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Protest-Pyramide

In Wien will die SPÖ ein Autobahnprojekt durchsetzen, dagegen formiert sich eine neue Klimabewegung

Von Andreas Aipeldauer und Marjorie August

Ein Bagger zielt mit seiner Schaufel auf das Dach eines Holzturms.
Krachend beendet der Bagger die Besetzung der Autobahnbaustelle, Wien im Winter 2022. Foto: Presseservice Wien

Besetzer*innen und Schaulustige verstopften im Dezember 1984 gleichermaßen die Straßen rund um den heutigen Nationalpark Donauauen zwischen Wien und Bratislava, der zum damaligen Zeitpunkt durch den Bau eines Wasserkraftwerkes bedroht war. Damals hieß das Gebiet Hainburger Au, und dort trafen 3.000 Umweltbewegte auf eine aggressive Polizei, die Regierung gab jedoch dem Druck der Straße nach und ordnete einen Baustopp an. Ungefähr 40 Jahre später wird 30 km flussaufwärts wieder um die Au gekämpft. Diesmal ist es kein Kraftwerk, sondern eine Kombination aus Autobahn und Tunnel, die eine Schneise durch das Naturschutzgebiet Lobau und die angrenzenden Wohnviertel im Wiener Gemeindebezirk Donaustadt schlagen soll. Damals wie heute ist die politische Konstellation eine ähnliche.

Auf der einen Seite steht die Sozialdemokratie, die in Wien den Bürgermeister stellt. In ihrem Selbstverständnis ist sie gleichermaßen staatstragende Partei und Alleinvertreterin der österreichischen Linken, allein deshalb kann sie keiner linken Bewegung erlauben, politisch relevant zu werden. Auf der anderen Seite entsteht gerade eine Bewegung, die sich zwar weitestgehend als links versteht, jedoch auch in bürgerlich-ökologischen Kreisen verankert ist und so die Brücke zwischen sozialen und ökologischen Fragen baut, vor der sich die Sozialdemokrati*innen erfolgreich seit Jahrzehnten drücken.

Stadtentwicklung, Wirtschaftspolitik und die Sozialdemokratie

Die Donaustadt liegt im Osten Wiens und ist mit rund 200 km² der Bezirk mit der größten Fläche. Deshalb ist es für das stark wachsende Wien das wichtigste Stadtentwicklungsgebiet. Mit dem Büro- und Wohnhochhausviertel Donau City und der Seestadt Aspern verfügt der 22. Bezirk über zwei der größten aktuellen Stadtteilentwicklungsprojekte Europas. Mit ihnen versucht die Stadtregierung die verfehlte Stadtplanung der letzten Jahrzehnte zu kaschieren. Zuvor stellte man unkoordiniert Einfamilienhäuser neben Wohnblöcke und Firmengelände, während man auf den Ausbau von öffentlichem Nahverkehr nahezu verzichtete. Ein eigenes Auto, von dem die Donaustädter*innen zunehmend abhängiger wurden, ist Teil der Aufstiegserzählung der Sozialdemokratie.

Seit den 1980er Jahren bemüht sie sich sehr erfolgreich darum, aus dem grauen, etwas tristen Wien der Nachkriegszeit eine moderne Kultur- und Kongressmetropole europäischen Zuschnitts zu machen. Jetzt soll endlich der Autobahnring rund um Wien geschlossen werden, um durch den Ausbau von Schnellstraßenverbindungen den europäischen Güterverkehr voranzubringen. Mit den Großbauprojekten wird der Wirtschaftsstandort Wien ausgebaut, um im internationalen Wettbewerb für kapitalstarke Investoren attraktiv zu werden.

Lobau bleibt!

Als die ersten Bagger im August 2021 anrollen, reagiert der aktivistische Teil der sich erst formierenden Bewegung mit der Besetzung der ersten Baustelle – und wird, anders als erwartet, nicht geräumt. Die Stadt setzt auf das Ende des Sommers, den Schulbeginn und unterschätzt die Entschlossenheit der jungen Aktivist*innen.

Im Herbst wird mit der »Wüste« eine zweite Baustelle besetzt. Herzstück ist die zweistöckige witterungsdichte Holzpyramide, die schnell zum Symbol der Besetzung wird. Hier hängt ein Banner mit dem Spruch »Hainburg ist überall«. Die Bewegung knüpft geschickt an die erfolgreichen Umweltprotestbewegungen der 1980er an. So wie damals profitiert man heute von einem erstarkenden »grünen Zeitgeist«. In Hainburg schafften es die Bewegten, Barrikadenbau und Basisdemokratie auch im biederen Österreich für kurze Zeit salonfähig zu machen. Noch schneller als in Deutschland verbürgerlichten die Kämpfer*innen aus der Au in Grüner Partei und NGOs. Gab es in Deutschland mit Castor, Hambi & Co. sowie Ende Gelände immer wieder Anknüpfungspunkte für eine radikale Klimabewegung, lag dieses Feld in Österreich seit den 1980ern nahezu brach. Jetzt aber scheint sich der Kampf gegen eine konkrete Autobahn und für die Lobau, in die europäischen Kämpfe gegen das autozentrierte Verkehrssystem einzureihen.

Nach der realpolitischen Ernüchterung der letzten Jahre, dass Appelle auf Großdemos und eine grüne Regierungsbeteiligung keine bessere Welt bringen, verwandelt sich mit den Besetzungen die Desillusionierung der frisch politisierten Klimaaktivist*innen in Wut, bei den erfahreneren Aktivist*innen in Hoffnung, doch etwas erreichen zu können.  Oder wie eine LobauBleibt-Aktivistin in einem Blogeintrag schreibt: »Endlich gibt es einen konkreten Kampf gegen die Klimakrise, die sonst so ein großes abstraktes Wort ist. Wenn wir hier gewinnen, ist das ein tiefgreifender Startschuss in Richtung Mobilitätswende.« (1) 

Die Stadt pokert währenddessen weiter auf das Ausbrennen der Aktivist*innen, doch die Besetzung bleibt – und wird größer. Neben den besetzten Baustellen gibt es von Anfang an auch ein angemeldetes Camp, das das Rückgrat der Besetzung bildet. Hier kommen die seit Jahrzehnten protestierenden Bürgerinitiativen und Anwohner*innen, Parteien, NGOs sowie Wissenschaftler*innen, Klimaaktivist*innen und auch vereinzelte Autonome im gemeinsamen Plenum zusammen. Für viele ist es die erste Organisierungserfahrung, das erste Mal ziviler Ungehorsam, das erste Mal Besetzung. Gleichzeitig arbeiten die neuen Strukturen am Limit; kaum jemand rechnete damit, so lange zu bleiben. Die langjährig etablierten Strukturen der Wiener Linken beäugen die neue Bewegung am Stadtrand zwar mit zunehmendem Interesse, doch die Hürde, regelmäßig »hinaus zu fahren« ist dann doch vielen zu hoch.

Gegenwind

Im Dezember 2021 erfolgt der erste große Paukenschlag. Die grüne Klimaschutz- und Verkehrsministerin gibt eine Absichtserklärung ab, Lobauautobahn und -tunnel zu kippen. In Österreich regieren die Grünen mit der konservativen ÖVP. Der Wiener Bürgermeister tobt, und die Stadt beginnt einen Gang hoch zu schalten. Während aus der Bewegung weiter Gespräche über alternative Mobilitätskonzepte und Bürger*innenbeteiligung gefordert werden, beschließt man in der Sozialdemokratie, die Sache jetzt von den Anwält*innen regeln zu lassen. Eine der SPÖ nahestehende Kanzlei verschickt im Auftrag der Stadt knapp 50 Briefe, in denen sie mit der Bewegung assoziierte Personen zivilrechtliche Klagen androht. Eine Schadenssumme von 20 Millionen Euro steht im Raum.

Trotz der Repressionswelle und den traumatischen Ereignissen der letzten Monate, setzt die Erkenntnis innerhalb der Bewegung ein, dass es etwas zu gewinnen gibt.

Die Repression schweißt die Bewegung jedoch zusammen; besonders als sich herausstellt, dass die Briefe auch an mehrere minderjährige Aktivist*innen gehen. In der Nacht auf Silvester kommt es zu einem lebensgefährlichen Angriff auf Aktivist*innen. An einer der Holzbauten wird von Unbekannten mit Brandbeschleuniger Feuer gelegt. Zur Zeit des Anschlags befinden sich acht Besetzer*innen im zweistöckigen Turm, der innerhalb weniger Minuten komplett ausbrennt.  Die Stadt bleibt jedoch bei ihrem harten Kurs und lehnt einen Antrag im Wiener Gemeinderat ab, die Gewalttat offiziell zu verurteilen.

Trotz der Repressionswelle und den traumatischen Ereignissen der letzten Monate, setzt die Erkenntnis innerhalb der Bewegung ein, dass es etwas zu gewinnen gibt. Das ist neu für österreichische Verhältnisse, in denen Aktivismus in den letzten Jahren vor allem von Symbolpolitik und Abwehrkämpfen geprägt war. Während in Deutschland eifrig diskutiert wird, ob Basisorganisierung oder eine Zuspitzung in der Militanzfrage die Klimabewegung an diesem Punkt voranbringt, ist man hier noch damit beschäftigt die Akzeptanz des massenhaften zivilen Ungehorsams zu etablieren und muss gleichzeitig eine hochdynamische Bewegung am Laufen halten.

Ende Januar 2022 mehren sich dann die Gerüchte über eine bevorstehende Räumung. Die Stadt weiß, dass die Bewegung mit dem Beginn der warmen Monate wieder wachsen wird. Gleichzeitig stehen Baumrodungen an, ohne die sich das Projekt signifikant verlängern würde. In den Morgenstunden des 1. Februar lässt die Stadt Wien mit Hundertschaften die Besetzung »Wüste« räumen und parallel 400 Bäume roden. Trotz stillgelegtem öffentlichen Nahverkehr schaffen es rund 200 Menschen an die Baustelle zu kommen, einige durchbrechen die Absperrungen, um zu den Besetzer*innen zu gelangen. Diese halten die Polizei den ganzen Tag auf Trab; immer wieder sitzen sie auf Baggern, Holzkonstruktionen und Bäumen, um die Räumung und Rodung zu verlängern.

Schlussendlich kracht aber doch die Schaufel des Baggers in die Pyramide. Bei einer Solidaritätsdemonstration am selben Abend brüllen bis zu 3.000 Unterstützer*innen ihre Wut gen SPÖ-Parteizentrale. In den Reden der Klimabewegten ist die Nachricht an die Sozialdemokratie klar und deutlich: »Das war nicht das Ende, sondern erst der Anfang. Sie tragen uns von der Baustelle, wir klettern auf Bäume. Sie holen uns von den Bäumen, wir gehen in die Stadt. Denn sie werden sehen: Eine Bewegung ist nicht räumbar.«

Andreas Aipeldauer

beschäftigt sich mit Fragen zu Repression und praktischer Solidarität.

Marjorie August

findet es nervig, queerfeministische/dekoloniale und marxistische Analysen gegeneinander auszuspielen – und hätte gerne eine Kombi aus allem.

Anmerkung

1) www.oekoreich.com/medium/lobau-bleibt-die-geschichte-der-lobau-besetzung