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»Ich möchte nicht wie menschlicher Müll behandelt werden«

Der griechische Polithäftling Dimitris Koufontinas befindet sich in einem Hunger- und Durststreik

Von azozomox

Solidemo für Dimitris Koufontinas am 27. Februar in Berlin. Foto: azozomox

Sein Zustand ist kritisch und wird von Tag zu Tag kritischer: Seit dem 8. Januar befindet sich Dimitris Koufontinas, politischer Gefangener der bis 2002 existierenden griechischen bewaffneten Gruppe Revolutionäre Organisation 17. November, in einem unbefristeten Hungerstreik. Seit dem 16. Februar liegt der 63-Jährige auf der Intensivstation des Krankenhauses in Lamia, seit dem 22. Februar befindet er sich auch in einem Durststreik. Er hat Zahnfleischbluten, Sehstörungen, beklagt den Verlust von Muskelmasse und Gewicht, kann nicht mehr laufen, und es besteht die Gefahr des Nierenversagens. Ziel des Hunger- und Durststreiks ist die Verlegung aus dem Hochsicherheitsgefängnis im drei Autostunden von Athen entfernten Domokos in das Gefängnis Korydallos in Athen. Dort wäre er wieder in der Nähe von Angehörigen und Freund*innen. Der Hungerstreik ist bereits der fünfte in Koufontinas’ 18 Jahren Gefangenschaft.

Ein im letzten Dezember verabschiedetes Gesetz hatte die Verlegung möglich gemacht. Es beinhaltet, dass alle, die im Zusammenhang mit »Terrorismus« verurteilt sind, ihre Strafe in Hochsicherheitsgefängnissen absitzen müssen. Lockerungen wie Hafturlaub wurden gestrichen. So wurde Koufontinas aus dem Landwirtschaftsgefängnis bei Volos, in dem er seit 2018 saß, in das Hochsicherheitsgefängnis verlegt.

Das Gesetz der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia (Neue Demokratie) enthält einen Passus, in dem ausdrücklich eine Inhaftierung in Landwirtschaftsgefängnissen untersagt ist. Das zeigt, dass das Gesetz eigens für Koufontinas geschaffen wurde. Denn er war zu diesem Zeitpunkt der einzige Gefangene in solch einem Gefängnis in ganz Griechenland. Dabei verstößt die Regierung gegen ihr eigenes Gesetz. Dieses besagt nämlich auch, dass Koufontinas in das Gefängnis, in dem er zuerst einsaß, hätte zurückgebracht werden müssen. In seinem Fall das Athener Gefängnis Korydallos.

Elf Mal lebenslänglich plus 25 Jahre

Dimitris Koufontinas war Mitglied der kommunistischen Stadtguerilla 17. November, die in über 100 Anschläge auf Einrichtungen, Institutionen und Repräsentanten des griechischen Staates und der ehemaligen Militärjunta verwickelt war. Die Stadtguerilla hatte ihren Ursprung in dem Aufstand an der Technischen Universität in Athen vom 17. November 1973 gegen die griechische Militärjunta (1967-1974). Die Junta ließ dort mit Panzern die Uni stürmen, mindestens 24 Menschen wurden ermordet, 900 verhaftet. Zu den ersten Aktionen der Guerilla zählen die Erschießungen des CIA-Stationschefs Richard Welch im Dezember 1975 sowie des Folterers und ehemaligen Junta-Polizisten Evangelos Mallios im Dezember des Folgejahres.

Die Haltung der Regierung erklärt sich auch aus persönlichen Verstrickungen: 1989 erschoss der 17. November den Schwager des jetzigen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis, Pavlos Bakoyannis.

Nachdem im Juni 2002 einem Mitglied der Organisation 17. November ein Sprengsatz versehentlich hochging und er dabei schwer verletzt wurde, tätigte die Person in der Folge unter Einfluss von Schmerzmitteln und Psychopharmaka Aussagen, die zu ersten Verhaftungen und schließlich zur Auflösung der Gruppe führten. Im September 2002 stellte sich der abgetauchte Dimitris Koufontinas den Behörden, um die gesamte politische Verantwortung für die Stadtguerilla zu übernehmen. Er wurde zu elf Mal lebenslänglich plus 25 Jahren verurteilt. Bis zu seiner Verlegung nach Volos 2018 saß Koufontinas im Hochsicherheitstrakt des Korydallos-Gefängnisses in Athen ein. Im Gefängnis schrieb er das Buch »Geboren am 17. November«, das auch in deutscher Übersetzung veröffentlicht wurde.

Anfänglich brachten fast nur anarchistische und anarcho-kommunistische Gruppen ihre Unterstützung mit dem Hungerstreikenden zum Ausdruck – und wurden von den Medien weitgehend totgeschwiegen. Seit kurzem gibt es jedoch breitere Solidarität und größere mediale Aufmerksamkeit. Am 18. Februar wurde das griechische Gesundheitsministerium besucht und Flugblätter verteilt, wobei 61 Personen verhaftet wurden. Wenig später folgte Protest vor dem Büro der Regierungspartei Nea Dimokratia mit 110 Festnahmen. Und nachdem vergangene Woche zuerst noch zwei Demonstrationsversuche von der Polizei mit Tränengas und martialischen Angriffen auf die Versammelten unterbunden worden waren, konnten am 27. Februar an die 5.000 Menschen in der Innenstadt Athens demonstrieren. Die Assoziation der Richter*innen und Staatsanwält*innen sowie die Parlamentarier*innen von Syriza, MeRA25 (DiEM25) und der kommunistischen KKE haben sich inzwischen für eine Verlegung Koufontinas stark gemacht, und 800 Kulturschaffende und Akademiker*innen unterzeichneten einen Solidaritätsaufruf für Koufontinas. Auch in Deutschland gab es inzwischen zahlreiche Proteste. Dazu zählen unter anderem Kundgebungen und Proteste vor Konsulaten und Botschaften in Hamburg, München und Stuttgart sowie eine Demo mit 500 Leuten sowie eine zweistündige Besetzung des griechischen Konsulats in Berlin am 27. Februar. Zudem kam es zum Abbrennen eines Trucks des griechischen Polizeiausrüsters Hertz und zerstörten Reifen und Fenstern eines Transporters der Firma Siemens-Bosch, verwickelt in viele Korruptionsskandale und Ausstatter des griechischen Militärs.

Corona-Pandemie als Vorwand für Repression

Das harte Vorgehen der Polizei ist Resultat einer Politik der griechischen Regierung, die die Corona-Pandemie als Vorwand nutzt, um repressive und autoritäre Maßnahmen durchzudrücken. So herrscht ein komplettes Versammlungsverbot und gibt es einen strikten Lockdown seit Anfang November. Verstöße werden mit Bußgeldern in Höhe von 300 Euro geahndet. Hinzu kommen die Einschränkung der Pressefreiheit, die Abschaffung des Uni-Asyls, die Einrichtung von Polizeieinheiten in den staatlichen Universitäten sowie eine rassistische Anti-Einwanderungspolitik, illegale Pushbacks von Geflüchteten und Räumungen von besetzten Häusern. Die Haltung der Regierung erklärt sich auch aus persönlichen Verstrickungen: 1989 erschoss der 17. November den Schwager des jetzigen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis, Pavlos Bakoyannis.

Am 28. Februar besuchte die Ärztin Katerina Douzepi Koufontinas und bestätigte seinen kritischen Gesundheitszustand. Er sei abgemagert und depressiv, aber klar bei Sinnen: Koufontinas sagte ihr sinngemäß: »Ich möchte nicht sterben, aber so wie es ist, lassen sie mir keine andere Wahl. Ich möchte leben, aber nicht wie menschlicher Müll behandelt werden.« Er möchte nicht wiederbelebt werden, falls er das Bewusstsein verliert.

azozomox

ist in autonomen / anarchistischen Zusammenhängen in Berlin aktiv.