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|ak 661 | Diskussion |Reihe: Planwirtschaft

Ohne Plan zur Planwirtschaft?

Die Klimakrise und das Dilemma der Gerechtigkeit

Von Jörg Nowak

Auch der solidarische Kaffee der zapatistischen Bewegung in Mexiko kommt nicht mit dem Fahrrad nach Europa. Foto: Jorge Zapata / Pexels

Seine Fürsprecher*innen leugnen es meist und verweisen auf den freien Markt, aber auch im gegenwärtigen Kapitalismus wird geplant – entsprechend den Interessen des multinationalen und nationalen Kapitals. Seit Kurzem wird das wieder Industriepolitik genannt. (1) Zum Beispiel werden häufig Rüstungs- und Überwachungstechnologien mit viel Geld subventioniert, also eher unsinnig verplant. Die Debatte um »notwendige Arbeit« während der Corona-Krise hat kurzzeitig ins Licht gerückt, welche Bereiche der Wirtschaft für die große Masse der Bevölkerung besonders wichtig sind und dass die Arbeitskräfte in diesen Bereichen meistens schlecht bezahlt werden und unter körperlich strapaziösen und krankmachenden Bedingungen arbeiten. Und sowohl die Probleme im Gesundheitssystem als auch die außer Kontrolle geratene Klimakrise machen deutlich, dass eine andere Planung mit anderen Schwerpunkten nötig ist, um Emissionen zu reduzieren und die Gesundheit der Bevölkerungen zu schützen.

Offensichtlich ist, dass die Selbstverpflichtungen von Regierungen wie auf dem Klimagipfel in Paris nicht funktionieren. Daher müsste eine gesellschaftliche Planung festlegen, in welchen Bereichen Emissionen reduziert werden, und wie dies zu erfolgen hat. Das würde mit der Reduzierung bestimmter Wirtschaftsbereiche und mit der Stärkung oder Neuschaffung anderer einhergehen. Im Idealfall würde die allgemeine Arbeitszeit gekürzt, damit keine Beschäftigung verloren geht. Aber auch in einer geplanten sozialistischen Gesellschaft würde das zu Konflikten führen. Denn die Beschäftigten in den zu reduzierenden Bereichen wollen ihre Jobs behalten – wegen der Nähe zum Wohnort, den vertrauten Kolleg*innen und aufgrund langjährig erworbener Qualifikationen. Aktuell wären Investitionen in erneuerbare Energien nur ein Bereich, wo staatliche Planung notwendig wäre. Obwohl durch chinesische Massenproduktion Solaranlagen sehr viel billiger geworden sind, steigen weltweit die Investitionen in Kohlekraftwerke stark an, während jene in erneuerbare Energien seit 2015 stagnieren. Das heißt, hier fehlt es an staatlichen Politiken sowie Mitteln und Anreizen, massiv in Solar- und Windenergie zu investieren.

Planwirtschaft: Was bisher diskutiert wurde

Die Debatte zu ökonomischen Planungsmodellen im Kontext von Klima- und Coronakrise nimmt an Fahrt auf: Christian Hofmann und Philip Broistedt hatten in ak 658 eine »rationale Planung der Produktion« gefordert, wobei die Produktionsmittel »der Gesellschaft« gehören sollten. Auf Grundlage der geleisteten Arbeitszeit sollen dann die Produkte verteilt werden. Bernd Gehrke hat in ak 660 kritisiert, dass nicht ohne weiteres klar sei, wer »die Gesellschaft« ist. Aus den bisher angewandten Modellen von Planwirtschaft und den historischen Erfahrungen mit ihnen seien wichtige Schlussfolgerungen zu ziehen. Vor allem müsse bedacht werden, welches Gefüge von Institutionen und/oder Entscheidungsprozessen eine autoritäre Leitung von Staat und Gesellschaft vermeiden kann. In ak 653 hatte Georg Fülberth die jüngste Planungsdiskussion vor einem anderen Hintergrund – der Digitalisierung – analysiert, und in ak 648 hatten Leigh Phillips und Michal Rozworski behauptet, mit Künstlicher Intelligenz und riesigen Datenmengen sei ein Alternative zum Markt möglich.

Auch auf der Konsumseite müssten umstrittene Entscheidungen getroffen werden. Zum Beispiel lassen sich Emissionen vermeiden, wenn weniger Produkte von weit her transportiert werden. Worauf aber soll am ehesten verzichtet werden? Auf Bananen oder Mangos oder auf Tabakprodukte oder gar Schokolade oder Kaffee? Schließlich kommt auch der solidarische Kaffee der zapatistischen Bewegung in Mexiko nicht mit dem Fahrrad nach Europa.

Jedes Jahr ein Minus von acht Prozent

Die größten Kontingente an CO₂-Emissionen fallen an bei der Erzeugung von Strom und Wärme (13.600 Millionen Tonnen), bei der Produktion, und auf dem Bau (6.200 Millionen Tonnen) und im Transport (8.000 Millionen Tonnen, davon entfallen 6.000 auf den Strassenverkehr). (2) Dieses Jahr werden die CO₂-Emissionen wegen der Corona-Krise Schätzungen zufolge um acht Prozent zurückgehen. Diese Verringerung müsste jedes Jahr um weitere acht Prozent pro Jahr wiederholt werden, um bei einer Erwärmung von 1,5 Prozent zu verbleiben. (3) Die Strom- und Wärmeerzeugung birgt die größten Potenziale, und hier hat den größten Anteil die Kohle, gefolgt von Öl. International betrachtet sind die energiebezogenen CO₂-Emissionen in den sogenannten advanced economies, eine Formulierung der International Energy Agency (IEA), in 2019 gleich hoch wie in 1990. Aber im von der IEA sogenannten Rest der Welt haben sie sich in diesem Zeitraum etwas mehr als verdoppelt.

Worauf soll am ehesten verzichtet werden? Auf Bananen, Mangos oder auf Tabakprodukte oder gar Schokolade?

Nun haben aber die global reicheren Ökonomien Teile ihrer Produktion in diesen »Rest« der Welt verlagert – und damit auch die betreffenden Emissionen. Insofern ist hier ein Verursacherprinzip – abgesehen vom historischen Verschmutzungsvorsprung der zuerst industrialisierten Länder – schwer zu etablieren. Wie könnte nun international eine Reduzierung dieser Emissionen geplant werden? Regierungen im globalen Süden argumentieren, dass die große Mehrheit der Weltbevölkerung bisher vom Konsum im großen Stil ausgeschlossen war. Jetzt aber sei diese Mehrheit mal an der Reihe. Einen gleichmäßigen CO₂-Verbrauch weltweit pro Kopf anzustreben wäre prima. Aber eine so radikale Umverteilung wird nicht rechtzeitig gelingen, um die Klimakatastrophe zu verhindern – jedenfalls nicht bis 2025.

Insofern: Falls es wirklich bald zu ernsthafteren Versuchen kommen sollte, Emissionen zu begrenzen, werden alle diese Aspekte in die Diskussion einfließen: Planung gibt es nicht erst, wenn der Sozialismus in welcher Form auch immer eingeführt wird, sondern bereits im Hier und Heute. Das Argument von Liberalen, dass der Kapitalismus spontan und ungeplant verlaufe, dem Gesetz der unsichtbaren Hand des Marktes folgend, ist Propaganda. Die globale Planung innerhalb von Weltkonzernen zeigt, dass Planung auch auf internationaler Ebene möglich ist. Wenn die Kräfteverhältnisse es zulassen, können diese Instrumente für alternative Ziele verwendet werden. Sowohl die sowjetische wie die kubanische Planwirtschaft beruhten auf Methoden, die in den 1920er und 60er Jahren durch multinationale Konzerne verwendet wurden, und dann den jeweiligen sozialistischen Zielen entsprechend modifiziert wurden. Mit anderen Worten: Auch bei einer heutigen unvollkommenen Planung zur Lösung der Klimakrise werden wir mit all den Widersprüchen konfrontiert sein, die Planung im Sozialismus mit sich bringen würde.

Was ist Arbeitszeit?

Ein weiterer Aspekt in der Diskussion über Planwirtschaften ist die Frage, was als Arbeitszeit zählt. Ein Punkt, der etwa bei Christian Hofmann und Philip Broistedt (ak 658) im Dunklen bleibt. Wenn diese Maß der Verteilung von Wohlstand sein soll, muss »Arbeitszeit« definiert und erfasst werden. Zählt dann unbezahlte Haus- und Sorgearbeit dazu oder nicht? Wie sollen alle diese Arbeiten, soweit sie als Arbeitszeit gelten, erfasst werden, ohne ein minutiöses Kontrollsystem einzuführen?

Eine schlichte »Verwaltung von Sachen«, wie sie Friedrich Engels vorschwebte, ist eher komplex als einfach. Zudem kommen alle möglichen persönlichen Dienstleistungen hinzu – und diese sollten in einer geplanten sozialistischen Wirtschaft einen größeren Anteil einnehmen als heute. Hier sind in vielen Bereichen kollektive Modelle möglich wie Küchen und Wäschereien in Nachbarschaftseinheiten auf Basis entlohnter Arbeit.

Die Schlüsselfrage, wer in welchem Verfahren entscheiden soll, welche Anteile von Produktion und Stromerzeugung wie verringert werden sollten (und das auf weltweiter Ebene!), sprechen Hofmann/Broistedt nicht an. Denkbar wäre, dass ein Expertengremium mehrere Vorschläge ausarbeitet, über die dann in einer Volksabstimmung entschieden wird. Mit Volksabstimmungen ist aber die Frage der Interessen der Arbeitenden in Konversions-Bereichen nicht annähernd geklärt. Haben diese ein Vetorecht – auch wenn sie bornierte Partikularinteressen vertreten?

Eine andere Methode sind Versammlungen auf kommunaler, regionaler, nationaler und transnationaler Ebene. In denen könnten ohne Einfluss von Expert*innen Vorschläge gemacht werden, was die Diskussion nicht durch interne Zirkel vorformt. Diese Versammlungen könnten es überdies ermöglichen, in kollektiven Lösungen etwa die Widersprüche zwischen den Einzelinteressen von Automobilarbeiter*innen und Straßenbahnfahrer*innen zu lösen – sowie allgemein jenen Konflikten zwischen diversen Partikularinteressen und einem zu konstruierenden Gesamtinteresse einer Lösung zuzuführen, die nicht von Konkurrenz um Löhne und natürliche Ressourcen geprägt ist. Angesichts der erheblichen Differenzen im Niveau der Versorgung mit Gütern, Einkommen, Dienstleistungen und Infrastruktur zwischen reichen und armen Ländern sowie zwischen Klassen innerhalb vieler Länder bleibt solch ein Ausgleich eine enorme Herausforderung.

Jörg Nowak

Jörg Nowak ist Post-doc Researcher am University College Dublin.

Anmerkungen:
1) Ingar Solty/Claude Serfati/Judith Dellheim: Sicherheitspolitik contra Sicherheit. Zur Symbiose von Rüstung und Industrie in der Europäischen Union, Berlin 2020; online unter: www.rosalux.de.
2) International Energy Agency: CO₂ emissions from fuel combustion.
3) Hannah Ritchie, Max Roser: CO₂ and Greenhouse Gas Emissions. Our World in Data, first version May 2017, revised December 2019, Online utner: ourworldindata.org.