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Nicht nur Hafenromantik

Hamburg will städtischen Grund und Boden an die Reederei MSC verkaufen, dagegen hat sich ein Bündnis formiert

Von Laura Six

Ein Containerschiff im Hamburger Hafen
Touristenmagnet, Arbeitsplatz, Urlaubsstartpunkt. Der Hamburger Hafen hat viele Gesichter. Foto: Uli Köhler, CC0

Das derzeitige Debakel um den Pleiteinvestor René Benko und das nächste Hamburger Prestige Projekt Elbtower sollte die Hamburger Politik eigentlich eines Besseren belehren: Seit November steht die Baustelle des Elbtowers am Rande der Hamburger Hafencity nun still, da Benkos Signa Holding Insolvenz angemeldet hatte. Dennoch setzt der rot-grüne Senat weiter darauf, sich Großinvestor*innen und milliardenschwere Privatunternehmen in die Stadt zu holen. Das wohl eindrücklichste Beispiel ist das Festhalten an dem Teilverkauf der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) an die weltweit größte Reederei MSC.

Trotz vergangener Proteste der Beschäftigten und der Gewerkschaft ver.di und der zunehmenden Politisierung der Causa MSC innerhalb der Hamburger Bürgerschaft, hält die rot-grüne Regierung entschlossen an dem Deal fest. Nach anfänglicher und vereinzelter Kritik auch aus den eigenen Reihen scheinen diese zunächst wieder geschlossen. Noch ehe die Abstimmung über den Deal in der Bürgerschaft vollzogen wurde, arbeitet der rot-grüne Senat daran, weitere Tatsachen zu schaffen. Bereits im Dezember hatten sich die Stadt und der Konzern über 90 Prozent der Aktien gesichert, und somit die Möglichkeit geschaffen, verbleibende Aktionär*innen aus dem Unternehmen rauszudrängen, ein sogenannter »Squeeze Out«. Im Januar löste der Senat ein weiteres Teilversprechen des Deals ein: Für den Bau der neuen Deutschland-Zentrale von MSC wird nun ein prominenter Platz in der Hamburger HafenCity freigemacht. Norbert Hackbusch, hafenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, bezeichnete dies gegenüber dem Hamburger Abendblatt als einen »weiteren Kniefall vor MSC«.

Hafenpolitische Kehrtwende

Ähnlich hartnäckig, wie SPD und Grüne am geplanten Deal festhalten, hält sich auch die Kritik der Opposition an dem geplanten Vorhaben. Und sie wird zunehmend lauter. Denn politisch auf dem Spiel steht mehr als der Verlust von Arbeitsplätzen und die Herabsenkung arbeits- und tarifrechtlicher Standards im Hafen. Deutlich wurde dies in der vergangenen Sitzung des Wirtschaftsausschusses der Hamburger Bürgerschaft am 6. Februar 2024. Eigentlich sollte es eine öffentliche Anhörung zum von der Wirtschaftsbehörde vorlegten »Hafenentwicklungsplan 2040« werden. Dass aber mit dem MSC-Deal bereits wichtige strategische Weichenstellungen für die Hafenentwicklung vorbei an der demokratischen Kontrolle der Bürgerschaft getroffen wurden, daran ließen die dort Anwesenden von Beschäftigten- bis Unternehmensvertreter*innen über Umwelt- und Denkmalschutzverbände keinen Zweifel – wenn auch ideologisch unterschiedlich begründet. Auch zahlreiche Hafenarbeiter*innen waren vor Ort. Darunter auch André »Krabbe« Benke , Hafenarbeiter im Gesamthafenbetrieb Hamburg (GHB). Von der Sitzung erwarte er sich keine neuen Erkenntnisse. Aber es gehe jetzt auch darum, Präsenz zu zeigen, sagt er zum Beginn der Sitzung gegenüber ak.

Bislang gelten selbst die minimalen Garantien auf die Übernahme arbeits- und tarifrechtlicher Mindeststandards nur für die unmittelbar bei der HHLA Beschäftigten.

Die Abstimmung über den Deal mit MSC war innerhalb der Bürgerschaft zunächst für den 22. Dezember 2023 angesetzt, wurde dann aber ohne weitere Ankündigung, auf Wunsch der SPD-Fraktion, verschoben. Die Opposition innerhalb der Bürgerschaft nutzt derweil die Zeit, um ein Mindestmaß an Transparenz und Öffentlichkeit herzustellen und Einsicht in die Verträge zu fordern. Dass das Spiel auf Zeit ambivalent ist, wissen auch die Beschäftigten. »Viele Leute, auch innerhalb der eigenen Reihen, haben das Gefühl, das Ding ist durch«, sagt Krabbe. Er glaub daran allerdings noch nicht, und hat deswegen mit Kolleg*innen die Initiative »Notruf 040« ins Leben gerufen. »Aber das Ding ist noch nicht durch. Wir hören erst auf, wenn der Deal durch die Bürgerschaft durch ist«, kündigt er an.

Immerhin ginge es hier um den Erhalt tausender tarifgebundener und durch Mitbestimmung gesicherter Arbeitsplätze. Um »gute Arbeit« also – ein Slogan, den sich die Stadt gerne selbst auf die Fahnen schreibt. Bislang gelten jedoch selbst die minimalen Garantien auf die Übernahme arbeits- und tarifrechtlicher Mindeststandards nur für die unmittelbar bei der HHLA Beschäftigten. Im Containerbetrieb der HHLA tätig sind jedoch auch Arbeiter*innen aus dem Gesamthafenbetrieb und Eurogate, etwa die Festmacher, die die Schiffe an die Kaikante bringen oder die Lascher, die die Container für die Fahrt absichern. Für sie gibt es bislang keinerlei vertraglichen Absicherungen, und noch nicht einmal mündliche Zusagen.

Es scheint sicher, dass sie von einer Veränderung der Unternehmenspolitik der HHLA betroffen sein werden. Entweder, weil innerhalb der HHLA auf Eigenverschickung gesetzt, oder weil versucht wird, die Tätigkeit der Lascher einfach auf andere Beschäftigte auszulagern. Einen solchen Versuch hat die Reederei Cosco im Dezember gestartet und verkündet, Laschertätigkeiten ab dem Jahr 2024 durch das Schiffspersonal erledigen zu lassen – und damit Tarifflucht zu begehen.

Speicherstadt und Fischmarkt

»Aber es geht um weit mehr als um die 607.000 Arbeitsplätze in und um den Hafen«, macht Krabbe deutlich. Es gehe auch um Fragen der öffentlichen Infrastruktur. Der Hafen sei das Herz der Stadt Hamburg. Nicht nur symbolisch, sondern auch materiell. Denn die Gewinne der HHLA und deren Aktiengeschäfte fließen bislang über die Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement mbH (kurz: HGV) auch in den öffentlichen Haushalt der Stadt. Die HHLA hatte hier in den vergangenen Jahren immer eingezahlt. Fraglich ist, wie groß der Anteil noch sein wird, nachdem die Stadt 19 Prozent der Aktien an MSC abgetreten hat. Und wo die restlichen Gewinne hinfließen. An das Versprechen der Sozialdemokrat*innen jedoch, mit Beteiligung der MSC würden allen voran den Bürger*innen der Stadt noch höhere Gewinne zukommen, glaubt im Hafen niemand. 

MSC hat leichtes Spiel, die Gewinne einzufahren und die Verluste durch den Grundbesitz der öffentlichen Hand ausgleichen zu lassen.

Auch der Bruch mit der jahrhundertelangen Tradition, die Hafenanlagen selbst in öffentlicher Hand zu belassen und private Firmen und Konzerne nur als Mieter zu beteiligen, sorgt für Kritik. »Dein Hafen nach 900 Jahren nicht mehr in öffentlicher Hand?« heißt es in der Broschüre der Initiative »Notruf 040«. Bei der Bodenfrage geht es nicht allein um die Containerterminals. Auch der Grund von Speicherstadt, UNESCO Weltkulturerbe, und des Fischmarkts gehören zur HHLA. Daran werde sich auch in Zukunft nichts ändern, teilt der Senat auf Anfrage der Linksfraktion in der Bürgerschaft im Dezember mit. Denn die sogenannten S-Aktien, die den Besitz von Grund und Immobilien der Standorte regeln, seien von dem unmittelbaren Verkauf an die MSC ausgespart. Da der Vorstand der HHLA in Zukunft jedoch zur Hälfe von MSC besetzt werden wird, werden diese auch die Geschäfte mit dem Grundbesitz in der S-Sparte beeinflussen können.

Schon jetzt werden zum Ausgleich von Verlusten im Betrieb der Containerterminals der A-Sparte die Immobiliengeschäfte der S-Sparte herangezogen. Mit einem solchen Konstrukt hat MSC leichtes Spiel, die Gewinne einzufahren und die Verluste durch den Grundbesitz der öffentlichen Hand ausgleichen zu lassen.

Der Deal muss Stadtgespräch werden

»Hier geht es um mehr als Hafenromantik, sondern um zentrale gesellschafts- und wirtschaftspolitische Fragen. Diese haben allen voran die Hafenarbeiter*innen selber auf den Tisch gebracht. Die Stadt schafft mit dem Deal starke Machtasymmetrien und dysfunktionale Märkte«, sagt Louis Kesse, Vorstandsmitglied des Netzwerks Plurale Ökonomik, der sich unter anderem im Netzwerk »Ein Hafen für alle, alle für den Hafen – Bündnis HHLA-Verkauf stoppen!« engagiert. In diesem haben sich Gewerkschafter*innen, ehemalige Betriebsräte, Jugendverbände wie die DIDF-Jugend, der Internationale Jugendverein (IJV) sowie stadt- und hochschulpolitischen Gruppen zusammengeschlossen. Diese Fragen jedoch seien innerhalb der Hamburger Öffentlichkeit bislang noch nicht so präsent. Es gehe nun darum, Öffentlichkeit und Bewegung herzustellen, um politischen Druck aufzubauen. Neben zivilgesellschaftlichen Initiativen und politischen Gruppen hat sich mit der Grünen Jugend auch bereits der Jugendverband einer Regierungspartei gegen den Deal ausgesprochen, so Kesse.

Solidaritätsbekundungen allein reichten nicht. Die Beteiligten im Netzwerk suchen nun vor allem das Gespräch mit Bürger*innen der Stadt, so auch bei den vergangenen Großdemonstrationen gegen die AfD. »Stadtgespräch« müsse der geplante Deal von Senat und MSC werden, meint Kesse. So wie damals bei der »NOlympia«-Kampagne oder »Unser Hamburg – unser Netz« zum Rückkauf der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze. Einen Anlass dazu bietet die Demo am 21. Februar 2024, die von der HHLA-Zentrale in der Speicherstadt zur Wirtschaftsbehörde führen soll. Eine zivilgesellschaftlich getragene Unterstützung dürfte den Arbeiter*innen im Hafen den Rücken stärken und den Protest zu neuen Schwung verhelfen. Ob diese Anstrengungen am Ende reichen werden, hängt von uns allen ab.

Laura Six

studiert Politikwissenschaft und beschäftigt sich unter anderem mit Fragen der Konflikt- und Kriegsursachenforschung. Sie ist ver.di-Mitglied und engagiert sich in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit.