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Schwacher Sieg für Maduro

Bei den Regional- und Kommunalwahlen in Venezuela hat die Regierungspartei die meisten Ämter gewonnen. Die rechte Opposition wittert dennoch Morgenluft

Von Tobias Lambert

Er hat erneut gewonnen, aber die Wähler*innenbasis seiner Partei PSUV schrumpft, die Wahlbeteiligung war niedrig, und die rechte Opposition schläft nicht: Venezuelas Präsident Nicolás Maduro. Foto: Eneas De Troya/ Flickr, CC BY 2.0

Es wirkt wie ein Eigentor. Am 9. Januar verlor die regierende Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) zum zweiten Mal innerhalb von sieben Wochen den symbolisch bedeutsamen Bundesstaat Barinas. Bei den ursprünglichen Regional- und Kommunalwahlen am 21. November hatte der Oppositionelle Freddy Superlano mit 37,6 Prozent und gerade einmal 130 Stimmen vor dem Regierungskandidaten Argenis Chávez gelegen, einem Bruder von Ex-Präsident Hugo Chávez. Das regierungstreu besetzte Oberste Gericht (TSJ) stoppte die dortige Auszählung jedoch und ordnete eine Wahlwiederholung für den 9. Januar an. Bei dieser holte der oppositionelle Ersatzkandidat Sergio Garrido dann gut 55 Prozent und setzte sich mit insgesamt 44.000 Stimmen Vorsprung deutlich gegen den neuen PSUV-Kandidaten und ehemaligen Außenminister Jorge Arreaza durch, der etwa 41 Prozent erreichte.

Die Wiederholung der Wahl begründete das TSJ damit, dass der Oberste Rechnungshof Superlano die Ausübung politischer Ämter untersagt habe, weswegen er gar nicht habe antreten dürfen. Derartige Antrittsverbote sind in Venezuela prinzipiell möglich, etwa wenn potenzielle Kandidat*innen Geld veruntreut haben. Da es sich um administrative Entscheidungen handelt, die häufig intransparent erfolgen, sind sie aber sehr umstritten. Tatsächlich durfte Superlano seit 2017 kein öffentliches Amt bekleiden. Ende August 2020 erlangte er sein passives Wahlrecht allerdings durch eine Begnadigung von Präsident Nicolás Maduro zurück. Von einem neuen Antrittsverbot war öffentlich nichts bekannt. Der Nationale Wahlrat (CNE) hatte Superlanos Kandidatur im August vergangenen Jahres akzeptiert, er konnte normal Wahlkampf führen.

Symbolisches Desaster

Dass die Regierung die Wiederholung der Wahl nun deutlich verloren hat, kommt für sie einem symbolischen Desaster gleich. Barinas ist der Geburtsstaat des langjährigen Ex-Präsidenten Hugo Chávez, in dessen Tradition sich die Regierung sieht. Seit 1999 regiert dort durchgehend die Familie Chávez (Vater Hugo de los Reyes sowie die Brüder Adán und Argenis). Mit Ex-Außenminister Jorge Arreaza, der bis 2017 mit Hugo Chávez‘ Tochter Rosa Virginia verheiratet war, stellte die regierende PSUV nun einen landesweit bekannten Kandidaten auf. Allerdings fehlte ihm die lokale Verwurzelung. Sein Versprechen, die prekären öffentlichen Dienstleistungen zu verbessern, überzeugte nach über 20 Jahren chavistischer Regierung zudem kaum. Nachdem Superlanos Ehefrau Aurora Silva ebenfalls eine Kandidatur untersagt wurde, trat die Opposition mit dem gerade ins Regionalparlament gewählten Sergio Garrido an. Weitere Kandidaten der moderaten rechten Opposition spielten keine Rolle. Die Kandidatur der linksoppositionellen »Revolutionär-Popularen Alternative« (APR) um die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) wurde ohne Begründung gar nicht erst zugelassen.

Im landesweiten Machtgefüge ändert sich durch die Wahl in Barinas nichts wesentlich. Bei den Regional- und Kommunalwahlen am 21. November hatte die regierende »Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas« (PSUV) 19 von 23 Gouverneurs- und über 200 von 335 Bürgermeisterposten errungen. Die Opposition gewann neben dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat Zulia im Westen des Landes nur im zentral gelegenen Cojedes, dem Inselstaat Nueva Esparta und nun in Barinas. Bei einer vergleichsweise niedrigen Wahlbeteiligung von 42 Prozent hatte die PSUV landesweit allerdings nur 45 Prozent der Stimmen erreicht. Mit 3,7 Millionen Wähler*innen oder 18 Prozent aller Wahlberechtigten erreicht der Rückhalt für die regierenden Chavist*innen den bis dato schlechtesten Wert seit der Parteigründung 2007. Zwar ist dies nach Jahren schwerer Wirtschaftskrise und US-Sanktionen noch immer beachtlich. Doch die feste Wähler*innenbasis schrumpft.

Dass die Regierungsgegner*innen bei den Regional- und Kommunalwahlen insgesamt kein besseres Ergebnis erzielen konnten, obwohl sie erstmals seit vier Jahren wieder fast komplett antraten, lag vor allem an deren Spaltung. Während die PSUV für jedes der 3.082 zu vergebenden Ämter nach internen Vorwahlen exakt eine*n Kandidat*in neu aufstellte, standen dem insgesamt etwa 67.000 oppositionelle Kandidat*innen gegenüber. Auch die schwer nachvollziehbaren oppositionellen Strategiewechsel der letzten Jahre und die mangelnde Unterstützung durch den selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaidó kostete wichtige Stimmen. Dieser ging selbst nicht wählen und hätte einen Boykott vorgezogen, änderte bei der Wahlwiederholung in Barinas allerdings seine Meinung.

Gespaltene Opposition

Neben dem von der PSUV dominierten Regierungsbündnis »Großer Patriotischer Pool« nahmen an den Wahlen drei weitere Parteienbündnisse teil. Hinzu kommen zahlreiche unabhängige, teils nur lokal verankerte Gruppierungen. Die vier großen Oppositionsparteien, die bisher hinter Juan Guaidó standen, traten als »Tisch der Demokratischen Einheit« (MUD) an. Das zweite Bündnis »Demokratische Allianz« ist ein Zusammenschluss moderater Oppositionsparteien, die sich im vergangenen Jahr von der Boykottstrategie der großen Parteien distanzierten und bei der Parlamentswahl Ende 2020 einige Sitze gewinnen konnten. In Zulia und Cojedes setzten sich jeweils die Kandidaten des MUD durch. In Nueva Esparta hingegen gewann der Kandidat der neu gegründeten Partei »Fuerza Vecinal« mit Unterstützung des moderaten Oppositionsbündnisses »Demokratische Allianz«.

Der politische Machtkampf und die ständige Bedrohung von außen führten bisher dazu, dass die Regierung auf autoritäre Muster setzt.

Links von der PSUV trat wie schon bei der letzten Parlamentswahl das Bündnis »Revolutionär-Populare Alternative« (APR) an, blieb jedoch chancenlos. Dem Bündnis gehören die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV), die gewerkschaftsnahe Partei Heimatland für Alle (PPT) sowie weitere kleine linke Gruppen an, die sich 2020 von der Regierung Maduro losgesagt haben. Sie werfen der PSUV einen Rechtsruck, eine privatisierungs- und unternehmer*innenfreundliche Politik sowie Repression gegen die ärmeren Bevölkerungsteile und organisierten Arbeiter*innen vor. Da die APR als Bündnis nicht zu Wahlen zugelassen ist und das Oberste Gericht die Führung der PPT dem regierungstreuen Minderheitsflügel zugesprochen hat, traten die APR-Kandidat*innen wie bei den Parlamentswahlen 2020 auf dem Ticket der PCV an. Unter der noch immer bestehenden politischen Polarisierung kann sich eine größere linke Alternative derzeit kaum entwickeln. Zwar geht der Chavismus als politisch-kulturelles Projekt weit über die Regierung hinaus. Es ist aber fraglich, ob eine dringend nötige Erneuerung gelingen kann, solange die  Chavist*innen an der Macht sind. Der politische Machtkampf und die ständige Bedrohung von außen führten bisher dazu, dass sich die Regierung noch stärker eingeigelt hat und auf autoritäre Muster setzt, um die Krise zu überstehen. Dabei fühlt sich die Mehrheit der Bevölkerung laut Umfragen heute weder von der Regierung noch dem dominierenden Sektor der rechten Opposition repräsentiert.

Mit ihrer Wahlteilnahme beendeten die vier großen venezolanischen Oppositionsparteien letztlich ihre gescheiterte Boykottstrategie und de facto auch das Kapitel Juan Guaidó. Im Januar 2019 hatte sich dieser mit Rückendeckung der US-Regierung und mit einer zweifelhaften Interpretation der Verfassung zum Interimspräsidenten erklärt, nachdem die Opposition die vorgezogene Präsidentschaftswahl 2018 weitgehend boykottiert hatte. Heute wirkt Guaidó isoliert, auch wenn der Großteil der rechten Opposition sowie die US-Regierung offiziell weiter an seinem angeblichen Anspruch auf die Interimspräsidentschaft festhalten. Die jetzigen Wahlen sind die ersten seit vier Jahren, an denen sich die Opposition mehrheitlich beteiligte. Die Regierungsgegner*innen sind nicht zuletzt anhand der Frage gespalten, ob die Teilnahme an Wahlen sinnvoll sei oder nicht. Das Lager des zweifachen Präsidentschaftskandidaten Henrique Capriles hatte bereits seit vergangenem Jahr gefordert, die Opposition solle institutionelle Räume trotz widriger Wahlbedingungen nicht schon im vornherein kampflos aufgeben. Statt eines schnellen Umsturzes à la Guaidó setzt Capriles auf partielle Fortschritte. Nach Verhandlungen mit moderateren Regierungsgegner*innen gehören seit Frühjahr zum Beispiel zwei von fünf Mitgliedern des Nationalen Wahlrats (CNE) der Opposition an. Unter Vermittlung Norwegens hatten Mitte August neue Verhandlungen begonnen, die auch zur jetzigen Wahlteilnahme der Opposition und der Entsendung von Wahlbeobachtungsmissionen seitens der EU und des US-amerikanischen Carter-Center beigetragen haben.

Der Opposition geht es bei den Verhandlungen vor allem um Garantien für freie Wahlen und die Freilassung der von ihnen als politische Gefangene betrachteten Personen. Für die Regierung hingegen steht ein Ende der Sanktionen und die Anerkennung der gewählten Institutionen im Mittelpunkt. Nach drei Treffen zog sich die Regierungsdelegation Mitte Oktober allerdings vorerst vom Verhandlungstisch zurück. Hintergrund ist die Auslieferung des in Kolumbien geborenen Unternehmers Alex Saab von Kap Verde in die USA, wo ihm wegen Geldwäsche der Prozess gemacht wird. Saab, der im Juni 2020 bei einem Tankstopp in dem westafrikanischen Inselstaat verhaftet worden war, soll in den vergangenen Jahren mittels Briefkastenfirmen Lebensmittel und Güter des Grundbedarfs aus Ländern wie Mexiko, der Türkei und Iran nach Venezuela importiert haben. Ziel war die Umgehung der US-Sanktionen. Die venezolanische Regierung bezeichnete Saab nach der Verhaftung als offiziellen Diplomaten und versuchte zuletzt, ihn in die Verhandlungsdelegation in Mexiko mit aufnehmen. Eine Fortsetzung des Dialogs knüpft die Regierung nun an die Bedingung, dass Saab freigelassen wird.

Riskante Planspiele

Eine nachhaltige Verbesserung der angespannten wirtschaftlichen Lage ist ohne eine Aufhebung der Sanktionen kaum denkbar. Durch eine teilweise Liberalisierung und Dollarisierung der Wirtschaft ist für die Mittel- und Oberschicht mittlerweile zwar eine leichte Entspannung spürbar. Im Januar endete nach vier Jahren etwa die Hyperinflation. Laut gängiger Definition muss die monatliche Inflationsrate dafür zwölf Mal in Folge unter 50 Prozent liegen. Seit Monaten ist sie sogar einstellig, aufs Jahr gerechnet beträgt sie immer noch über 1.000 Prozent. Von linken wirtschaftspolitischen Ansätzen hat sich die Regierung im Zuge der Krise jedoch weitgehend verabschiedet.

Der Opposition könnte ihr Wahlsieg in Barinas unerwarteten Rückenwind bescheren und den Flügel stärken, der weniger auf aussichtslose Konfrontation als auf Wahlen und ein einheitliches Auftreten setzt. Doch bieten die Regierungsgegner*innen auch ihrer eigenen Klientel zurzeit weder programmatisch noch personell oder strategisch eine glaubhafte Alternative. Ein Abberufungsreferendum gegen Maduro, das die Opposition nach der Hälfte von Maduros Amtszeit ab dem 10. Januar beantragen kann, wäre ohne vorherige Verhandlungen mit der Regierung riskant. Zudem kann momentan niemand aufzeigen, wie es nach einer möglichen Abwahl Maduros konkret weitergehen sollte. Kurzfristig wäre die Opposition nicht einmal in der Lage, sich auf eine gemeinsame Präsidentschaftskandidatur zu einigen.

Tobias Lambert

arbeitet als freier Autor, Redakteur und Übersetzer überwiegend zu Lateinamerika.