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A bisserl Schwund is immer

Wie passen Corona und die Grenzverbrechen in einen Topf? Ganz gut, findet man bei Deutschlandfunk Kultur – und philosophiert über Körper, Kontamination und Tod

Von Frédéric Valin

Darauf hab ich gewartet: dass jemand die Menschen, die Europa vor seinen Grenzen verrecken lässt, gegen das Coronavirus aufrechnet. Die Publizistin Andrea Roedig hat es nun gemacht, in einem Beitrag für Deutschlandfunk Kultur. Herausgekommen ist ein Text wie aus dem Handbuch der neuen Rechten, nur ohne ihr Vokabular.

Nach einem Einstieg über das Faszinierende am Coronavirus (ist unsichtbar und verbreitet sich schnell) wird es grundsätzlich: »Die archaische Berührungsangst ist nicht unbegründet, wir sind Stoffwechsel-Wesen, auf den Austausch angewiesen, und über die Kanäle des Lebens kann auch Todbringendes eindringen. Zudem teilt die Infektion die Gesellschaft in solche, die sie haben und solche, die sie nicht haben, und die Angst vor der Ansteckung ist auch die Furcht, auf die andere, die verfemte Seite gestoßen und selbst ansteckend zu werden.«

Hier werden also die Dichotomien zementiert: Leben/Tod, gesund/krank, drinnen/draußen. Das zu empfinden, sei normal, auch ein bisschen nachvollziehbar, und es lässt sich (ist ja ein Virus, haha) auf anderes übertragen.

Was die Autorin tut: Menschen mit Viren gleichsetzen und so zu tun, als wäre das eine allgemeine Auffassung und nicht schon eine rassistische Trope.

Zum Beispiel auf den Verrat an den Menschen an der griechischen Grenze. Die Metaphern bleiben nämlich »dieselben: Da bricht etwas aus und dringt ein; als seien Flüchtende Fremdkörper, vor denen man den Organismus EU schützen muss – und als hätte 2015 eine Epidemie stattgefunden.«

Ach, wirklich. Woher stammen denn diese Metaphern, die die Autorin irgendwo in der Gesellschaft verortet? Keine Antwort. Was sie stattdessen tut: Menschen mit Viren gleichsetzen und so zu tun, als wäre das eine allgemeine Auffassung und nicht schon eine rassistische Trope; nicht die Verbreitung dieser Trope hinterfragen, sondern sie sich zu eigen machen und »weiterzudenken«, ja sogar Verständnis dafür zu äußern und sie mitzugehen, ohne zu benennen, was es eben auch ist: ein hegemonialer Kampf auf Kosten der Machtlosen.

Andrea Roedig bleibt da lieber im Ungefähren. Diese Angst vor dem Fließenden, Unabgegrenzten sei irgendwie auch verständlich, weil irgendwie auch irgendwie Zeichen der irgendwieigen Zeit. Was empfunden wird, muss man selbst nicht denken, da dockt man einfach nur noch an.

Witzigerweise scheint bei Deutschlandfunk Kultur jemand zu sitzen, der bei diesem Text vielleicht ein Unbehagen verspürte. Zwischen die folgenden drei Sätze hat er nämlich das Autorinnenfoto gepackt – vielleicht, damit man sie nicht zusammenliest: »Da bricht etwas aus und dringt ein; als seien Flüchtende Fremdkörper, vor denen man den Organismus EU schützen muss – und als hätte 2015 eine Epidemie stattgefunden. (Absatz) Was lehrt uns das Coronavirus? Die Ängste vor Ansteckung sind real und sie sind gleichzeitig mythisch-archaisch.«

»Als seien«. Aber in diesem Text sind sie das doch. Das darf man bloß nicht laut sagen, deswegen munkelt Andrea Roedig es so vor sich hin, und die Redaktion schleift es rund: Ein Konjunktiv als Feigenblatt. Wie wäscht man sich die Hände, ohne sie nass zu machen? Man packt ein Autorinnenfoto dazwischen.

Es folgt die Weltklage. »Die Pandemie stellt die Welt auf den Kopf, und das Verheerendste an ihr ist, dass sie isoliert, dass die Hoffnung aufs Überleben uns vereinzelt.« Die Abzweigung allerdings nimmt Andrea Roedig nicht. Sie nimmt lieber die sozialdarwinistische Ausfahrt: »Aber auch hier liegt ein Denkfehler, denn es gilt meist nicht die harte Entgegensetzung entweder/oder, drinnen/draußen, krank/gesund. Wir müssen uns sogar – in Maßen – kontaminieren, um bestehen zu können. Es geht nicht darum, sich nicht anzustecken, sondern zu überleben. Es geht nicht darum, allein zu überleben, sondern gemeinsam. Die gefährlichsten und schnellsten Viren, das wissen wir, sind Misstrauen und Angst.«

Naja! Misstrauen und Angst sind keine Viren, und schnell sind sie auch nicht, nur besonders hartnäckig. Anders gesagt: Wollen Sie mich verarschen? Diese Dichotomien haben Sie doch erst gerade zementiert. Der Denkfehler liegt darin, dass Andrea Roedig nicht weiß, zu wem sie spricht, weil sie nur aus sich heraus spricht. Hier spricht eine Gesunde zu den Gesunden.

Solche Texte sind eine Vorbereitung für das, was man früher »sanfte Euthanasie« nannte.

»In Maßen kontaminieren« – als wäre die Gesellschaft ein Körper, und die paar Tage Fieber (sprich: paar tausend Toten, die es geben wird) sind die Vorsicht nicht wert. Kurzum: Wir brauchen das Zusammenleben (aber halt ohne die). Zu denken, dass das System, das dieses Außen produziert, kaputt ist, wäre blöd: Das macht nämlich die Krankheitsmetapher kaputt. Und die braucht man halt schon für so einen Text.

Diese Pandemie stellt nicht die Welt auf den Kopf, sie zeigt nur deutlicher ihre Konturen: dass den meisten Menschen der Besuch eines Fußballspiels wichtiger ist als dass die 70jährige Nachbarin mit COPD noch drei Jahre länger hat. Solche Texte sind eine Vorbereitung für das, was man früher »sanfte Euthanasie« nannte. Man kann die Alten, Kranken, Kaputten, Anderen (nachdem man sie als alt, krank, kaputt und anders markiert hat) nicht umbringen; besser, unsere Lebensweise macht das. A bisserl Schwund is immer.

Ja, dann! Müssen wir auch nicht über uns nachdenken, nicht über die Gesellschaft, in der wir leben. Da können auch schnell mal Menschen zu Krankheitserregern werden, mit denen man sich – »in Maßen!« – kontaminieren muss. Das muss man nicht dekonstruieren, das kann man auch einfach weiterplappern.

Denn die Gesellschaft ist ein gesunder Körper, sie hat bloß ein bisschen Grippe. Solang das alles »in Maßen« geschieht, ist es doch alles okay. Insbesondere, weil wir ja gesund sind, wir können da nur gewinnen. Wichtig ist jetzt vor allem, das uns nicht fad wird während der Hysterie der anderen.

Frédéric Valin

ist Autor. In ak schrieb er die Kolumne »Torten & Tabletten«. Zuletzt erschien sein autobiografischer Roman »Ein Haus voller Wände« (Verbrecher-Verlag 2022) über seine Arbeit als Pfleger.