pessimismus und Hoffnung in Zeiten multipler Krisen

Von Leon Maack

Bild einer Blockade einer Eisenbahnlinie. Mehrere Personen sitzen entspannt auf mehreren Gleisbetten. Im Hitergrund ein Kraftwerk, aus dem Rauch kommt.
Was tun gegen die Klimaangst? Diskutieren oder sabotieren? Für Ende Gelände ist die Antwort klar. Foto: Manuellopez.ch / Wikimedia , CC BY-SA 4.0

Die multiplen Krisen der Gegenwart schüren Ängste: vor der Klimakatastrophe, einem Atomkrieg, Pandemien, dem Zusammenbruch der globalisierten Wirtschaft oder, bei manch einem wie Elon Musk, vor der Auslöschung der Spezies Mensch durch Künstliche Intelligenz. Solche Untergangserwartungen sind an sich kein Novum; es gab sie in der Geschichte menschlicher Gesellschaften nahezu immer und überall, stellt der Journalist Christian Jakob in seinem neuen Buch »Endzeit. Die neue Angst vor dem Weltuntergang und der Kampf um unsere Zukunft« fest. Martin Luther zum Beispiel hat das Ende der Welt ganze dreimal angekündigt und lag bekanntlich immer falsch. Jakob widmet sich in seinem geradezu enzyklopädisch anmutenden Buch nun allen möglichen Dimensionen der Endzeitvorstellung: von althergebrachten mythologischen und religiösen Untergangserzählungen, die sich tief im westlichen kollektiven Bewusstsein verankert haben, über Prepper und den Kollaps als Geschäftsmodell bis hin zur eskalierenden Klimakrise. Doch er geht auch der wichtigen Frage nach, »wie wir uns dem Fatalismus verweigern«.

Jakob publiziert sonst vor allem zu Migration und dem europäischen Grenzregime. In »Endzeit« stellt er in Anbetracht der Erderhitzung fest: »In Zukunft wird es mehr Vertriebene geben.« In einer ausführlicheren Auseinandersetzung wäre es interessant gewesen zu diskutieren, inwiefern Mobilitätschancen mit dem Fortschreiten des Klimawandels tatsächlich zunehmen und den »trapped populations«, die aufgrund mangelnder wirtschaftlicher und sozialer Ressourcen besonders anfällig für Klima- und Umweltstressoren sind, die Migration zusätzlich erschwert wird; auch, weil sich die Länder des Globalen Nordens immer rigoroser abschotten. Staaten wie Kanada, Australien, die USA und EU-Mitgliedsländer investieren ein Vielfaches von dem Geld, das in Klimaschutz fließt, in ihre jeweilige Grenzaufrüstung.

Die Prognose großer Fluchtbewegungen aus dem Globalen Süden, wo die verheerendsten Auswirkungen des Klimawandels bereits heute zu spüren sind, in die kapitalistischen Zentren dient, wie Jakob betont, immer auch dazu, Akzeptanz für Abschottung zu schaffen. Alarmierende Erzählungen über klimawandelbedingte Migration befeuern so sicherheitspolitische Debatten, die Migrant*innen als Bedrohung darstellen.

Die Katastrophe als Strategie

In »Endzeit« findet sich auch eine Kritik an Jakobs eigener Zunft, dem Journalismus, und den katastrophisierenden Mechanismen der Medienproduktion. Zuspitzungen und Alarmismus sind hier gängige Praxis. Wenn aber existenziell bedrohliche Extremwetterereignisse noch zusätzlich dramatisiert werden, führt das »zu Panik, Überforderung und Abwehr«. Apokalyptische Botschaften können den Eindruck erwecken, dass in Sachen Klimawandel das Kind schon in den Brunnen gefallen und es für Gegenmaßnahmen zu spät sei.

Wer der »Öko-Lähmung« anheimfällt und sich dem Defätismus hingibt, ist am Ende des Tages genauso handlungsunfähig wie jene, die den Klimawandel an sich leugnen. Endzeitrhetorik geht außerdem nicht selten mit neomalthusianischen Erzählungen von einer angeblichen Überbevölkerung einher oder driftet ins Esoterische ab. Die Erderhitzung ist dann kein Resultat der Verbrennung fossiler Energieträger und geophysikalischer Prozesse mehr, sondern die »Rache« der Natur.

Anderen Angst einzuflößen und vor der bevorstehenden Apokalypse zu warnen, kann daher keine Strategie derer sein, die Widerstand gegen den fossilen Kapitalismus und seine Destruktivität organisieren wollen. Was droht ist, in den Worten Eva von Redeckers, nicht der Verlust der Erde, sondern unserer vertrauten Welt. Jakob plädiert, um diese Welt so weit wie möglich zu erhalten, für »Druck von der Straße« und das Aufzeigen von Handlungsoptionen.

Proteste und direkte Aktionen von Akteur*innen wie Ende Gelände spielen im Buch kaum eine Rolle.

Wenn es um soziale Bewegungen geht, ist in »Endzeit« aber vor allem von der Letzten Generation die Rede, wobei Jakob feststellt, dass die Aktivist*innen im Kern reformistische Ziele verfolgen (nämlich die Einhaltung staatlicher Klimaziele) und ihre Widerstandspraxis im Verhältnis zu früheren Protestzyklen recht harmlos ist. Proteste und direkte Aktionen von Akteur*innen wie Ende Gelände spielen im Buch hingegen kaum eine Rolle.

Dabei haben gerade solche Gruppen, die mit dezidiert antikapitalistischen, intersektionalen und radikalen Positionen mobilisieren, das Potenzial, der Klimaangst, die viele umtreibt, ihre nötige politische Dimension zu verleihen und den Kampf für Klimagerechtigkeit jenseits von bloßen Appellen an die Herrschenden voranzutreiben. Die Unterbrechung des fossil-kapitalistischen Normalbetriebs und die vorübergehende Emissionsreduktion sind ein erster Schritt in Richtung der dringend benötigten Überwindung der Verwertung von Mensch und Natur. Hier entstehen Zukunftsentwürfe, die über eine Verhinderung der Katastrophe hinausgehen.

Auch wenn Jakob kein Patentrezept für den Ausweg aus der Klimakrise parat hat (das es auch nicht geben kann), gelingt ihm mit seinem Buch der Balanceakt, den Glauben an eine bessere Zukunft zu bewahren »ohne die Krisenhaftigkeit unserer Zeit zu leugnen und den Ängsten vieler Menschen ihre Berechtigung zu nehmen«. Die Überzeugung, dass die Apokalypse eben nicht unabwendbar und eine bessere Welt immer noch möglich ist, könnte sich letzten Endes als selbsterfüllende Prophezeiung herausstellen.

Leon Maack

hat Kulturwissenschaften und Philosophie studiert. Derzeit macht er einen Master in Transformationsstudien.

Christian Jakob: Endzeit. Die neue Angst vor dem Weltuntergang und der Kampf um unsere Zukunft. Ch. Links Verlag, Berlin 2023. 304 Seiten, 22 EUR.