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Schuldenkrisen allerorten

Klimagerechtigkeit durch Schuldenstreichung steht im Fokus der Proteste gegen das IWF- und Weltbanktreffen in Marrakesch

Von Nico Graack

Ein paar Demonstranten halten Schilder in die Höhem die das Skelet eines Haies zeigen. Die Aufschrift sagt "IWF: Internationale Kredithaie"
Demonstration gegen den IWF in Washington DC, 2010. Die Organisation ist insbesondere aufgrund ihrer Schuldenpolitik in der Kritik. Foto: Russ Walker / Wikimedia , CC BY 2.0

Der 15. Oktober ist für soziale und ökologische Bewegungen ein Trauertag, für den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank hingegen ein Grund zum Feiern. An diesem Tag im Jahr 1987 wurde Thomas Sankara ermordet. Der Panafrikanist war durch eine sozialistische Revolution zum Präsidenten von Burkina Faso geworden und war gerade dabei, eine afrikaweite Zahlungsverweigerung der Staatsschulden gegenüber den westlichen Institutionen zu organisieren. Er starb beim Staatsstreich von Blaise Compaorés, vermutlich mit französischer Beteiligung.

Am 15. Oktober dieses Jahres wird das jährliche Treffen von IWF und Weltbank enden: »Es ist pure Heuchelei, dass sich die Weltbank und der IWF an diesem bedeutungsvollen Tag des antikolonialen Widerstandes treffen«, sagt dazu Louise Wagner von der Initiative Debt for Climate. Vom 9. bis zum 15. Oktober treffen sich die beiden Hauptgegner von globalen, sozialen Bewegungen symbolträchtig auf afrikanischem Boden in Marrakesch, Marokko. Gruppen aus aller Welt rufen zu einem Gegengipfel in Marrakesch auf. Zwar sind einige Aktivist*innen nach dem schweren Erdbeben in der Katastrophenhilfe aktiv, aber der Gegengipfel wird stattfinden. Im Mittelpunkt steht eine Verbindung, die diese Bewegungen revolutionieren könnte: das Schuldensystem als Treiber der Klimakatastrophe.

Kredite als Herrschaftsinstrument

Das heutige Schuldensystem hat seine Ursprünge in den 1970er und 80er Jahren. Damals etablierte sich die Vergabe von Krediten an Regierungen in den Postkolonien als effektive und lukrative Herrschaftsmethode in Ergänzung zu den westlich unterstützten Militärcoups. Die Idee dahinter: die Länder in einen Teufelskreis aus Schulden treiben, um wieder bzw. weiterhin die Macht auszuüben, die durch die Errungenschaften der kolonialen Befreiungsbewegungen bedroht war.

Während private Banken, der IWF und die Weltbank zum Teil Schulden an zuvor installierte Militärdiktaturen ausgaben, kümmerten sich IWF und Weltbank gleichzeitig um die Eintreibung: Die inzwischen berüchtigten Strukturanpassungsprogramme zwangen Regierungen dazu, bei Sozialsystemen, Bildung, Gesundheit und Subventionen für die eigenen, unabhängigen Industrien zu sparen und das Geld in den Schuldendienst umzuleiten.

Berechnungen von »Debt Justice« kommen zu dem Ergebnis, dass derzeit mindestens 22 Staaten in Südafrika, 30 Staaten in Afrika und 18 Staaten in Asien in einer schweren Schuldenkrise stecken oder von einer solchen bedroht sind. Mit anderen Worten: Ein großer Teil der Wirtschaft dieser Kontinente dreht sich um die Rückzahlung von Schulden.

Die Rückzahlung hat zumeist in US-Dollar stattzufinden, der Aufbau einer eigenen Industrie wird so verunmöglicht. Das lässt den betroffenen Ländern keine andere Wahl, als Rohstoffe wie Öl, Gas, Kohle und Metalle zu extrahieren und billige Arbeitskraft für westliche Konzerne zur Verfügung zu stellen.

Und genau das ist das Ziel des Schuldensystems: die Länder des Globalen Südens in der Position billiger Rohstofflieferanten halten, um den Ressourcen- und Geldfluss in den Globalen Norden zu sichern. Das heißt also: Das Schuldensystem ist der zentrale Punkt, der ökologische Bewegungen mit sozialen und Arbeiter*innen-Bewegungen weltweit verbindet. Seine Abschaffung nennt Louise Wagner einen notwendigen Schritt, um »eine gerechte und selbstbestimmte Energiewende umsetzen zu können, ohne dass die Arbeiter*innenklasse dafür die Kosten tragen muss.«

Seit 2015 zwang der IWF 105 Länder, ihre fossile Infrastruktur auszubauen, um Schulden zu bezahlen.

Sollte dieser ökonomische Teufelskreis nicht automatisch zum Resultat führen, helfen IWF und Weltbank nach: Laut einer Studie von »Action Aid« aus dem Jahr 2021 empfahl der IWF allein seit Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens 2015 ganzen 105 Ländern, die fossile Infrastruktur auszubauen, um ihre Schulden bedienen zu können. »Wir sind dazu verdammt, Opferzonen zu sein, entbehrliche Bevölkerung«, sagt Juan Pablo Olsson von Debt for Climate, Argentinien.

Hierzulande wird gern über Emissionen in anderen Ländern geklagt, um von der eigenen Verantwortung für genau diese Emissionen abzulenken. Dabei ist völlig klar, dass es in diesem Schuldensystem für die betroffenen Länder keinen Spielraum für staatliche Investitionen in Energiewende und Klimaschutz gibt. »Nur wenn die Weltbank und der IWF die Schulden streichen, hat mein Land eine Chance auf einen gerechten Übergang. Ohne Schuldenstreichung wird die Klimafinanzierung immer in den Schuldendienst fließen, zurück in den Globalen Norden und nicht zu uns«, sagt Yudi Iskandar aus Indonesien gegenüber ak.

Iskandar ist Aktivist bei Debt for Climate und will im Oktober nach Marrakesch reisen. »Ich fordere die Weltbank und den IWF auf, alle Schulden des Globalen Südens zu streichen und diese Mittel in Klimaschutzmaßnahmen zu investieren. Schulden sind einer der Hauptmotoren der Förderung fossiler Brennstoffe«, so Iskandar, dessen Land 2021 knapp 30 Prozent seiner Einnahmen in den Schuldendienst fließen lassen musste.

Indigener Widerstand

Der Gegengipfel in Marrakesch wird zwei der drei inhaltlichen Tage der Frage des Schuldensystems und seiner möglichen Überwindung widmen. Am 14. Oktober wird es um Klima(un)gerechtigkeit und das Schuldensystem gehen, am 15. Oktober um das Erbe Thomas Sankaras und wie daran angeknüpft werden kann: »Tag der Schuldenstreichung« nennen die Organisator*innen das.

Zum Gegengipfel in Marrakesch rufen vor allem Gruppen aus den Ländern auf, die am stärksten von der durch die Schulden produzierten Armut und Klimakatastrophe betroffen sind. Dort werden Menschen des Globalen Südens zusammenkommen, um die Stimmen zu erheben, die IWF und Weltbank unterdrücken, wo sie nur können. Menschen im Globalen Süden und Norden rufen dazu auf, diese Stimmen in den Machtzentren zu verstärken: »Der Globale Norden darf sich nicht zum Komplizen des Klima-Völkermords machen, der sich für die nächsten Jahre und Jahrzehnte abzeichnet«, sagt dazu Olsson.

Am 12. Oktober ist nicht nur der Start des Gegengipfels, sondern auch Tag des indigenen Widerstands. Indigene leiden oft am heftigsten unter der Politik von IWF und Weltbank. Debt for Climate ruft an diesem Tag ebenso wie am Todestages Sankaras am 15. Oktober zu weltweiten Aktionen auf – auch in Deutschland sind Protestaktionen in mehreren Städten geplant. Louise Wagner dazu: »Nicht diejenigen, die die Zerstörung von Lebensgrundlagen und die Klimakatastrophe vorantreiben, werden zur Lösung des Problems beitragen, das sie selbst mitgeschaffen haben. Wir werden das sein!«.

Beim zeitgleich stattfindenden »Weltkongress für Klimagerechtigkeit« in Mailand wird ein Slot dem Gegengipfel in Marrakesch gewidmet. Das mag für eine sich als internationalistisch und antikolonial verstehende Klimagerechtigkeitsbewegung etwas wenig erscheinen – warum gibt es keinen Livestream nach Marrakesch? – aber es geht in die richtige Richtung: Ohne globale Verbindungen wird eine globale Krise nicht aufgehalten.

Der Gegengipfel ist eine Möglichkeit, diese Verbindungen aufzubauen, zu vertiefen und in Aktionen überall auf dem Globus zu übersetzen. In den Worten von François Kamate aus der Demokratischen Republik Kongo, der dort im Oktober eine Pressekonferenz zu Klimaschulden und Schuldenstreichung organisieren will: »Für die Menschen im Norden ist es wichtig zu verstehen, dass die Proteste mehr als alles andere legitim und legal sind. Die Forderungen der Länder des Globalen Südens müssen erfüllt werden, weil buchstäblich das Leben der heutigen und zukünftigen Generationen davon abhängt.«

Nico Graack

ist freier Autor und Philosoph. Er engagiert sich gegen die sozial-ökologische Marktkatastrophe.