Ungleichheit vor dem Gesetz
Auslieferungen nach Ungarn wurden vom Bundesverfassungsgericht für unzulässig erklärt. Zaid A. droht sie dennoch – weil er keinen deutschen Pass hat
Von Britta Rabe

Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen«, schrieb Bertolt Brecht schon 1940 in den »Flüchtlingsgesprächen«. Wahrscheinlich würde er selbst nicht glauben, welche Aktualität sein Satz im Jahr 2025 hat. Zwar ist die Gefahr, nach Ungarn ausgeliefert zu werden, für sieben von acht Antifaschist*innen, die sich am 20. Januar 2025 freiwillig den Strafverfolgungsbehörden stellten, erst einmal gebannt; das gilt jedoch nicht für Zaid A., der sich im Polizeipräsidium in Köln-Kalk stellte und sich seitdem in der JVA Köln Ossendorf in Auslieferungshaft befindet. Aufgrund seiner syrischen Staatsbürgerschaft ist Zaid A. akut von einer Auslieferung nach Ungarn bedroht. Denn die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat ausschließlich gegen die sieben Antifaschist*innen Haftbefehle verhängt, die eine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Gegen Zaid A. besteht nur ein europäischer Haftbefehl auf Antrag Ungarns, die deutschen Behörden haben bislang keinen Antrag auf Nichtauslieferung von Zaid A. gestellt.
Der Fall von Zaid A. liegt aktuell in der Zuständigkeit der Generalstaatsanwaltschaft in Berlin – jener, die die rechtswidrige Auslieferung von Maja T. durchführte – eine sichtlich politisch motivierte Aktion. Zur Erinnerung: Am 27. Juni 2024 wurde Maja T. nach Ungarn ausgeliefert. Eine Entscheidung, mit der die Generalstaatsanwaltschaft und das Kammergericht Berlin dem Auslieferungsersuchen Ungarns nachkamen, ohne die Entscheidung über die Eilbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht abzuwarten.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erklärte die Auslieferung von Maja T. am 24. Januar 2025 für rechtswidrig und lieferte eine wichtige Begründung: Es zweifelt an, dass die ungarischen Behörden geeignet seien, »das Risiko einer Artikel 4 der Grundrechte-Charta zuwiderlaufenden Behandlung ohne Weiteres auszuschließen«. Es sieht hinreichende Anhaltspunkte für systemische Mängel – wie die steigende Überbelegung ungarischer Justizvollzugsanstalten, für Gewalt gegen Häftlinge durch Mithäftlinge und Personal – und sieht Defizite hinsichtlich des Rechtswegs für Gefangene.
Gerade deshalb sind im Fall von Zaid A. höchste Wachsamkeit und gesellschaftlicher Druck geboten. Denn eine Auslieferung in das rechtsautoritär regierte Ungarn unter dem Orbán-Regime ist für sämtliche Beschuldigte grundsätzlich abzulehnen und kann für Zaid A. zusätzliche schwere Konsequenzen haben. Es ist zu hoffen, dass die Generalstaatsanwaltschaft Berlin aufgrund der klaren Positionierung des Bundesverfassungsgerichts nicht wagt, dies zu wiederholen.
Auch Maja T. berichtete aus der Haft in Budapest von Gewalt gegen andere Gefangene: So seien Schreie und Schläge aus anderen Zellen zu hören gewesen. Ähnlich wie Maja T. hatte bereits Ilaria S., die ebenfalls in Budapest inhaftiert war, die schlimmen Zustände von anhaltenden hygienischen Mängeln und verschimmeltem Essen geschildert. Auch Maja beschreibt erniedrigende Maßnahmen wie regelmäßige Nacktkontrollen, Leibesvisitationen und permanente Videoüberwachung. Es ist damit zu rechnen, dass Zaid A. als syrischer Staatsbürger in Ungarn insbesondere rassistischer Diskriminierung durch das Gefängnispersonal und die Mitinsassen sowie durch Staatsbedienstete ausgesetzt sein wird. Die rechts-autoritäre Regierung forciert seit mindestens zehn Jahren eine äußert restriktive rassistische Abschreckungspolitik, in der Migration zur terroristischen Gefahr stilisiert wird. Dies unterstreichen auch die Berichte von Tobias E., der in Budapest angeklagt und dort fast zwei Jahre inhaftiert war. Seit Dezember 2024 befindet er sich in der JVA Burg in Sachsen-Anhalt. In einem Interview spricht er über Hitlergrüße in einem ersten Gefängnis außerhalb von Budapest. In einem weiteren Gefängnis seien dann arabische Mitgefangene etwa mit Ziegenlauten provoziert worden.
Kein faires rechtsstaatliches Verfahren in Ungarn
Eklatante rechtsstaatliche Mängel zeigen sich auch in dem aktuell laufenden Strafprozess gegen Maja T. in Budapest: Das angedrohte Strafmaß reicht in Ungarn bis zu 24 Jahre Haft, notwendige Akten für Majas Verteidigung sind nicht ins Deutsche übersetzt worden. Im Gericht gibt es teilweise eine hohe Präsenz ungarischer Neonazis im Publikum.
Personen mit arabischem Hintergrund sind in Ungarn aus rassistischen Gründen zusätzlich gefährdet, wie schon der bekannte Fall der »Röszke 11« aus den Jahren 2016 bis 2018 zeigt: Ahmed H. und zehn andere Geflüchtete aus Syrien, Iran und Irak waren im September 2015 am Grenzübergang Röszke wegen »illegalen Grenzübertritts« festgenommen worden. Dies wurde als Straftat gewertet und mit bis zu drei Jahren Haft geahndet. Die Zehn wurden erst nach längerer Inhaftierung und nach Strafprozessen in Ungarn entlassen. Ahmed H., syrischer Staatsbürger, wurde 2016 als »Terrorist« in Ungarn zu zehn Jahren Haft verurteilt. (1) Im Prozess wurden allein belastende Aussagen und Material der Polizei verwendet. Potenziell entlastende Zeugen wurden nicht berücksichtigt.
Drohende Ausweisung nach Syrien
Allein weil Zaid A. keinen deutschen Pass besitzt, ist sogar eine Kettenausweisung von Ungarn nach Syrien nicht auszuschließen. Dabei lebte er in Nürnberg, ging dort zur Schule, machte seinen Schulabschluss, spielte Geige in einem Orchester und absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr. Mit dem Umzug zum Studium nach Köln hat er dort nun sein soziales Umfeld. Zaid A. hat als syrischer Staatsbürger in Deutschland internationalen Schutz erhalten und ist nach der Genfer Flüchtlingskonvention eine äußerst vulnerable Person. Sicherheits- und Asylrechtsexpert*innen raten dringend von Abschiebungen nach Syrien ab. Denn die Situation in Syrien ist auch nach dem Sturz des Assad-Regimes bekanntlich weiterhin sehr angespannt und unsicher, das Land liegt noch immer in Trümmern. Aktuell ist schlicht keine Prognose möglich, ob in Syrien eine Verfolgungsgefahr mit »beachtlicher Wahrscheinlichkeit« besteht. Ende März wurde die Weiterreise von Innenministerin Nancy Faeser in die syrische Hauptstadt Damaskus aufgrund von Sicherheitsbedenken abgesagt.
Zaid A. hat als syrischer Staatsbürger in Deutschland internationalen Schutz erhalten und ist nach der Genfer Flüchtlingskonvention eine äußerst vulnerable Person. Sicherheits- und Asylrechtsexpert*innen raten dringend von Abschiebungen nach Syrien ab.
Anders als Deutschland haben Gerichte in Frankreich und Italien die Auslieferungsgesuche Ungarns von Beginn an verweigert. Am 9. April lehnte das Pariser Berufungsgericht die Auslieferung von Gino A. endgültig ab, da menschenwürdige Haftbedingungen und ein fairer Prozess in Ungarn nicht zu erwarten seien. Er war im November 2024 in Paris festgenommen worden. Die Auslieferung von Gabriele M. lehnte ein Mailänder Gericht mit Zweifeln an der Rechtsstaatlichkeit Ungarns ab.
Anlass zur Sorge gibt auch die gefährliche, in Deutschland in hohem Maße rassistisch geführte Debatte über »nicht deutsche Straftäter«, mit repressiven Folgen u.a. durch ständige Verschärfungen des Aufenthaltsrechts. Der Schutz vor unmenschlicher Behandlung und Folter darf jedoch nicht von der Staatsangehörigkeit abhängen. Die akute Notwendigkeit für zivilgesellschaftliche Gegenwehr haben die Solidaritätskreise bundesweit erkannt und stellen sich gegen eine Auslieferung von Zaid A.
Anmerkung:
1) Britta Rabe, Strafjustiz gegen Geflüchtete in Europa, AIB 119, 2018.