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Deutsche Zustände in der Huren­bewegung

Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleitungen ignoriert Kritik an Diskriminierung und rechten Kontakten

Von Christian Schmacht

Demonstrierende halten rote Regenschirme, ein Transparent sowie ein Schild bei einer Demonstration für Solidarität mit Sexarbeitenden in Vancouver.
International ist die Hurenbewegung radikaler als in Deutschland, wo es meist recht bürgerlich zugeht. Hier demonstrieren Aktivist*innen 2016 in Vancouver beim Red Umbrella March für Solidarität mit Sexarbeitenden. Foto: Sally T. Buck / Flickr , CC BY-NC-ND 2.0

In der Hurenbewegung ist klar: Sexarbeiter*innen müssen sich selbst organisieren und für ihre Rechte und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Eine zentrale Forderung ist weltweit, Sexarbeit komplett zu entkriminalisieren sowie der Kampf gegen Gewalt gegen und Stigmatisierung von Sexarbeiter*innen. Die prominenteste Selbstorganisation in Deutschland ist der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD), der seit 2013 aktiv ist. Er ist das größte Sprachrohr der Sexarbeiter*innen-Bewegung im Land. Mit seinem einzigartigen Netzwerk und Zugang zu Informationen kommen Sexarbeiter*innen, die sich informieren oder fortbilden möchten, um den BesD kaum herum. Im Verband können ehemalige und aktuell Sexarbeitende Mitglied werden, einige von ihnen betreiben auch selbst Prostitutionsstätten.

Der Berufsverband gibt an, die Interessen aller Menschen in der Sexarbeit zu vertreten, während hurenfeindliche Aktivist*innen ihm vorwerfen, nur die privilegiertesten, nämlich weiße, deutsche cis Frauen in Domina, Tantra und Escort zu priorisieren. Gegner*innen der Sexarbeit, die sich in jeder Partei und politischen Strömung wiederfinden, sprechen Sexarbeitenden, die sich öffentlich äußern, häufig ihre Erfahrungen ab und bringen sie in ein Dilemma. Denn wer sich positioniert, sei automatisch zu privilegiert, um ernstgenommen zu werden. So behauptete SPD-Politikerin und Prostitutiertenfeindin Leni Breymaier kürzlich in der taz, es gebe eine Prostitutionslobby, die »auf dem Rücken der geknechteten Frauen« agiere.

Selbstgefällige Hilfe

Ein offener Brief aus den Reihen des BesD selbst greift nun den Vorwurf auf, dass der Verband vor allem privilegierte Interessen vertritt. Aber eben anders, als hurenfeindliche Feminist*innen es gerne sehen. Darin werfen zwölf Mitglieder dem Verband vor, rassistische und transfeindliche Diskriminierung zu tolerieren und die Arbeit der eigens dafür gegründeten AG Antidiskriminierung zu blockieren. Darüber hinaus beschreiben sie den Berufsverband als intransparent, hierarchisch und rechtsoffen. Kurz vor Veröffentlichung des Briefes wurde ein Aktivist aus dem Berufsverband ausgeschlossen – er habe mit seinen Vorwürfen der Diskriminierung den Frieden gestört.

Einer der Gründe, die Kritik öffentlich zu verhandeln, ist für Tamara Solidor die hegemoniale Stellung des Verbandes. Auch sie hat sich in der AG Antidiskriminierung engagiert.

»Der Verband erhält Gelder von der internationalen Sexarbeitsbewegung im Vertrauen darauf, dass die marginalisiertesten Sexarbeitenden zentriert werden, doch er wird dem nicht gerecht. Das einzige Projekt mit intersektionalerem Ansatz war zuletzt der Notfallfonds, den der Verband zu Beginn der Coronazeit eingerichtet hat. Und dagegen gab es intern große Vorbehalte. Erst als eine Stiftung von sich aus eine hohe Spendensumme für einen solchen Zweck zur Verfügung stellen wollte, wurde der Fonds eingerichtet, in der Hoffnung, dass auch der Verband davon profitiert.«
Der Notfallfonds ist ein Spendentopf, bei dem Sexarbeiter*innen Geld zur Überbrückung des Arbeitsverbotes während des Lockdowns beantragen können. Der Verband verwaltet und verteilt das Geld. Nachlesen lassen sich die rührseligen »Schicksale« von migrantischen, armen Betroffenen nun auf seiner Homepage. »Im Nachhinein brüstet sich der Verband damit, für alle Sexarbeitenden da zu sein,« so Solidor.

Da Sexarbeiter*innen, die sich politisch äußern, unter einem großen Legitimationsdruck stehen, ist auch konstruktive Kritik innerhalb der Bewegung schwierig.

Als Ron Hades in die AG Antidiskriminierung des BesD eintrat, hatte er Hoffnungen: »Ich dachte, jetzt verändert sich was.« Seine Erfahrungen als Sexarbeiter und Aktivist im Peer-Support und mit Kolleg*innen, welche wie er anti-asiatischen Rassismus erfahren, wollte er ehrenamtlich in den Berufsverband einbringen. »Wenn ich gefordert habe, dass wir bei Diskriminierung die Betroffenen schützen müssen, wurde unsere AG als Nazis und als Stasi bezeichnet. Und immer, wenn wir über Diskriminierung oder über Querdenken sprechen wollten, hieß es: Wir sind ein Berufsverband, wir sind keine politische Organisation.« Gleichzeitig wurde er, nachdem er sich selbst als Ausländer bezeichnet hatte, von einem Vorstandsmitglied ermahnt, dass er einen solchen Begriff nicht mehr nutzen solle, da er diskriminierend sei. Dieses Beispiel beschreibt er als typisch für die Täter-Opfer-Umkehr und das Mobbing, das er und andere Mitglieder erlebt haben.

Auf Presseanfrage bezeichnet der BesD das Vorgehen der AG als »linksidentitären Aktivismus, dessen Einfluss größtenteils aus der USA stammt«. Mit diesem Verweis auf die aktuelle Debatte um die sogenannte Cancel Culture scheint sich der bürgerlich-regressive Tenor im Verband, den auch der offene Brief nahelegt, zu bestätigen.

Deutsche Vereinsmeierei

Für deutsche Vereinsmeierei ist diese Rhetorik nicht überraschend, für den Sexarbeitsaktivismus hingegen ist sie ungewöhnlich. Denn schaut man über den deutschen Tellerrand hinaus, ist die Hurenbewegung nirgends so bürgerlich, konservativ und privilegiert wie hier. Breite politische Forderungen, die sich auf Wohnungsmarkt, patriarchale Gewalt und Grenzregime beziehen, sind für Sexarbeiter*innen-Selbstorganisationen weltweit selbstverständlich. Was ist in Deutschland schiefgelaufen?

»Die deutsche Sexarbeiter*innenbewegung hat sich mit dem Ende der Sittenwidrigkeit (1) im Jahr 2002 zunehmend entpolitisiert«, sagt Fabienne Freymadl, Sexarbeiterin und selbst bis zu ihrem Austritt 2019 viele Jahre in Schlüsselpositionen des Verbands aktiv. »Übrig geblieben sind vor allem die weißen, privilegierten Karrierist*innen, die trotz der Legalisierung mit der Ungleichbehandlung von Sexarbeit gegenüber anderen Berufsgruppen unzufrieden waren. Für sie ging es um Fragen wie: Warum darf ich keinen Kredit aufnehmen? Was steht auf meinem Steuerbescheid? Die alte Hurenbewegung in Deutschland war im Vergleich dazu revolutionärer. Da wurden Forderungen gestellt, anstatt mit Parteien zu kuscheln.« Freymadl hält die Vorwürfe gegen den BesD für glaubwürdig.

Auch Ruby Rebelde, Sexarbeiterin und Vorstand bei Hydra, einer Beratungsstelle für Sexarbeit und Prostitution in Berlin, kann die Vorwürfe bestätigen. Neben behindertenfeindlicher Diskriminierung, die sie selbst in ihrer Zeit beim Verband erlebte, berichtet sie von Eindrücken aus ihrer Arbeit bei Hydra. »Die Sexarbeiter*innen in meiner Fokusgruppe haben erzählt, dass sie sich mit dem Berufsverband nicht identifizieren können.« Der Berufsverband präge ein weißes, elitäres Bild von Sexarbeitenden in den Medien, das nicht der Wirklichkeit entspräche.

Nach acht Monaten in der AG Antidiskriminierung fühlen sich die Aktivist*innen aufgerieben und frustriert. Sie alle sind aus dem Berufsverband ausgetreten. »Ich bereue tief, dass ich mich damit beschäftigt habe. Mein anderer Aktivismus ist zu kurz gekommen, und ich habe jetzt einen Burnout,« so Ron Hades. Tamara Solidor sagt, sie fühle sich ratlos und hilflos: »Ich weiß nicht, wie es weiter geht.«

Da Sexarbeiter*innen, die sich politisch äußern, unter einem großen Legitimationsdruck stehen, ist auch konstruktive Kritik innerhalb der Bewegung schwierig. »Leute wie Leni Breymaier sagen, der Berufsverband repräsentiere nur die privilegiertesten Sexarbeitenden, und sie haben recht!«, sagt Ron Hades. Wie kann es weitergehen? »Ich wünsche mir eine Sexarbeitsbewegung, die sich Inputs sucht und Utopien schafft, zum Beispiel zu Armut, Rassifizierung und so weiter.«, sagt Ruby Rebelde. »Und wir weißen, privilegierten Sexarbeiter*innen müssen bereit sein, uns zurück zu nehmen.«

Kuscheln mit rechts

Zeitgleich zu den Bemühungen gegen Diskriminierung werden Vorwürfe gegen den BesD laut, der Querdenken-Bewegung gegenüber offen zu sein. Der prominenteste Fall ist die Sexarbeiterin Aya Velázquez, die aus dem BesD ausgetreten ist. Auf YouTube erzählt sie, dass ihr Austritt unfreiwillig war, sie sich jedoch der weiteren Unterstützung des Vorstandes sicher sei. Seitdem lässt Velazquéz kaum eine Querdenken-Demo aus, produzierte ein Anti-Antifa-Video und gab ein ausführliches Interview beim rechten Youtube-Kanal Rubikon.

Velázqeuz ist nicht die einzige Sexarbeiterin, die mit rechten Positionen auffällt. Johanna Weber, Gründungsmitglied des Verbands, besuchte die Youtuberin Franziska Schreiber, um mit ihr über die politische Situation von Sexarbeiter*innen zu sprechen. Schreiber ist AfD-Aussteigerin und vertritt auf ihrem bis vor kurzem an das öffentlich-rechtliche Format »Funk« angegliederten Kanal antifeministische und nationalistische Positionen. Ihre Videos heißen »Gendern – nicht mit mir!«, »Seid stolz auf Schwarz-Rot-Gold« oder »Schluss mit linker Doppelmoral«.

Im Januar veröffentlichte der BesD, damals noch mit Hilfe der AG Antidiskriminierung, ein Statement gegen die Querdenken-Bewegung. Ob dennoch Querdenker*innen im Berufsverband aktiv sind, sei nicht bekannt, da eine »Prüfung von Parteibüchern, individuellen Weltanschauungen oder persönlichen Überzeugungen« der Mitglieder nicht stattfinde, so der BesD auf Anfrage. Das Problem der »linken Doppelmoral« dürfte also mit dem Austritt der zwölf Mitglieder, die sich gegen Diskriminierung einsetzen wollten, gelöst sein.

Christian Schmacht

ist full service Sexworker und Anarchist.

Anmerkung

1) Mit dem Inkrafttreten des Prostitutionsgesetz 2002 verlor die Prostitution den Status der Sittenwidrigkeit. Seitdem sind Verträge zur Ausübung der Prostitution rechtskräftig, Sexarbeiter*innen können beispielsweise Räume anmieten, ihren Lohn einklagen oder sich organisieren. Die Sexarbeit unterliegt nach wie vor Regulierungen, die seit dem Prostituiertenschutzgesetz 2017 verschärft wurden und weite Bereiche der Sexarbeit illegalisieren.