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Mit den Anderen solidarisch

Die kanadische Postgewerkschaft versteht sich als transformative Kraft im Kampf gegen den Klimawandel

Von Friederike Habermann

Mehrere Briefkästen der kanadischen Post
Sehen harmlos aus, haben aber den Konflikt zwischen der kanadischen Post und der Postgewerkschaft CUPW ins Rollen gebracht: Die Community Mailboxes ersetzen die Zustellung an der Haustür, was Ältere und Kranke benachteiligt. Foto: 0x010C / Wikipedia, CC BY SA 4.0

Wer in Deutschland nach einer gewerkschaftlichen Stellungnahme zu Black Lives Matter sucht, findet schließlich den bayrischen Landesverband vom Deutschen Gewerkschaftsbund: »DGB Bayern zeigt sich solidarisch«, heißt es in einem Statement von Mitte Juni. Bei der kanadischen Postgewerkschaft liest sich die Pressemitteilung von Mitte Juli anlässlich eines BLM-Aufrufs zum solidarischen Generalstreik so: »Unsere Gewerkschaft verurteilt den systemimmanenten Rassismus, der auf der Vorherrschaft der Weißen, der Gier der Unternehmen und dem profitorientierten kapitalistischen System beruht.« Und weiter heißt es, jetzt sei die perfekte Gelegenheit, alle zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um die schädlichen Institutionen zu zerschlagen, denen die Schwarzen Gemeinschaften, die Arbeiter*innen und die Armen zum Opfer fallen.

Nein, die Canadian Union of Postal Workers ist keine autonome Splittergewerkschaft. 54.000 Mitglieder aus ganz Kanada bilden die CUPW. Sie vertritt Postangestellte, Reinigungskräfte, Lebensmittelkuriere, Fahrer*innen, Fahrzeugmechaniker*innen, Drucker*innen, Lagerarbeiter*innen sowie medizinisches Personal. Die CUPW ist eine Gewerkschaft des Globalen Nordens, die den Kapitalismus kritisiert, sich seit Jahrzehnten mit den Marginalisierten dieser Welt verbündet, erschwingliche Kinderbetreuungsstätten mitträgt, am Nationalfeiertag eine indigene Flagge hisst, schon mal das Bankenzentrum Torontos besetzt hat, bereits vor Jahren dafür streikte, zum Transformationstool in eine klimaneutrale »sozioökonomische Struktur, die niemanden zurücklässt«, zu werden, und für die die Bevölkerung die Streikposten übernimmt, wenn es denn sein muss.

Sind die Vorsitzenden der hiesigen großen Gewerkschaften überwiegend weiß und männlich – die Präsidentin der CUPW, Jan Simpson, ist Schwarz. Halten sich Gewerkschaften aus dem Globalen Norden zumeist aus den Kämpfen im Globalen Süden heraus, bezieht die CUPW zu vielen Kämpfen Stellung. Gelten Gewerkschaften in Deutschland nicht als Vorkämpfer*innen gegen den Klimawandel (1), so hat die nationale Vertretung der Postarbeiter*innen schon vor Jahren das Thema oben auf ihre Agenda gesetzt. Die CUPW startete schon 2016 eine Initiative, um die kanadische Post in ein Transformationstool für eine klimaneutrale Gesellschaft zu verwandeln und dabei Klimapolitik als Chance für eine gerechtere Gesellschaft zu nehmen. Naomi Klein, Mitinitiatorin des Manifestes, erklärte auf der Pressekonferenz, auf der die Kampagne vorgestellt wurde: »Das Schöne an Delivering Community Power ist, wie es gleichzeitig wirtschaftliche, ökologische und soziale Fragen angeht«.

Delivering Community Power

In der mehrfachen Doppeldeutigkeit des Titels der Kampagne »Delivering Community Power« drückt sich aus, wie umfassend die klimapolitische Vision der CUPW gedacht ist: »Power« für Energie, aber auch für Kraft, »Community« für die lokalen Gemeinden, für Gemeinschaftlichkeit und für Gesellschaft allgemein sowie »Delivering« als das Liefern von Post, Energie und Transformation. Der ursprüngliche Arbeitstitel der entsprechenden Kampagnenbroschüre »Wie die kanadische Post zum Dreh- und Angelpunkt der zukünftigen Ökonomie werden kann« drückte gut aus, worauf viele in der CUPW hoffen: dass die Gewerkschaft als Hebel zur Transformation bzw. die CUPW als eine transformative Gewerkschaft verstanden wird. Sie möchten nicht nur das Klima, sondern die multiplen Krisen als Chance für ein besseres Gesellschaftssystem be- und ergreifen.

Natürlich sind selbst die Möglichkeiten einer großen Gewerkschaft begrenzt, und nicht jeder Schritt stellt eine tief greifend transformativen Maßnahme dar. Doch sind die Forderungen der CUPW ein gutes Beispiel dafür, wie eine Organisation die jeweils eigenen Möglichkeiten auslotet. Die Gewerkschaft betont: »Ja, wir denken groß. Wir können es uns nicht leisten, es nicht zu tun. Klimamaßnahmen, die dem Ausmaß der Krise angemessen sind, erfordern zeitgleich den transformativen Wandel auf ganz verschiedenen Ebenen – bottom-up, top-down und alles dazwischen.« Dabei belässt es die CUPW nicht bei schönen Worten, sondern begreift die Kampagne als Teil ihres Arbeitskampfes.

In der erwähnten Kampagnenpublikation werden eine Reihe von Maßnahmen und Schritten aufgezählt, die die riesige Infrastruktur der kanadischen Post klimaneutral umbauen könnten. Ein paar Beispiele: Ein koordinierter Lieferdienst für die »letzte Meile«. Lieferungen werden meist unkoordiniert mit Fahrzeugen durchgeführt, was zu vielen unternutzten Fahrten führt. Würde dies über die Post zentral koordiniert, würden Verkehr und Emissionen deutlich verringert. Des Weiteren sollen sowohl der Fuhrpark der Post als auch die Gebäude der Post auf erneuerbare Energien umgestellt bzw. energieeffizienter werden. Soll ersteres durch öffentliche Ladestationen den landesweiten Umstieg auf E-Mobilität fördern, so wäre zweiteres verbunden mit der Post als Anlaufpunkt für kostengünstige ökologische Umbaumaßnahmen für Private inklusive staatlicher Zuschüsse für saubere Energien und energieeffiziente Heizsysteme.

Ausdrücklich unterstützt die Gewerkschaft die Proteste der First Nations Kanadas gegen umweltzerstörerische Projekte in deren Gebieten.

Als das Unternehmen Canada Post 2013 verkündete, die Haustürzustellung zugunsten einer Zustellung über Verteilstationen ganz aufzugeben zu wollen, ging die CUPW zusammen mit anderen Organisationen in den entschiedenen Widerstand. Bislang erfolgreich. Die Postgewerkschaft tritt auch deswegen dafür ein, dass Briefträger*innen bis an die Tür kommen (door-to-door-delivery), damit auf diese Weise mehr Menschen – wie Senior*innen und Menschen mit Behinderungen – unabhängig bleiben und zu Hause leben können. Eben, indem Postbot*innen sie mit Lebensmitteln versorgen oder das ggf. mit Gesundheits- und Sozialdiensten verbinden. Weitere Forderungen aus der Broschüre sind eine nicht profitorientierte Postbank, Postämter als soziale Zentren sowie als Zentren gesellschaftlicher Innovationen.

All diese Vorschläge aus der Broschüre »Delivering Community Power« belegen: Das ausgedehnte Infrastruktur- und Zustellnetz der kanadischen Post hat Potenzial, zu einem Leuchtturmprojekt einer ökologischeren und sozialeren Wirtschaft zu werden. Die CUPW strebt eine Wirtschaft mit 100 Prozent erneuerbarer Energie an, die aber auch Ungleichheiten abbaut und die Communities in die Lage versetzt, sich besser zu organisieren und Veränderungen vorzunehmen.

Umgekehrt bat die CUPW explizit die Bevölkerung um Unterstützung, als sie der Canada Post die oben genannten Vorschläge auf den Verhandlungstisch legte. Dru Oja Jay, Direktor von Friends of Public Services, einer Organisation für die Ausweitung Öffentlicher Dienste, sieht das Potenzial vor allem in solchen Vernetzungen: Die Klimagerechtigkeitsbewegung und der neu erwachte Widerstand Indigener wie Idle No More leisteten hervorragende Arbeit, um das Bewusstsein für viele verschiedene Themen zu schärfen. »Aber wenn man diese Bemühungen mit einer Gewerkschaft verbindet, die Zehntausende von Menschen repräsentiert, die sich für den Erhalt eines ganzen Wirtschaftssektors einsetzen, kann damit eine ganz neue Dimension transformativer Durchsetzungskraft erreicht werden.« (2)

Anerkennung der Rechte der Indigenen

Mit Blick auf die historische Rolle der kanadischen Post, deren Infrastruktur ähnlich wie das Eisenbahnnetz dem heutigen Nationalstaat zur Durchsetzung verholfen hat, betont die CUPW: »Canada Post begann als Teil des Kolonialsystems – wir müssen das als unseren Ausgangspunkt anerkennen«. Damit verbunden sieht sie die Anerkennung der Rechte und Ansprüche indigener Bevölkerungsgruppen heute. Bereits 2017 hatte die CUPW von der Regierung von British Columbia verlangt, »die indigenen Besitzrechte zu respektieren und die Genehmigungen für den Ausbau zu widerrufen.«

Explizit unterstützt die Gewerkschaft die Proteste der First Nations Kanadas gegen umweltzerstörerische Projekte in deren Gebieten. Sie ist solidarisch mit den indigenen Wet’suwet’en, die Anfang 2020 ihr traditionelles Gebiet im Norden von British Columbia wiederbesetzt hatten, um die durch ihr Territorium geplante Coastal-GasLink-Pipeline zu verhindern. Diese soll Erdgas aus dem nordöstlichen Teil der Provinz an die Küste transportieren. Bei den Blockadeaktionen von Schienen beteiligten sich auch Postbedienstete. Die Eisenbahngesellschaften stellten daraufhin den gesamten östlichen als auch den transkontinentalen Zugverkehr ein. Es kam zur größten und längsten Stilllegung des Bahnverkehrs in der kanadischen Geschichte.

Solidarität kann aber auch ganz alltäglich aussehen. Die CUPW tritt dafür ein, mit einem Food-Mail-Programm einen Beitrag zur Gesundheit und Ernährungssicherheit der Bevölkerung in indigenen Gegenden zu leisten. Auch die Initiative für eine nicht profitorientierte Postbank weist in diese Richtung. Banken, die Kredite zu überteuerten Zinsen vergeben, schaden der indigenen Bevölkerung unverhältnismäßig stark. Die CUPW arbeitet zudem daran, Canada Post zu einer anderen Einstellungspraxis zu bewegen. Die Vision von »Delivering Community Power« sei erst dann vollständig, wenn es einen gleichberechtigten Zugang zu Arbeitsplätzen gebe und der systemische Rassismus angegangen werde. Dabei gehe es auch darum, die Perspektiven aller mit einzubeziehen.

Dodie Ferguson von der Cowess First Nation merkt an, dass sowohl in der CUPW als auch in der Öffentlichkeit inzwischen begriffen werde, dass es eine Verbindung zwischen der indigenen Bewegung, anderen Umweltkämpfen, Aussperrungen bei Arbeitskämpfen von Postangestellten sowie Änderungen des Arbeitsrechts zulasten der Beschäftigten gibt. »Ich bin einfach so glücklich, dass die Gewerkschaft das unterstützt und dass die Arbeiter*innen das unterstützen, dass sie tatsächlich bereit sind, Fragen zu stellen, die im Arbeitsleben so lange tabu zu sein schienen.«

Friederike Habermann

Friederike Habermann schreibt, lehrt und forscht als freie Wissenschaftlerin.

Anmerkungen:
1) Siehe Ulrich Brand: Die Wachstumsfalle. Die Gewerkschaften und der Klimawandel, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2019; Kurzfassung in ak 651.
2) David Gray-Donald: Postal Workers launch ambitious proposal that could redefine Canada’s Economy, von März 2016.