Ein Kader-Kandidat für die City Hall?
Neal Meyer von den Democratic Socialists of America erklärt den Erfolg Zohran Mamdanis bei den Bürgermeistervorwahlen in New York
Interview: Florian König
Ende Juni setzte sich unerwartet der 33-jährige Sozialist Zohran Mamdani bei den Vorwahlen der Demokraten für das Amt des Bürgermeisters in der größten Stadt der USA durch. Mamdani ist Aktivist der Democratic Socialists of America, DSA, wie auch Neal Meyer, der im Interview erklärt, wie es zu dem Erfolg bei den Vorwahlen kam und wie es jetzt weitergeht.
Im Juni hat Zohran Mamdani überraschend die Vorwahlen der Demokratischen Partei für das Bürgermeisteramt in New York City gewonnen. Wer ist Mamdani, und warum sorgt sein Sieg für so viel Aufsehen?
Neal Meyer: Zohran Mamdani wurde in Uganda geboren und kam mit sieben Jahren gemeinsam mit seinen Eltern nach New York City. Politisch aktiv wurde er während seiner Studienzeit in der Gruppe Students for Justice in Palestine. Vor acht Jahren trat er den Democratic Socialists of America, DSA, bei und wurde bald darauf als Organizer und Kampagnenmanager aktiv. Seit 2021 ist er gewähltes Mitglied der New York State Assembly, dem Abgeordnetenhaus des Bundesstaates New York. Sein Sieg bei den Vorwahlen war eine Sensation: Anfang des Jahres lag er in den Umfragen noch bei unter fünf Prozent. Am Ende stimmten 56 Prozent der rund eine Million Wahlberechtigten für ihn.
Was genau sind Vorwahlen?
In den USA finden parteiinterne Vorwahlen – sogenannte Primaries – statt, um die offiziellen Kandidat*innen für die Hauptwahl zu bestimmen. Anders als in Deutschland entscheiden also nicht Parteigremien, sondern die Wähler*innen selbst, wer für die jeweilige Partei antreten darf. Es gibt dadurch die Möglichkeit, Kandidat*innen gegen den Willen der Parteiführung zu nominieren. Die DSA nutzt dieses System gezielt, wie zuvor schon bei den Kampagnen von Bernie Sanders oder Alexandria Ocasio-Cortez. In den Vorwahlen setzte sich Mamdani gegen mehrere Mitbewerber durch – darunter der Favorit der Parteiführung, Ex-Gouverneur Andrew Cuomo.
Neal Meyer
ist Mitglied der New York City Democratic Socialists of America, DSA. Er ist Mitautor des Newsletters Left Notes auf Substack.
Welche Rolle spielt die DSA in Mamdanis politischem Werdegang?
Die DSA ist keine Partei, sondern eher eine Organisation von Aktivist*innen, die in verschiedenen Kämpfen, aber eben auch im Wahlkampf aktiv sind. Wir unterstützen in der Regel Kandidat*innen, die Aktivist*innen aus unserer eigenen Organisation sind. Manchmal unterstützen wir aber auch Kandidat*innen – wie Bernie Sanders –, die zwar keine Mitglieder der DSA, deren Politik und Ziele aber unseren sehr ähnlich sind. Mamdani ist ein Beispiel für das, was wir einen Kader-Kandidaten nennen: Er wurde politisch in der DSA sozialisiert, hat dort seine Netzwerke aufgebaut und war viele Jahre tief in der Organisation aktiv. Deshalb war sein Wahlsieg auch für uns ein besonderer Moment.
Wie kam es dazu?
Ein Großteil von uns ging davon aus, dass dies eine Art Propagandakampagne werden würde, bei der wir die Möglichkeit hätten, unsere Organisierung und politischen Inhalte in der Stadt bekannter zu machen. Nur eine kleine Gruppe und Zohran selbst haben – letztendlich zu Recht – daran geglaubt, dass diese Wahl gewinnbar sei. Ich glaube, dass es drei Gründe für seinen Erfolg gibt.
Sollte Zohran gewinnen, wird er mit seinen Vorhaben auf harten Widerstand innerhalb der Verwaltung stoßen.
Erstens: Sein Programm traf den Nerv der Zeit. In New York explodieren die Lebenshaltungskosten. Die Mieten verschlingen große Teile des Einkommens, Lebensmittelpreise bleiben hoch, der öffentliche Nahverkehr ist marode, dennoch werden die Ticketpreise erhöht. Mamdani versprach kostenlose Kinderbetreuung, kostenlosen Bus-Verkehr und einen Stopp der Erhöhung der Mieten für rent-stabilized apartments, die etwa die Hälfte des Wohnraums in der Stadt ausmachen. Finanziert werden soll das über höhere Steuern für Millionär*innen und Großunternehmen. Moderate Forderungen aus linker Sicht, aber radikal im US-Kontext.
Zweitens: Sein Hauptgegner, Cuomo, steht für alles, was viele an der Demokratischen Partei kritisieren. Von 2011 bis 2021 war er Gouverneur des Staates von New York, wie auch schon sein Vater vor ihm. Das Amt legte er nieder, nachdem mehrere Frauen ihn wegen sexueller Übergriffe und Belästigung angezeigt hatten. Er ist konservativ, hat enge Verbindungen zur Wirtschaftselite und zu Immobilienentwicklern. Es gibt eine tiefe Abneigung gegen ihn in breiten Teilen der Bevölkerung, die zweifellos eine Rolle gespielt hat.
Drittens: Die Kampagne selbst war enorm stark. Über 30.000 Freiwillige engagierten sich, sprachen mit Menschen auf der Straße, an Haustüren, im Freundeskreis. In sozialen Medien war die Kampagne sehr präsent. Auch wenn konservative Medien das als Hauptgrund darstellen und die Klassenpolitik dahinter ausblenden wollen – der Wahlkampf war professionell organisiert und bewegte viele Menschen.
In verschiedenen Medien wurde Mamdani Antisemitismus vorgeworfen. Was hältst du davon?
Ich halte das für einen der verabscheuungswürdigsten Angriffe auf die Kampagne – teils auch mit rassistischem Unterton. Zohran ist Muslim und äußerst kritisch gegenüber der Politik von Netanjahu und dem Genozid in Gaza. In den konservativen Medien und innerhalb der Demokratischen Partei wurde versucht, diese Haltung als Antisemitismus darzustellen. Interessanterweise haben diese Angriffe jedoch nicht verfangen – ein großer Teil der Wähler*innen der Demokratischen Partei ist zutiefst schockiert über das, was in Gaza geschieht.
Welche Rolle spielte die DSA konkret im Wahlkampf?
Die DSA war von Beginn an zentral beteiligt. Wir waren eine der ersten Organisationen, die Zohran unterstützten. Viele Schlüsselfiguren seines Kampagnenteams sind DSA-Mitglieder. Wir konnten auf unsere bestehenden Netzwerke zurückgreifen, um seine Bekanntheit zu steigern. Ohne diese Strukturen wäre dieser Erfolg kaum denkbar gewesen. Wir waren sozusagen diejenigen, die den Stein ins Rollen gebracht haben.
Wie war die Stimmung am Wahlabend?
Unbeschreiblich. Ich war auf einer Wahlparty mit über 800 Leuten. Niemand wusste, wie der Abend ausgehen würde. Wegen des komplexen Wahlsystems rechneten wir mit einer langen Auszählung. Als dann plötzlich verlautbart wurde, dass Cuomo seine Niederlage eingestanden hat, brach die Menge in Jubel aus. Menschen schrien, weinten, klatschten. Wir alle hatten das Gefühl, dass gerade etwas Unglaubliches passiert war. Wir hatten dem ganzen Land gezeigt, dass eine andere Art von Politik möglich ist – selbst in dieser schwierigen Zeit unter der Trump-Regierung. Das war einer der schönsten politischen Momente meines Lebens.
Wie geht es jetzt weiter?
Zohran tritt am 4. November als offizieller Kandidat der Demokratischen Partei zur Bürgermeisterwahl an. Normalerweise ist das in New York ein sicheres Ticket – die Demokraten haben die letzten drei Wahlen mühelos gewonnen. Doch diesmal ist es komplizierter, weil viele starke Kandidaten antreten: Der in den Vorwahlen unterlegene Cuomo tritt nun als unabhängiger Kandidat an. Ebenfalls als unabhängiger Kandidat hat sich der amtierende Bürgermeister Eric Adams aufgestellt. Er war ursprünglich Demokrat, wurde aber wegen Korruption angeklagt und stand kurz vor der Amtsenthebung. Trump sorgte dafür, dass das Justizministerium die Anklage fallen ließ. Im Gegenzug erlaubte Adams der Einwanderungsbehörde ICE Zutritt zu New York – was die Stadtregierung zuvor blockiert hatte. Hinzu kommt der republikanische Kandidat Curtis Sliwa, Gründer der Guardian Angels, einer Art Bürgerwehr, die seit den 1970er Jahren existiert. In aktuellen Umfragen liegt Zohran vorn, aber bei vier starken Kandidaten ist vieles offen. Es könnte auch zu taktischen Rückzügen kommen, um ihn zu verhindern.
Welche politischen Veränderungen sind realistisch, falls Mamdani gewinnt?
Seine wichtigste Sofortmaßnahme wäre wohl der Stopp der Mietsteigerungen bei den rent stabilized apartments. Das liegt in der Kompetenz des Bürgermeisters. Schwieriger wird es bei der kostenlosen Kinderbetreuung und dem Nahverkehr, da hier größere finanzielle Spielräume notwendig sind. Eine Erhöhung der Einkommenssteuer müsste vom Bundesstaat New York genehmigt werden. Die Gouverneurin, Kathy Hochul, ist eine konservative Demokratin, die mit ziemlicher Sicherheit versuchen wird, dies zu verhindern. In den Medien hat sie sich bereits als Kümmerin und Seelsorgerin der Wirtschaftselite in New York dargestellt. Es gibt aber Möglichkeiten, sie politisch unter Druck zu setzten, weil sie sich nächstes Jahr zur Wiederwahl stellt. Es gibt bereits Diskussionen zwischen linken und progressiven Gruppen und Gewerkschaften, ihr die Nominierung bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei streitig zu machen. Es gibt auch bereits einen Kandidaten, Anthony Delgado, der sich als progressiver Kandidat darstellt. Er ist aber definitiv kein Kader-Kandidat. Es ist unklar, ob er wirklich an das glaubt, was er sagt, oder ob er sich nur progressiv gibt, um Karriere zu machen. Wir planen zurzeit nicht, einen eigenen Kandidaten ins Rennen zu schicken, da wir keine starke Präsenz im Bundesstaat außerhalb der Großstädte haben. Wir werden aber vermutlich eine Gegenkandidatur unterstützen.
Und wie geht es mit DSA weiter?
Erstmal wollen wir die Begeisterung und Hoffnung aus dem Vorwahlsieg in den Hauptwahlkampf tragen. Sollte Zohran gewinnen, werden wir uns nicht auf dem Erfolg ausruhen können. Er wird mit seinen Vorhaben auf harten Widerstand innerhalb der Verwaltung stoßen. Es geht also darum, seine Forderungen mittels Mobilisierungen auf der Straße durchzusetzen. Zudem überlegen wir, einen Kandidaten für den Kongress ins Rennen zu schicken. Unsere Mitgliederzahlen haben sich durch den Wahlkampf massiv erhöht – wir haben jetzt über 10.000 Mitglieder in New York City. Bei jedem Treffen sind neue Gesichter dabei. Es ist eine aufregende, aber auch herausfordernde Zeit für linke Politik in New York City.