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|ak 713 | Feminismus

Patriarchat enteignen!

Wohnungsnot, Gentrifizierung und häusliche Gewalt: Warum wir eine queerfeministische Perspektive auf Wohnraumpolitik brauchen

Von AG Queerfeminismus der IL Berlin

Aktivist*innen stehen mit erhobenen Fäusten hinter einem Banner mit der Aufschrift "Die Räume denen, die sie brauchen / Save Café Julia!"
Kapitalistische Wohnraumpolitik wirkt sich besonders stark auf FLINTA aus und festigt patriarchale Strukturen. Foto: IL Berlin

Eigentlich hätte in den leerstehenden Räumen in der Berliner Frobenstraße dieses Jahr ein Nachtcafé für Sexarbeiter*innen und suchterkrankte Menschen eröffnen sollen. Das Café Julia wollte zwischen 22 Uhr abends und vier Uhr morgens ein sicherer Aufenthaltsraum sein, zum Aufwärmen und für persönliche Hygiene, mit Waschmaschinen für die eigene Wäsche. Ein Ort zum Ausruhen und zum Austausch mit Peers sowie mit einem Angebot zur Beratung durch Sozialarbeiter*innen. Eigentlich – denn auch wenn alles in trockenen Tüchern schien, machte das kommunale Wohnungsunternehmen Gewobag im letzten Moment einen Rückzieher und vermietete die Räume lieber an ein Zahnlabor.

Die Absage ans Café Julia ist nur ein Beispiel für die Politik der Verdrängung, die die Hauptstadt seit Jahren prägt. Sie trifft die am härtesten, die ohnehin am stärksten von Prekarisierung und Gewalt betroffen sind: Sexarbeiter*innen, Personen ohne sicheren Aufenthaltsstatus, obdachlose und suchtkranke Menschen. 506 Gewaltdelikte gegen Obdachlose zählte die Berliner Senatsverwaltung für Inneres im Jahr 2024, die Dunkelziffer liegt deutlich höher. Doch während für wohnungslose Menschen der öffentliche Raum zur Gefahr werden kann, findet die meiste Gewalt noch immer in Privatwohnungen statt. Alle zwei Minuten wird ein Mensch in Deutschland Opfer häuslicher Gewalt. Die Mehrheit der Betroffenen, 70,5 Prozent, sind Frauen. Das geht aus dem »Lagebild häusliche Gewalt« des Bundeskriminalamts hervor. Häusliche und partnerschaftliche Gewalt nehmen weiter zu. Im Jahr 2023 wurden 256.276 Betroffene von häuslicher Gewalt erfasst, 6,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Den grausamen Höhepunkt der Gewalt markieren Femizide – Morde an Frauen, weil sie Frauen sind. In 928 Fällen versuchte im Jahr 2023 ein Mann in Deutschland eine Frau zu töten. 360 Frauen wurden getötet, bei 247 Fällen handelte es sich um häusliche Gewalt. Noch immer werden diese Gewalttaten als Einzelfälle, als private »Beziehungsdramen« verharmlost, womit die strukturelle Dimension patriarchaler Gewalt systematisch unsichtbar gemacht wird.

Patriarchat und Wohnungspolitik

Die patriarchalen Strukturen, die diese Gewalt hervorbringen, werden durch die Dynamiken der kapitalistischen Wohnungspolitik ermöglicht und aufrechterhalten. Da Wohnraum heute Ware ist und die Verteilung größtenteils den Marktkräften überlassen ist, die einer Profitlogik unterworfen sind, wird der Zugang zu (Wohn-)Raum durch kapitalistische Herrschaftsverhältnisse wie Rassismus oder Sexismus reguliert und eingeschränkt. Der Gender Pay Gap, also das niedrigere Erwerbseinkommen von Frauen, oder der Gender Care Gap, die überdurchschnittliche Übernahme von Fürsorgeverantwortung durch Frauen, führen zu einer strukturellen Benachteiligung auf dem Wohnungsmarkt. Dadurch entsteht eine Raumordnung, die gesellschaftliche Machtverhältnisse reproduziert und die sich unter anderem im Mangel an bezahlbarem Wohnraum und fehlendem Zugang zu sicheren Schutzorten äußert. Frauen sind damit strukturell stärker von der generellen Wohnungsnot in größeren Städten und Gentrifizierung betroffen. Für von Gewalt betroffene Frauen, insbesondere wenn sie Kinder haben, bedeutet das häufig, dass sie schlicht keine Möglichkeit haben, sich aus gewaltvollen Beziehungen zu lösen, weil es keine bezahlbaren Wohnungen gibt. Für trans, inter und nicht-binäre Menschen, die statistisch gesehen stärker von Armut und Wohnungslosigkeit betroffen sind als cis Personen, gilt das ganz genauso.

Die Vergesellschaftung von Wohnraum eröffnet eine Perspektive, die Verschränkung von patriarchaler Gewalt und Wohnraumpolitik aufzulösen. Die Trennung von Privatem und Politischem ist noch immer eines der wichtigsten diskursiven Mittel des Patriarchats, um von FLINTA (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen) geleistete Care-Arbeit, aber auch Partnerschaftsgewalt, unsichtbar zu machen und zu entpolitisieren. Eine Vergesellschaftung von Wohnraum würde diese vermeintlich privaten Räume wieder in die Gesellschaft zurückholen und zum Gegenstand politischer Aushandlungen und politischer Selbstbestimmung machen. Patriarchale Gewalt lässt sich weder auf der individuellen Ebene noch durch das Appellieren an staatliche Sanktionierung grundlegend bekämpfen, sondern muss als strukturelles, gesellschaftliches Problem verstanden werden. Vergesellschaftung stärkt die Perspektive dafür, dass Wohnen und das, was in Wohnungen geschieht, eine gesellschaftliche und keine private Frage ist.

Feministisch zu enteignen muss darauf abzielen, patriarchale Macht- und Eigentumsverhältnisse zu durchbrechen.

Für queerfeministische Stadtpolitik von unten

Die Forderung nach der Vergesellschaftung von Wohnraum alleine reicht allerdings nicht, sondern muss durch eine queerfeministische Perspektive und Praxis erweitert werden. Patriarchale Gewalt wird durch patriarchale Macht- und Eigentumsverhältnisse gestützt. Feministisch zu enteignen muss darauf abzielen, diese Strukturen zu durchbrechen, Ressourcen gerechter zu verteilen und damit wirtschaftliche Abhängigkeiten besonders von gewaltbetroffenen Personen zu reduzieren. Zu den ersten Schritten einer queerfeministischen Vergesellschaftung könnte die (Re-)Kommunalisierung von Wohnraum und Daseinsvorsorge (bspw. Strom, Wasser, Gesundheitsversorgung) gehören. Es braucht basisdemokratisch organisierte Wohnraumverwaltungen, in der nicht nur Mieter*innen, sondern auch Gruppen, die oft von Verdrängung betroffen sind, eine Stimme haben. Über die Beteiligung in Kiezräten, wie die Intitiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen (DWE) sie vorschlägt, könnten Menschen über die Verteilung dieser Ressourcen entscheiden und würden so Selbstermächtigung erleben.

Reproduktionsverhältnisse, die FLINTA und migrantisierte Menschen strukturell ausbeuten, sollten umgeworfen werden, indem Sorgearbeit vergesellschaftet, und damit aus der familiären privaten Verantwortung genommen und stattdessen in einer öffentlichen Sorge-Infrastruktur verankert wird. Ja, es braucht mehr Kitaplätze, aber was wäre darüber hinaus mit großen Gemeinschaftsküchen? Diese könnten entweder einen Kiez oder auch ein Wohnhaus versorgen. Vor knapp 100 Jahren wurde diese Idee mit dem »Einküchenhaus« auch schon mal umgesetzt. Eine große Küche, die das ganze Haus mit Essen versorgt, und die Bewohner*innen wechseln sich mit dem Kochen ab. Statt der klassischen Zwei-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung, die die materielle Basis für die heteropatriarchale Kleinfamilie darstellt und Frauen in ihrer Reproduktionsarbeit isoliert, würde diese bauliche Veränderung zu mehr kollektiver Verantwortung führen. Auch bei Neubauten und der Umgestaltung von Büro- und Gewerbeflächen müssten queere Wohnkonzepte berücksichtigt werden.

Internationale Bewegungen wie die feministischen Stadtpolitik-Initiativen der »Ciudades cuidadoras« (sorgende Städte) in Spanien zeigen, wie wir als Gesellschaft den Fokus auf die Bedürfnisse von Menschen in prekären Lebenssituationen lenken können. In Barcelona etwa wird Sorgearbeit in der Stadtplanung vergesellschaftet, beispielsweise indem Kinderbetreuung zunehmend selbstorganisiert vergemeinschaftet wird, um das patriarchale Ungleichgewicht in der Verantwortung für Fürsorge und Pflege zu überwinden und damit eine solidarischere Stadtpolitik zu gewährleisten.

Queerfeministische Vergesellschaftung würde das Zusammenleben in der Stadt grundsätzlich verändern. Indem emanzipatorische Forderungen stadträumlich verankert werden, werden die materiellen Grundlagen für einen gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Gerechtigkeit und Solidarität geschaffen. Das würde nicht nur die Lebensrealität von FLINTA und marginalisierten Gruppen grundlegend verbessern, sondern für alle Menschen solidarische Beziehungsweisen erlebbar machen, die zeigen, dass ein Leben jenseits des Kapitalismus nicht nur möglich, sondern auch lebenswert wäre. Die Vergesellschaftung von Wohnraum rüttelt am Grundpfeiler des Kapitalismus – dem Privateigentum an Boden und Immobilien. Das Patriarchat muss enteignet werden.

AG Queerfeminismus der IL Berlin

beschäftigt sich aus linksradikaler, antirassistischer und queerfeministischer Perspektive mit der Bekämpfung patriarchaler Gewalt und der emanzipatorischen Befreiung aus kapitalistischen, heteronormativen Verhältnissen. Dafür arbeitet die AG u.a. mit verschiedenen Akteur*innen im Antigewaltbereich zusammen und stärkt die Vernetzung von hauptamtlichem Gewaltschutz, z.B. in Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen, mit der aktivistisch-feministischen Bewegung.