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Black Power Revolution

Im karibischen Trinidad und Tobago war »1968« eine zweijährige Bewegung aus Streiks, Demonstrationen und militanten Kämpfen

Von Paul Dziedzic und Johannes Tesfai

Auf einer Straße zwischen zwei Reihen von Gebäuden stehen Tausende Mehschen und schauen in eine Richtung. In der Mitte des Bildes eine Gruppe Schwarzer Aktivist*innen und halten die Fäuste in die Luft
100.000 Menschen sind auf den Straßen von Port of Spain, um Davis zu gedenken. Foto: Embau Moheni/NJAC

Bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko stehen die beiden Kurzstreckenläufer Tommie Smith und John Carlos auf dem Siegertreppchen und recken die Faust in schwarzen Lederhandschuhen in den Himmel. Sie zeigen den Black-Power-Gruß. Zwar wurden ihnen dafür die erlaufenen Medaillen abgenommen, ihr Bild steht aber wie kein anderes für die antirassistische Politik der 1960er Jahre. Das Foto hat es auf T-Shirts, Plakate und auf unzählige Produkte der Kulturindustrie geschafft.

Gleichzeitig verschüttet dieser nur symbolische Akt des Protests, welche Dimension Black Power global und politisch hatte. Diese Form des militanten Antirassismus, der sich mal mehr, mal weniger mit einer nicht-Schwarzen Linken verbündete, brachte überall auf der Welt Menschen zusammen, die Rassismus und soziale Ungleichheit bekämpften. Zu den unbekannteren Orten, an denen Black Power für Wirbel gesorgt hat, gehört die ehemalige britische Kolonie in der Karibik, Trinidad und Tobago. Ein ganzer Bewegungszyklus zwischen 1968 und 1970 heißt dort Black Power Revolution. Was war geschehen?

Internationale Inspiration

Die Entstehung einer Black-Power-Bewegung in der Karibik nimmt ihren Anfang in Jamaika. Nachdem der prominente Schwarze Aktivist und Historiker Walter Rodney in Kingston seinen Job als Dozent an der Universität verliert, weil der Regierung seine politische Einstellung nicht passt, kommt es zu Demonstrationen und schweren Ausschreitungen in der jamaikanischen Hauptstadt.

Die Nachrichten von einer militanten Schwarzen Bewegung gelangen schnell nach Trinidad und Tobago. Wie in vielen anderen Ländern der Welt hat sich dort das studierende Klientel verändert. Immer mehr Menschen nehmen ein Hochschulstudium auf, obwohl sie nicht aus der mittleren oder oberen Gesellschaftsschicht kommen. In der ehemaligen Kolonie ist es aber vor allem die Hautfarbe, die sichtbar macht, welcher Klasse die Menschen angehören. Das Geschäftsviertel in Port of Spain, der Hauptstadt des Inselstaates, ist damals ein Ort, in dem man selten Schwarze trifft. Hier findet sich bis heute das größte Bankenviertel der Karibik. Die ganze ökonomische Struktur der Insel war darauf ausgerichtet, dass Unternehmen und Leitungspositionen im Besitz von Weißen waren, die entweder als Kolonialherren auf die Insel kamen oder im Ausland lebten.

Mit den studierenden Arbeiter*innenkindern nahmen auch immer mehr Schwarze ein Studium auf. Viele von ihnen hatten nicht nur die eigene Karriere im Sinn. Sie schauten in die USA, wo die Black Panther Party mit ihren Waffen paradierte. Sie blickten nach Kuba, wo die Revolution einen verhassten Diktator aus dem Präsidentenpalast gejagt hatte. Sie solidarisierten sich mit Nelson Mandela, der für seine Aktionen gegen den rassistischen Apartheidstaat ins Gefängnis musste. Black Power und der Geist der 68er-Revolte ergriffen die junge Generation im Karibikstaat.

1968 gründet sich die Studierendengruppe National Joint Action Comitee. Eine Gruppe junger Studierender möchte die Diskussionen um Black Power auch auf der Insel praktisch angehen. Sie beginnen auf dem Uni-Campus Kurse anzubieten, die auch für Nicht-Studierende zugänglich sind. Die Verbindung zwischen Studierendenbewegung und dem Leben außerhalb der Universität wird größer.

Die Studierendenproteste nehmen 1969 an Fahrt auf und bekommen eine internationale Dimension. Im kanadischen Montreal finden seit einiger Zeit Aktionen an der Hochschule statt, weil ein Fakultätsmitglied immer wieder durch rassistische Angriffe auffällt. Aktive Studierende besetzen deshalb das Computerlabor der Einrichtung. Nachdem die Hochschulleitung nicht auf die Forderungen der Besetzer*innen einging, wird das Labor zerstört und angezündet. Es ist eine der militantesten Aktionen an einer kanadischen Universität zu dieser Zeit. 69 Protestierende werden festgenommen, und unter ihnen sind viele Austauschstudent*innen aus Trinidad und Tobago. Nur wenige Tage nach den Festnahmen besucht ein hoher Vertreter der kanadischen Regierung Port of Spain. Der Besucher wird nicht nur vom Premierminister Eric Williams empfangen, sondern auch von vielen Protestierenden, für die Bewegung ein großer Mobilisierungserfolg.

Eric Williams nimmt während der Zeit der Protestbewegung eine zwiespältige Rolle ein. Vor seinem Amt als Regierungschef schrieb er in seiner Funktion als linker Intellektueller das Buch »Capitalism and Slavery«. Es ist bis heute im englischsprachigen Raum für Aktivist*innen und kritische Akademiker*innen gleichermaßen ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Entstehung des Kapitalismus. Der trinidadische Historiker Selwyn Ryan sagte einmal über Williams Rolle in dieser Zeit: »Vieles, was die Black Power-Aktivist*innen sagten, hatten sie von Williams gelernt.«

Gleichzeitig betrieb er Ordnungspolitik, um die Revolte kleinzuhalten. Sein früherer Lehrer war C.L.R. James, ein wichtiger Vertreter des Schwarzen Marxismus. Bis 1968 hielt er sich immer wieder für längere Zeit in Port of Spain auf, geboren war er auf Trinidad. Wohl wissend, dass James eng mit der radikalen Linken in den USA, Europa und Afrika vernetzt war, stellte Williams ihn immer dann unter Hausarrest, wenn es zu Streiks oder Demonstrationen kam. Genauso verhängte er 1969 über Stockely Carmichael, der später Kwame Ture heißen sollte, ein Einreiseverbot. Carmichael war wohl das prominenteste Gesicht der Black-Power-Bewegung in den USA, hatte er den Begriff doch entscheidend mitgeprägt und popularisiert. Er wurde ebenfalls auf der Insel geboren. Für viele Studierende war die Rolle von Williams schwer zu ertragen, sorgte der linke Intellektuelle doch für die Erhaltung des Status quo auf der Insel. Und der hieß vor allem: weiße Eigentümer und Schwarze in schlechten Jobs.

Die Revolte weitet sich aus

Für die wohl größte Eskalation im Konflikt zwischen Staat und Straße sorgten die tödlichen Schüsse auf Basil Davis am 6. April 1970. Er beobachtete während einer Demonstration, wie die Polizei einen Mann festnahm und forderte dessen Freilassung. Daraufhin wurde er aus kurzer Distanz von einem Polizisten erschossen. Die Nachricht machte schnell die Runde, zudem fielen die Schüsse in einem Viertel der Black-Power-Bewegung in Port of Spain. Sein Tod wurde zum Katalysator für die Bewegung. Ähnlich wie der Mord an Benno Ohnesorg 1967 in West-Berlin politisierte er viele Menschen. Der Trauermarsch wurde mit über 100.000 Menschen zur größten Demonstration in der Geschichte des Landes.

Der Inselstaat zeigte, dass nicht nur Berkeley, Paris oder West-Berlin eine radikale Geschichte haben.

Zudem schlossen sich neue Akteure der Bewegung an. Unter ihnen war die Ölarbeiter*innengewerkschaft OWTU, die eine lange Geschichte der Militanz vorweisen konnte. Schon ihre Gründung 1937 war ein Paukenschlag. Damals demonstrierten die Arbeiter*innen gegen ihre schlechte Bezahlung, den kolonialen Rassismus und für die Unabhängigkeit ihres Landes. Maßgeblich an der Organisierung der überwiegend Schwarzen Beschäftigten war Tubal Uriah Butler, ein ehemaliger Gewerkschafter, der unter anderem wegen seiner Unterstützung der Unabhängigkeit entlassen wurde. Als die britische Kolonialverwaltung versuchte, ihn festzunehmen, kam es zu landesweiten Auseinandersetzungen. Die britische Verwaltung musste zwei Kriegsschiffe heranholen, um den Aufstand zu beenden. In dieser Zeit entstanden die Parteien und Gewerkschaften, die es heute noch gibt. Neben der OWTU riefen auch die von indo-karaibischen Bäuer*innen dominierte Zuckergewerkschaft zu Streiks auf, es gab Solidaritätsbestrebungen, die indo-trinidadische Communities in die Kämpfe einzubeziehen.

Im Sommer 1970 gab es erste Gerüchte über einen Generalstreik. Schon bald verhängte die Regierung unter Williams den Ausnahmezustand. Höhepunkt der Proteste war der Oktober desselben Jahres, in vielen Teilen des Landes kam es zu Krawallen, Plünderungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei – bei der Armee meuterten rund 400 Soldat*innen. Nicht nur die Regierung Trinidads, sondern auch Großbritannien und die USA beobachteten die Lage und schickten jeweils mehrere Kriegsschiffe zur Unterstützung – ein Echo von 1937 im Kalten Krieg.

Bis heute gelten die Jahre als Zäsur. Zweifellos sind sie Teil eines globalen 68. Der Inselstaat zeigte, dass nicht nur Berkeley, Paris oder West-Berlin eine radikale Geschichte haben.

Johannes Tesfai

ist Redakteur bei ak.