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Nachbarschaften für Klimagerechtigkeit

Damit die Wärmewende die soziale Spaltung nicht weiter vertieft, darf sie nicht den Wohnungsunternehmen überlassen werden

Von Armin Kuhn

Teil eines schneebedeckten Daches mit Schornstein, aus dem Rauch kommt.
So oder so kann das Heizungsgesetz, in welcher Form es am Ende auch kommt, nur der Anfang sein. Zu groß ist der Schaden am Klima, der durch das fossile Heizen entsteht, und zu lange ist im Gebäudesektor kein CO2 eingespart worden. Foto: Nadine Marfurt/Unsplash

Das seit Monaten umstrittene Heizungsgesetz der Bundesregierung war ein Koalitionsstreit mit Ansage. Doch nicht nur die koalitionsinterne Opposition der FDP und die wochenlange Kampagne von rechts haben dazu beigetragen. Die Empörung gilt einer Klimaschutzpolitik, die keine Antworten auf die soziale Frage hat.

Sollte dieses Gesetz verabschiedet werden, müssten neu eingebaute Heizungen ab Januar 2024 zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien laufen – von großzügigen Ausnahmen und Übergangsregelungen abgesehen. Von einem »Heizungsverbot«, wie gezielt von rechts lanciert, kann überhaupt keine Rede sein. Steinzeit-Heizungen aus den 1970er oder 1980er Jahren dürften weiter betrieben und repariert werden. Selbst der Einbau neuer Gasheizungen bliebe erlaubt, wenn sie »wasserstofffähig« sind oder grüne Heizungen ergänzen. Begleitet wird das Gesetz von einem gigantischen Umverteilungsprogramm zugunsten von Eigenheimbesitzer*innen und Vermieter*innen. Nach aktuellen Plänen sollen mindestens 30 bis 50 Prozent der Einbaukosten vom Staat übernommen werden. (1)

So oder so kann das Heizungsgesetz, in welcher Form es am Ende auch kommt, nur der Anfang sein. Zu groß ist der Schaden am Klima, der durch das fossile Heizen entsteht, und zu lange ist im Gebäudesektor kein CO2 eingespart worden. Doch selbst dieser kleine Schritt in Richtung Klimaschutz scheint zu groß. Die Bevölkerung läuft Sturm gegen »Habecks Heizungshammer« (Bild). Die gezielt geschürte Empörung entspringt einem Kern, der auch in anderen Bereichen zu einer heftigen Ablehnung des Klimaschutzes durch große Teile der Bevölkerung führt: dem Gefühl, dass ein jahrzehntelang vernachlässigter Klimaschutz auf die »kleinen Leute« abgewälzt wird, mit der Moralkeule daherkommt und die soziale Frage der Kostenverteilung und Bezahlbarkeit ausklammert.

Statt an moralische Verantwortung zu appellieren gilt es, Kämpfe gegen die Klimakrise mit spürbaren Verbesserungen im Alltag zu verbinden. 

Die Empörung ist nachvollziehbar. Die Bundesregierung überlässt – ganz im Sinne der liberalen Eigenverantwortung – den Klimaschutz beim Heizen den Einzelnen. Die Eigentümer*innen sollen sich informieren, sich um Energieberatung und Handwerker*innen kümmern. Sie sollen Anträge stellen, um nicht allein auf den Kosten sitzen zu bleiben, wenn sie das Geld denn überhaupt aufbringen können. Zu Recht fühlen sie sich von der Politik allein gelassen, umso mehr, da ein Gesamtkonzept für klimaneutrales Wohnen nicht zu erkennen ist. Zwar ist ein Gesetz für die kommunale Wärmeplanung jetzt doch noch in Planung. Aber wie die für die Wärmewende ebenso wichtige energetische Sanierung eines erheblichen Teils der etwa 18 Millionen Wohngebäude gelingen soll, ohne die Menschen auch damit allein zu lassen, steht vollkommen in den Sternen.

Zusätzliche Angriffsfläche bietet die vor allem den Grünen zugerechnete Haltung, Klimaschutz als eine Gesinnungs- und Lifestylefrage zu begreifen, als moralische Anforderung, den eigenen ökologischen Fußabdruck zu minimieren. Hier setzt die politische Rechte dankbar an und stellt die Wärmewende als Zwang und Entmündigung dar, gegen die es die freie Heizungswahl zu verteidigen gebe. Ein anschlussfähiges Deutungsangebot, bis weit in die Linke hinein.

Scheinwiderspruch Bezahlbarkeit vs. Klimaschutz

Der größte Fehler liegt jedoch darin, soziale und ökologische Ziele gegeneinander auszuspielen. Wer nicht sieht, dass die Menschen mit dem größten »ökologischen Fußabdruck« die geringsten Probleme haben, die Kosten dafür aufzubringen, während der »soziale Ausgleich« für die Mehrheit der Bevölkerung, wenn überhaupt, nur nachrangig diskutiert wird, braucht sich über eine breite Empörung gegen solche Pläne nicht zu wundern. Was das alles für die Mieter*innen bedeutet, immerhin die gesellschaftliche Mehrheit, kommt in der Debatte so gut wie gar nicht vor. Sie sollen, so sieht es das Gesetz vor, weiter die vollen Kosten der energetischen Sanierung tragen müssen.

Die erste Aufgabe der gesellschaftlichen Linken muss es sein, den Scheinwiderspruch zwischen Bezahlbarkeit und Klimaschutz zurückzuweisen. Der Klimaschutz ist bezahlbar, es ist nur eine Frage der Verteilung. Denn es sind die Menschen mit hohen Einkommen und Vermögen, die auch beim Wohnen das Klima am meisten schädigen, vor allem, weil sie auf zu viel Fläche wohnen. Die hohen Energiepreise können sie sich problemlos leisten, während die ärmsten zehn Prozent der Mieter*innen zuletzt acht Prozent für Heizung und Strom ausgeben mussten, fast doppelt so viel wie im Jahr davor. (2) Menschen mit geringen Einkommen sind sowohl von der Klimakrise als auch von der Wohnungskrise betroffen – sie leben in zu teuren und gleichzeitig energetisch schlecht sanierten Wohnungen. Daran ändert sich nichts, weil der Klimaschutz die Profite nicht antasten soll.

Bestes Beispiel für einen Klimaschutz als Umverteilung von unten nach oben ist die Modernisierungsumlage. Paragraf 559 BGB erlaubt es Vermieter*innen, den Mieter*innen acht Prozent der Sanierungskosten auf die Jahresmiete aufzuschlagen. Je nach vorheriger Miethöhe können das bis zu zwei oder drei Euro zusätzlich pro Quadratmeter und Monat sein – unabhängig von einer Heiz- oder Warmwasserkostenersparnis. Der Reiz für die Vermieter*innen liegt darin, dass diese Mieterhöhung unbegrenzt gilt – und nicht nur, bis die Kosten für die energetische Sanierung abbezahlt sind. Deshalb verzichten sie auch meistens auf öffentliche Fördermittel, denn die müssten von den umgelegten Kosten abgezogen werden. Das würde weniger Mieterhöhung und damit auch weniger Profit bedeuten. Eine Pflicht, Fördermittel in Anspruch zu nehmen, ist auch jetzt nicht geplant.

Die Modernisierung wurde so zum Geschäftsmodell – und zum Verdrängungsmotor. Je höher die Kosten, desto höher die Mieterhöhung. Entsprechend waren und sind energetische Modernisierungen unter Mieter*innen regelrecht gefürchtet. Der Widerstand dagegen gehört zum Identitätskern der aktuellen Mietenbewegung.

Mieten- und Klimabewegung nähern sich an

Demgegenüber herrschte in Kreisen der Klima- und Umweltbewegung lange Unverständnis darüber, warum Mieter*innen sich gegen die klimapolitisch wichtigen Sanierungen wehren. Jüngstes Beispiel ist der Klimavolksentscheid in Berlin von Ende März. Der dürfte auch daran gescheitert sein, dass er den Mieter*innen keine für sie spürbaren Verbesserungen anzubieten hatte. Eine soziale Abfederung kam erst später als Forderung hinzu. Die Idee, hohe Mieten auf Staatskosten zu subventionieren, ist aber ein No-Go für die Mietenbewegung.

Dabei hat sich gerade in Berlin in den letzten ein bis zwei Jahren einiges getan. Schon länger haben Mieten- und Klimabewegung versucht, sich stärker aufeinander zu beziehen. In der abrissbedrohten Haabersathstraße, in der »Taskforce klimagerecht enteignen« von Deutsche Wohnen & Co. enteignen (DWE) und im Kiezprojekt, einer gemeinsamen Organizing-Initiative der DWE-AG Starthilfe, des Berliner Mietervereins und der in der Klimabewegung verankerten Stiftung Movement Hub, werden Klima- und Mietenkämpfe gemeinsam geführt. Die Zusammenarbeit steht erst am Anfang, auch in anderen Städten. Oft sind Organizingmethoden die Klammer für solche gemeinsamen Kämpfe. Die direkte Ansprache und die gemeinsame Organisierung mit Betroffenen helfen, ideologische und kulturelle Unterschiede zwischen den Aktiven zu überbrücken.

Die gemeinsame Organisierung braucht jedoch auch eine Strategie für eine sozial-ökologische Wende, die Klimaschutz beim Wohnen nicht individualisiert, ihn nicht als moralische Frage formuliert und die Rede vom »leider sehr teuren« Klimaschutz klassenpolitisch beantwortet. Ein Schlüssel dafür könnte das Ziel »klimagerechter Nachbarschaften« sein.

Block für Block vorgehen

Für Menschen in Stadtteilen, in Einfamilienhaussiedlungen im Vorort oder im ländlichen Raum, in denen sich jetzt schon die Probleme ballen, ist Klimaschutz kein Versprechen, sondern eine Drohung. Sie für die Wärmewende zu gewinnen, kann nur gelingen, wenn Klimaschutz ihnen im Alltag spürbare Verbesserungen bringt. Gleichzeitig bieten Plattenbaugebiete, verfallende Altbauten in gentrifizierungsbedrohten Innenstadtvierteln oder Eigenheime, deren Besitzer*innen kein Geld für Investitionen haben, ein enormes CO2-Einsparpotenzial. Ein Konzept, das beides miteinander verbindet und zu einer Infrastrukturaufgabe macht, die Block für Block, Siedlung für Siedlung vorgeht, kann für schnellen Klimaschutz sorgen und die Wohnungskrise bekämpfen.

Dazu muss die Wärmewende von der Ebene des einzelnen Hauses auf die Quartiersebene gehoben werden, als öffentliche Infrastruktur. Mit Quartierslösungen für die Wärme, mit kostenlosen Energieberatungen, die verbindliche Sanierungspläne erstellen und bei Anträgen auf eine einkommensabhängige (!) Förderung helfen sowie mit kommunalen Bauunternehmen, die entsprechende Sanierungs- und Einbaukapazitäten bereitstellen, wäre die Wärmewende effizienter und kostengünstiger. Mit solchen Forderungen können Nachbar*innen gemeinsam agieren und Druck für eine klimagerechte Umsetzung aufbauen. Aus individueller Eigenverantwortung wird kollektive Betroffenheit und (potenzielle) Handlungsmacht.

Die ohnehin nötige, umfassende Erneuerung dieser Quartiere kann genutzt werden, um auch andere Probleme anzugehen: heruntergekommene Gebäude, Platzmangel und ein unsicheres Wohnumfeld, verfallene Schulen, zu wenig Grünflächen, schlechte Verkehrsanbindung, Diskriminierung anhand der Wohnadresse oder umgekehrt Verdrängungsdruck aus dem gewohnten und geliebten Lebensumfeld, Einsamkeit und Pflegekrise. Wenn der Planungsaufwand, den die Wärmewende als absehbar größtes Stadterneuerungsprogramm seit den 1990er Jahren bedeutet, auch Lösungen für diese Probleme bietet, ist das nicht nur effizienter. Im Ziel klimagerechter Nachbarschaften lassen sich Kämpfe gegen die Krise mit solchen im Alltag spürbaren Verbesserungen bündeln, statt an moralische Verantwortung und »carbon guilt« zu appellieren. 

Klimaschutz ohne Mieterhöhug heißt auf Profite zu verzichten. Sozialverträgliche energetische Sanierungen gelingen, wenn überhaupt, nur in kommunalen oder genossenschaftlichen Wohnungsbeständen. Der Kampf um eine Überführung von Mietshäusern in Gemeinwirtschaft fängt auf der Nachbarschaftsebene an, insbesondere in den Beständen großer Wohnungsunternehmen. Ein interessantes Mittel könnten auch die fast vergessenen Sanierungsgebiete sein, die in den 1990er Jahren in Ostdeutschland großflächig zur Anwendung kamen, mit Beteiligungs- und Vorkaufsrechten, Sozialplänen und der Abschöpfung von Wertsteigerungen bei den Eigentümer*innen. Die Rekommunalisierung oder Vergesellschaftung von Wohnungen und der Wärmeversorgung sind weitere wichtige Forderungen. 

Am Ende führt jedoch kein Weg daran vorbei, den Rahmen auf der Bundesebene zu ändern. Dazu gehören neben massiven staatlichen Investitionen, refinanziert durch eine Vermögenssteuer, unbedingt auch die Abschaffung der Modernisierungsumlage. Einige Aktivist*innen aus der Mieten- und der Klimabewegung diskutieren aktuell eine entsprechende Kampagne (Klimareporter 23.05.2023). Ließe sich die mit einer Vision, wie es stattdessen gehen soll, und mit einer Organisierung von unten, in Nachbarschaften für Klimagerechtigkeit, verbinden, wäre das ein sehr großer Schritt nach vorne.

Armin Kuhn

ist Referent für Mieten- und Wohnungspolitik bei der Rosa Luxemburg Stiftung.

Anmerkungen:

1) Für alle Details und zur Einordnung des Gesetzes siehe »Heizungstausch: Mythen und Wahrheiten«.

2) Öko-Institut und Rosa-Luxemburg-Stiftung: Mehrfamilienhäuser – Der blinde Fleck der sozialen Wärmewende.