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Schwarz gekleidet und vermummt

Staatsschutzmedien warnen vor »Linksterrorismus«

Von Jens Renner

Hamburg im Juli 2017: Der Schwarze Block macht die Straßen unsicher Foto: Frank Schwichtenberg / Wikimedia CC BY-SA 4.0

Der Altmeister der »vergleichenden Extremismusforschung« macht sich Sorgen. »Ist der anti­ex­tre­mistische Konsens in Deutschland in Gefahr?« fragt Eckhard Jesse, emeritierter Professor der TU Chemnitz und seit Jahrzehnten Mitherausgeber des »Jahrbuchs Extremismus und Demokratie«. Auf ihn geht auch das Bild vom »Hufeisen« zurück, das er so beschreibt: »Die Extremismustheorie geht davon aus, dass die Rechts- und die Linksextremisten einerseits weit voneinander entfernt, und andererseits dicht benachbart sind, wie die Enden eines Hufeisens.« Anlass für Jesses Intervention in der Neuen Zürcher Zeitung vom 4. März war der befristete Nichtangriffspakt von CDU und Linkspartei in Thüringen. Jesse ist nicht grundsätzlich dagegen; »manche Form der Kooperation unterhalb der Koalitionsebene« findet er »schlicht unumgänglich«. Aber offenbar hat die CDU nicht bedacht, mit wem sie sich da einlässt: »Im letzten thüringischen Wahlprogramm der Partei (Die Linke; Anm. ak) taucht der Schlüsselsatz auf: ›Wir werden den Extremismusbegriff, der auf der Totalitarismustheorie aufbaut, aus den Handlungskatalogen der Behörden streichen.‹«

Dass es dafür im Thüringer Landtag eine Mehrheit gibt, ist unwahrscheinlich. Jesses Sorge um den »antiextremistischen Konsens« ist aber auch aus anderen Gründen gegenstandslos. Denn die von ihm so vehement vertretene Doktrin erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit, auch in den meinungsmachenden Medien der »Mitte« wie dem angeblichen Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Anfang des Jahres beauftragte dessen Redaktion eine fünfköpfige Männergruppe, der linksradikalen Gefahr publizistisch entgegenzutreten. Der Teaser zu dem fast fünf Seiten langen Text geht so: »Extremismus. Die militante Linke wird gefährlicher, Angriffe auf Menschen sind kein Tabu mehr. Staatsschützer warnen, die Politik wirkt hilflos im Umgang mit der Gewalt.« (Der Spiegel Nr. 7, 8.2.2020) Herrscht mal wieder Staatsnotstand?

Hauptquelle »Ermittlerkreise«

Bei dem Versuch, die Gefahr von links empirisch zu belegen, geraten die Rechercheure schnell in Beweisnot. Ihre Hauptquelle sind »Ermittlerkreise« aus dem Staatsschutz, dessen Repräsentanten dann ebenso ausführlich wie nebulös zu Wort kommen. Eine Auswahl: »Die Hemmschwelle ist gesunken«, behauptet Thomas Maldenwang, Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Maldenwangs Hamburger Kollege Torsten Voß enthüllt: »Linksextremisten missbrauchen gesellschaftlich breit diskutierte Themen«. Seine dringende Warnung: »Wir nähern uns der Schwelle zum Linksterrorismus.« Auch das sächsische Landeskriminalamt, findet, »die Schwelle zum Linksterrorismus sei erreicht«.

Wie kommt das bloß, dass Linke nicht mit der Polizei reden mögen?!

Die Eigenleistung der fünf Spiegel-Redakteure beschränkt sich weitgehend auf die Zusammenstellung dramatisierender Stereotype. Wir lesen von einer »Orgie der Gewalt« in Leipzig, die sei allerdings nur »das jüngste Zeichen für eine Welle der Gewalt, mit der Extreme vom linken Rand das Land überziehen«. Was offenbar kaum jemand mitgekriegt hat: »Der öffentliche Aufschrei angesichts der Gewalttaten fällt vergleichsweise harmlos aus.« Trotz Orgie und Welle nur ein harmloser Aufschrei.

Angesichts so lauer Reaktionen darf der warnende Verweis auf die Lehre der Geschichte nicht fehlen: »Schon zu Zeiten der Terrorgruppe RAF zerfaserte die militante Linke, so ist es jetzt auch wieder. Einige der heutigen Extremisten streben ein sozialistisches oder kommunistisches System an. Den weitaus größten Teil der gewaltbereiten Szene bilden sogenannte Autonome, die eine anarchistische Gesellschaft anstreben.« Woran erkennt man die Anstreber? »Schwarz gekleidet sind die meisten und vermummt«, zumindest wenn sie ihre Straßenkrawalle veranstalten. Wie etwa am 25. Januar in Leipzig, wo sie gegen das Indymedia-Verbot demonstrierten und »angeblich für die Pressefreiheit«. Letzteres findet das Spiegel-Quintett völlig unglaubwürdig – denn die Demonstrant*innen wollten sich weder fotografieren lassen noch mit Reportern reden. »Die Presse wurde als Gegner betrachtet«, klagt einer der Abgewiesenen. Noch schlimmer ergeht es der Polizei, dem »Hauptfeindbild«. In Berlin-Friedrichshain – ein weiterer Tatort neben Leipzig und Hamburg – soll eine linke »Führungsfigur« Anwohner*innen nachdrücklich davon abgeraten haben, mit der Polizei zu reden.

Medialer Gleichklang

Wenige Tage nach der Spiegel-Veröffentlichung griff auch die Süddeutsche Zeitung (SZ) das Thema auf. Allerdings geht es den vier Männern, die über das für Außenstehende so schwer durchschaubare »linksradikale Milieu« aufklären wollen, hauptsächlich um die Linkspartei. Hauptzeuge der Anklage ist auch hier der Verfassungsschutz: Allein in Bayern sollen von 3.500 Parteimitgliedern 900 einen Bezug zu »offen extremistischen Strukturen« haben, darunter »diejenigen, die Kontakt zu gewaltorientierten Autonomen unterhalten«. Andere Mitglieder der Linkspartei, nicht nur in Bayern, zahlen Beitrag an die Rote Hilfe, die »ihre Klienten zur Aussageverweigerung« aufruft. Im Eifer des Gefechts werden für die süddeutschen Enthüllungsjournalisten auch schon mal rechtsstaatliche Garantien zum Beweis für linksextremistische Umtriebe. (SZ, 13.2.2020)

Wer als Ursache für den thematischen und zeitlichen Gleichklang der Hamburger und Münchener Leitmedien übergeordnete »Steuerung« vermutet, liegt ziemlich sicher daneben. Wahrscheinlicher ist, dass die dort Verantwortlichen aus eigenem Antrieb handeln. Wenn mittlerweile schon Seehofer und Schäuble vor der rechten Gefahr warnen, fühlen sich die Exponenten der »vierten Gewalt« berufen, die dadurch drohende Schieflage im Massenbewusstsein zu beseitigen. Bei Bild reicht schon ein zweideutiger Satz auf der Strategiekonferenz der Linkspartei, um die Titelseite mit der Warnung vor drohendem revolutionärem Terror zu füllen. Die Blätter für Gebildete arbeiten subtiler: deutsche Pressevielfalt.

Jens Renner

war bis 2020 ak-Redakteur.