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|ak 717 | Ökologie

Wenn Klimaschutz zum Vaterlandsverrat wird

Die Bundesregierung setzt das fossile Rollback fort – für die Klimabewegung könnte das zumindest eine Klärung der Fronten bedeuten

Von Lasse Thiele

Fünf Aktivist*innen der Letzten Generation sitzen mit Warnwesten in einer Reihe auf der Straße, vor ihnen Autos.
Proteste der Letzten Generation 2022 am Berliner Hauptbahnhof: Inzwischen gibt es zwei Nachfolgegruppen und die Klimabewegung ist zerfasert. Foto: Wikimedia Commons/Stefan Müller, CC BY 2.0

In Wahlen und Koalitionsverhandlungen manifestieren sich Verschiebungen politischer Kräfteverhältnisse. So war nach dem seit 2022 beinahe zur Platitüde gewordenen klimapolitischen »Backlash« zu erwarten, dass sich dieser auch in der neuen Regierung abbilden würde. Wie ist die neue klimapolitische Lage einzuschätzen?

Rückblende: Die Ampel-Regierung trat 2021 kurz nach dem Höhepunkt der Klimabewegung an und versprach mit parteigrüner Beteiligung ein – widersprüchliches – Programm ökologischer Modernisierung. Spätestens nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wenige Monate danach wurden die Widersprüche zumeist einseitig aufgelöst: So versuchte der grüne Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck übereifrig, durch staatlich orchestrierte Frackinggas-Importe staatsmännische Verantwortung zu demonstrieren. Klimapolitische Fortschrittsbemühungen blieben letztlich auf zwei Sektoren begrenzt: Habecks Ministerium beendete die politische Blockade des Erneuerbaren-Ausbaus und legte für den Gebäudebereich ein tatsächlich realpolitisch nicht unambitioniertes Gesetz vor, das bekanntermaßen im Kreuzfeuer kulturkämpferisch inszenierter fossiler Gegenkampagnen (Stichwort »Heiz-Hammer«) unterging und gründlich entkernt wurde.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt, Mitte 2023, hatte Klimaschutz den Status diskursiver Hegemonie – alle bekennen sich dazu, niemand setzt ihn um – verloren und wurde zum politischen Tabuthema. Im Kontext von Rechtsruck, Militarisierung, Geopolitik und Standortpanik wurde Klimaschutz zum tendenziellen Vaterlandsverrat: eine inakzeptable Schwächung der Nation. Im Abschiebewettbewerb des Bundestagswahlkampfs 2025 fand das Thema entsprechend kaum statt. (ak 712)

Auch die Klimabewegung verlor in dieser Zeit an Stärke. Der parlamentarisch orientierte liberale Flügel steckte in einer Sackgasse, der radikale Flügel war zunehmend politisch isoliert. In der Zivilgesellschaft sah es ähnlich aus; mitgliederstarke, Grünen-nahe Umweltverbände hatten Beißhemmungen, solange die Grünen mitregierten. Die Mobilisierungsstärke schrumpfte, Ratlosigkeit machte sich breit. Endlose Strategiedebatten und Suchbewegungen führten zu einer Zerfaserung der Bewegung, die in den Jahren zuvor von einer relativ produktiven, spektrenübergreifenden Arbeitsteilung profitiert hatte.

Schwarz-rote Klimapläne

Die neue schwarz-rote Regierung machte dann gleich deutlich, wo es langgeht: Das zuvor von der Ampel durch seine Integration ins Wirtschaftsministerium aufgewertete Klimaressort wurde wieder zum Umweltministerium verschoben, firmiert damit bundespolitisch erneut unter »Gedöns« (Gerhard Schröder). Diverse klimabezogene Beauftragtenposten wurden von Kanzler Friedrich Merz (CDU) direkt gestrichen – deren politischer Effekt war zwar überschaubar, aber die Symbolik ihrer Eliminierung deutlich. Das gilt auch für die Personalpolitik: Die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) kam direkt aus der Geschäftsführung der Westenergie AG, die unter anderem im Gasgeschäft tätig ist. Umwelt- und Klimaminister Carsten Schneider (SPD) wiederum ist völlig fachfremd; spöttische Presseartikel attestierten ihm, er glänze durch das fehlerfreie Zitieren des Koalitionsvertrags.

Und der hat es in sich: Schwarz-Rot setzt auf einen massiven Ausbau fossiler Gaskraftwerke. Auch wenig flexible Reserve-Kohlekraftwerke sollen in Zukunft häufiger laufen – ein weiteres Geschenk für die Fossilindustrie. Erneuerbare Energien dagegen behandelt das Dokument wie Neuland und verzichtet auf Ausbauziele: Man müsse sich dort erst mal einen Überblick von der Lage verschaffen. In diesem Sinne gab Reiche kürzlich ein Gutachten in Auftrag, das im Wesentlichen prüfen soll, wie sich die Energiewende unter Berufung auf Kosten und Versorgungssicherheit vielleicht noch ein wenig ausbremsen ließe. Insgesamt möchte die Koalition auf diversen Wegen Energie für (vor allem industrielle) Verbraucher*innen verbilligen und setzt dafür auch Milliarden aus dem sogenannten Klima- und Transformationsfonds (KTF) kreativ ein.

Quer durchs Land sollen weitere Autobahnen gebaut werden.

Gleichzeitig erlebt die lange schon abgeschriebene CCS-Technologie zur Abscheidung und Speicherung von CO2 ein Revival, das bereits unter der Ampel eingeleitet wurde (ak 702). CCS wird stets mit »unvermeidlichen Restmissionen« in Industrieprozessen begründet, soll aber entgegen dieser Behauptung auch für Gaskraftwerke zugelassen werden. Deren Klimaeffekt bestimmt sich jedoch unter anderem durch Methanlecks entlang der Lieferkette, die durch die (auch unvollständige) CO2-Abscheidung nicht verhindert werden. Die CDU/SPD-Koalition beabsichtigt, die dafür nötigen Infrastrukturnetze staatlich zu subventionieren und als im »überragenden öffentlichen Interesse« liegend zu definieren, um Proteste und Klagen zu erschweren. Dem lokalen Widerstand Anfang der 2010er Jahre, der einst zur faktischen Illegalisierung von CCS in Deutschland führte, versucht man diesmal auszuweichen.

Der Kohlenstoff soll nicht in deutschen Böden verpresst werden, sondern wahlweise per Pipeline ins Ausland transportiert oder unterseeisch gelagert werden. Das Perfide daran: Der CCS-Einstieg dient selbst dann als Lebensverlängerung für das fossile Kapital, wenn die Umsetzung erneut scheitert. In dem Fall wird das CO2 eben weiterhin in die Luft geblasen, da für die Kraftwerke und Fabriken schlicht keine Alternativen geschaffen wurden.

Auf Ordnungspolitik verzichtet die Koalition im Klimabereich vollständig. Sie setzt dafür in neoliberaler Tradition vollmundig auf Preissignale durch den Emissionshandel, der ab 2027 vollständig europäisch integriert wird. Allerdings soll die deutsche Landwirtschaft dabei ausgespart werden. Gleichzeitig will die Regierung durch diverse Kompensationen dafür sorgen, dass diese Preise unter keinen Umständen spürbar werden – verspricht also die weitgehende Neutralisierung ihrer eigenen Klimapolitik. Die Entscheidung von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD), die emissionsunabhängige Stromsteuer vorerst nur für die Industrie und nicht für Privathaushalte zu senken, zeigt die Prioritäten der realen Entlastungspolitik.

Derweil geht es im Gebäudebereich unterhaltsam zu: Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) wolle man reformieren, heißt es im Koalitionsvertrag, ganz abschaffen dagegen das »Heizungsgesetz«, das indes bloß als Kulturkampfchiffre für das GEG existiert. Absehbar werden die ordnungsrechtlichen Vorschriften noch weiter gestutzt, möglicherweise unter das Niveau des ursprünglichen schwarz-roten GEG von 2020. Finanzielle Förderungen wird es weiterhin geben – die könnten aber im Sinne der »Technologieoffenheit« auch in fossile Gasheizungen fließen.

Der Verkehrswegeplan soll beibehalten, das heißt, es sollen quer durchs Land weitere Autobahnen gebaut werden. Währenddessen verzichtet die neue Koalition für den Schienenverkehr auf Zielzahlen (die Ziele der Ampel-Regierung hatten allerdings ohnehin wenig Bezug zur infrastrukturpolitischen Praxis). Den Flugverkehr als bürgerliche Domäne versucht man zu verbilligen und dabei auch die lästigen Quoten für »klimafreundliche« Alternativtreibstoffe zu minimieren. Konsequenterweise verzichtet die Koalition auf halbe Sachen und überlässt das »grüne« Fliegen, das mit physikalischen Gesetzen ohnehin kaum vereinbar ist, einfach ganz der Magie.

Zwar bekannte sich die Merz-Regierung symbolisch zum Klimaschutz und zu den etablierten deutschen Klimazielen, also Netto-Nullemissionen bis 2045. Doch faktische Klimapolitik geschieht nicht über abstrakte Zielmarken, sondern im Konkreten. Mit den geplanten Maßnahmen rückt das Ziel in immer unerreichbarere Ferne. Und kaum war sie im Amt, stellte Wirtschaftsministerin Reiche das Klimaziel dann doch in Frage – man solle realistisch bleiben.

Die neuen Klimakämpfe

Das Momentum des fossilen Rollbacks dürfte sich unter diesen Vorzeichen noch fortsetzen. Progressive Kräfte in der klassischen Klimapolitik drohen so weitgehend in Defensivkämpfe verstrickt zu bleiben. Gleichzeitig haben sich strukturelle Rahmenbedingungen für die Klimabewegung verbessert – zumindest auf dem Papier. Die schwarz-rote Regierung könnte eine Frontenklärung bewirken: Der Beton- und Autoblock ist unmissverständlich an der Macht, lässt sich sogar plakativ durch eine Managerin aus der Fossilindustrie repräsentieren. Die Grünen sind wieder in der Opposition und damit nicht mehr auf die Rolle festgelegt, der Klimabewegung die Grenzen des Machbaren zu erklären. Die Zivilgesellschaft könnte im Zuge dieser Entwirrung wieder konsequenter auftreten. Auch Die Linke schießt seit der BSW-Abspaltung klimapolitisch zumindest nicht mehr quer.

Doch der Bewegung fehlt es weiter an überzeugenden, Hoffnung schaffenden Bewegungsprojekten. Nicht zuletzt fehlt der politische Resonanzraum: Für die Linkspartei bleibt Klimapolitik ein mäßig attraktives Feld, die Grünen versuchen es weiterhin mit Kooperation wie bei der Aushandlung des Sondervermögens. Und in den Verbänden wächst die Angst, durch offensives Auftreten zur Zielscheibe rechter Kampagnen zu werden. Das wieder aufgestoßene Gelegenheitsfenster für breitere sozial-ökologische Bündnisse bleibt so bislang ungenutzt.


Der Beton- und Autoblock lässt sich sogar plakativ durch eine Managerin aus der Fossilindustrie repräsentieren.

Wo könnte Dynamik entstehen? Immer mehr Akteur*innen orientieren sich nun in Richtung Gasausstieg. Der Schock von Krieg und Gaspreisexplosion ist überwunden, die massiven Ausbaupläne sind leichter kritisierbar. Erschwert wird der Widerstand durch den Umstand, dass die unmittelbarsten Zerstörungen durch die Gasindustrie meist auf Förderstätten im Ausland ausgelagert sind. Auch darum konzentrieren sich Proteste nun auf die inländischen Förderpläne vor Borkum – die aber im Zweifelsfall wiederum durch Importe ersetzt werden könnten. Ein geopolitisch aufgeladener Konfliktfall könnte hingegen die russisch-deutsche Gaspipeline Nord Stream 2 werden. Hinter den Kulissen arbeiten auch Kräfte aus den Regierungsparteien an ihrer Wiederinbetriebnahme.

Ansonsten zeichnet sich in der bewegungspolitischen Tendenz ab: Nichts ist mehr »nur« Klima. Zuletzt entwickelte die Klimabewegung vor allem durch die Verbindung mit antifaschistischen Kämpfen Stärke. Andere Initiativen setzen bei sozialen Alltagskämpfen an, etwa zu Heizkosten in Wohnquartieren, wobei die klimapolitischen Zielsetzungen eher indirekt verfolgt werden. Auf größerer Ebene stellt etwa »RWE & Co. Enteignen« die Eigentumsfrage, jüngst unterstützt von einem juristischen Gutachten, das Vergesellschaftungen im Energiesektor im aktuellen Rechtsrahmen für machbar hält. So bewegen sich viele Akteur*innen gewissermaßen einige Schritte zurück, um an den strukturellen Bedingungen für Klimapolitik anzusetzen – nachvollziehbar, wenn kurzfristige Erfolge kaum möglich scheinen. Andere preschen dagegen voran und stellen sich schon dem Umgang mit Klimafolgen. Wasserknappheit, solidarische Katastrophenhilfe und Kollapspolitik werden so zu Bewegungsthemen mit noch unklaren Organisierungspotenzialen. Gemeinsam ist all diesen neuen Klimakämpfen der wichtige Fokus auf soziale Infrastrukturen. In welchen konkreten Kämpfen die Bewegung aber wieder zusammenkommen und ihre Kräfte konzentrieren könnte, ist momentan offen.

Lasse Thiele

arbeitet im Konzeptwerk Neue Ökonomie zu Klimagerechtigkeit und ist in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv.