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Mindestens Tarif

Im Hamburger Tierpark Hagenbeck streiken die Beschäftigten unbefristet für einheitliche Konditionen

Von Johannes Tesfai

Ein Wallross spuckt eine Wasserfontäne, dahinter ein Tierpfleger mit Mütze und grüner Latzhose, im Hintergrund Felsen
Zielen mit ihren Forderungen bewusst hoch: die Mitarbeitenden des Tierparks Hagenbeck in Hamburg. Foto: Cavernia / Wikimedia, CC BY-SA 4.0

Den Konflikt führen Geschäftsführung und Belegschaft schon seit einigen Jahren öffentlich. Nun hat die Eskalation eine neue Ebene erreicht. Seit dem 29. August befinden sich viele der Beschäftigten des Hamburger Tierparks Hagenbeck in einem unbefristeten Streik. Die Streikenden wollen die Geschäftsführung unter Dirk Albrecht mit dem Ausstand an den Verhandlungstisch zwingen, um über einen Haustarifvertrag zu reden. Im Gespräch mit ak berichtet einer der Streikenden, dass es ihnen darum geht, mit diesem Haustarifvertrag vor allem einheitliche Regelungen zu schaffen. Urlaubstage, Sonderzahlungen und Überstunden sollen nicht mehr willkürlich festgelegt werden können. Der Streik soll den Geschäftsführer Albrecht dazu bringen, die Gewerkschaft als Verhandlungspartnerin überhaupt zu akzeptieren. Viele Beschäftigten im Tierpark sind Mitglied der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Sie vertritt die »grünen Berufe«, zu denen auch die meisten Angestellten bei Hagenbeck gehören.

Auch unter den Streikenden gehen viele davon aus, dass die Verantwortlichen die Gewerkschaft partout nicht im Haus haben wollen.

Albrecht war früher einmal Funktionär beim Profifußballclub HSV und soll laut eines Artikels vom Spiegel über Stressbewältigung promoviert haben. Ob ihm das im Konflikt mit seinen Mitarbeiter*innen hilft, wird sich noch zeigen. Bisher verweigert der Geschäftsführer Verhandlungen mit der Gewerkschaft. Er ließ sich stattdessen öffentlich damit zitieren, dass er nur mit dem Betriebsrat ins Gespräch kommen möchte. Aber das scheint vorgeschoben, denn auch das Verhältnis zum Betriebsrat ist angespannt. 2022 offenbarte eine Anfrage der Fraktion die Linke in der Hamburger Bürgerschaft eine ganze Reihe an Arbeitsgerichts- und Strafverfahren, in die die Hagenbeck-Geschäftsführung verwickelt war. Unter anderem wurde wegen Betrugs ermittelt, weil es beim coronabedingten Kurzarbeitergeld nicht ganz sauber gelaufen sein soll. In einem Strafverfahren ging es dezidiert um die Behinderung der Betriebsratsarbeit durch Albrecht. Er soll ein Betriebsratsmitglied aufgefordert haben, seinen Schlüssel für den Tierpark abzugeben. Das zuständige Gericht entschied im Juni dieses Jahres allerdings, das Verfahren nicht zu eröffnen. Die wilde Begründung des Gerichts lautete, dass Albrecht schuldlos gehandelt habe, weil er sich zuvor von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht beraten lassen habe. Er habe deshalb nicht gewusst, dass sein Verhalten strafbar gewesen sei.

Union Busting

Dem Betriebsratsvorsitzenden kündigte der Geschäftsführer bereits im Dezember 2021. Albrecht warf ihm damals vor, er hätte nicht auf Präsenztreffen mit Gewerkschaftsvertreter*innen im Tierpark verzichten wollen. Wegen der fehlenden Zustimmung des Betriebsrates drohte die Kündigung vor dem Arbeitsgericht zu landen, Albrecht zog sie daraufhin zurück. So konnte der Giraffenpfleger seine Arbeit wieder aufnehmen.

Der nun begonnene unbefristete Streik ist also das Ende einer langen Kette von Eskalationen seitens der Geschäftsführung. Bereits 2022 forderten Beschäftigte in einem offenen Brief die Absetzung von Albrecht als Geschäftsführer. Sein Führungsstil sei von »Respektlosigkeit, Demütigungen, Diffamierungen, Diskriminierung und Bossing« geprägt. Diese Form der toxischen Unternehmenskultur ließ viele Beschäftigte bei Hagenbeck die Kündigung einreichen. Auch im Gespräch mit Streikenden kommt das schlechte Betriebsklima zur Sprache. Dirk Johne, stellvertretender Regionalleiter der IG BAU Nord, sagt: »Seitdem Albrecht das Zepter in der Hand hat, ist viel vom betrieblichen Klima kaputt gegangen.«

Schon während Corona fing es im Betrieb an zu brodeln, einige Mitarbeiter*innen wurden während der Pandemie gekündigt. Da merkten viele, dass ihre Arbeitsplätze nicht sicher sind. Deshalb gab es damals schon einzelne Streiktage für einen Haustarif, etwa am 3. August dieses Jahres. Besonders an dem gegenwärtigen Ausstand ist, dass er unbefristet ausgerufen wurde. Dass die Beschäftigen den Druck derart erhöht haben, hat auch mit der fehlenden Verhandlungsbereitschaft durch die Arbeitgeber*innenseite zu tun.

Gewerkschafter Johne ist oft als Streikleiter am weißen Pavillon vor dem Tierpark, dem Streikposten der Beschäftigten. »Es gibt eine grundsätzliche Ablehnung der Gewerkschaft in der Führungsebene«, so beschreibt er die Stimmung, die ihm im Unternehmen entgegenschlägt. »Das betrifft nicht nur Albrecht, sondern auch die Gesellschafter.« Diese Gesellschafter sind die Vertreter der beiden Zweige der Familie Hagenbeck, Weiling-Hagenbeck und Hering-Hagenbeck. Es ist wohl mehr als schlechter Führungsstil, dass die Geschäftsführung seit einigen Jahren Angriffe auf den Betriebsrat fährt. Vielmehr übt sie sich in Union Busting. Auch unter den Streikenden gehen viele davon aus, dass die Verantwortlichen die Gewerkschaft partout nicht im Haus haben wollen.

Kampf um die Öffentlichkeit

Der Streik ist auch ein Kampf um die Öffentlichkeit. Kurz bevor die Beschäftigten die Arbeit niederlegten, drohte die Geschäftsführung damit, Strafanzeige gegen sie zu stellen, weil durch den Ausstand angeblich das Tierwohl in Gefahr sei. Sie berief sich dabei sogar auf die Amtstierärztin des Bezirks Eimsbüttel, in dem der Tierpark liegt. Die Lösung war die Einrichtung einer Notversorgung durch die streikenden Tierpfleger*innen. Jedoch hat sich die Geschäftsführung bis heute nicht an der Planung der Notversorgung beteiligt, wie auch Beschäftigte am Streikposten erzählen. In der Antwort des Senats der Stadt Hamburg auf eine parlamentarischen Anfrage der Linkspartei war zu lesen, dass es zu keinem Zeitpunkt einen konkreten Hinweis gab, dem zufolge das Tierwohl tatsächlich durch den Streik gefährdet sei.

Öffentlich ist der Konflikt auch, weil der Tierpark Hagenbeck Teil des Hamburger Stadtmarketings ist. Er soll Tourist*innen in die Stadt locken, und das mit tatkräftiger Unterstützung des öffentlichen Tourismusmanagements, trotz der wenig aufgearbeiteten Geschichte des Zoos. Claus Hagenbeck gründete 1907 den heutigen Tierpark. Finanziert hatte er die Eröffnung durch sogenannte Völkerschauen. Hagenbeck gilt bis heute als der größte privat betriebene Zoo in der Bundesrepublik.

Um Öffentlichkeit im Sinne der Streikenden zu schaffen, ist auch die Linkspartei vor Ort. Ihre Mitglieder verteilen Flyer an die Besucher*innen des Tierparks. Die Sprecherin der Partei im Bezirk Eimsbüttel, Heike Faust-Benecke, sagt gegenüber ak: »Ein Betrieb, der auch gelegentlich staatliche Mittel in Anspruch nimmt, vielleicht nicht als dauerhafte Förderung, aber immer mal wieder sporadisch für Projekte, sollte erst recht einen Tarifvertrag haben.« Tatsächlich hat die Hamburger Kulturbehörde 2006 und 2009 für den Bau der Tourist*innenattraktionen Eismeer und Tropen-Aquarium finanzielle Unterstützung an Hagenbeck gezahlt.

Das stärkste Druckmittel der Beschäftigten durch den Streik wäre eine vorübergehende Schließung des Tierparks. Das scheiterte bis zuletzt jedoch an der notwendigen Beteiligung. Grund dafür ist die Struktur der Belegschaft. »Wir sind nur begrenzt in der Lage, Leute zu aktivieren«, so beschreibt der Gewerkschafter Johne die Situation, »weil die Tierpfleger*innen, die schon personell ausgedünnt sind, für die Notdienste vor Ort bleiben müssen. Zudem haben wir hier befristet Beschäftigte, weil sie nur saisonal angestellt sind. « Bei einer Streikbeteiligung würden die keinen neuen Vertrag bekommen, meint Johne. Das Geschäft des Tierparks lebt von den Sommermonaten. Die kurzzeitigen Verträge spielen der Geschäftsführung in die Hände. Da ist es auch nicht verwunderlich, dass von Anfang an eine Streikbrecherprämie von ihr ausgeschrieben wurde.

Zwar fehlt den Streikenden ein starkes Druckmittel, aber ihre Forderungen sollen eigentlich nur den Normalzustand anderer Großbetriebe in Deutschland herstellen. Dafür sind sie auch auf Öffentlichkeit angewiesen. Nur die konservative Lokalzeitung »Hamburger Abendblatt« bezeichnete den Streik am ersten Tag schon als Flop. Vertreter*innen der regierenden Grünen und der SPD waren schon zu Besuch am Streikposten. Johne von der IG BAU sagt aber, dass die »Zivilgesellschaft von Hamburg mehrheitlich auf unserer Seite ist.« Den Kampf um die Öffentlichkeit haben die Streikenden wohl schon gewonnen. Ob das gegen einen Arbeitgeber hilft, der auch zu unlauteren Mitteln greift, wird sich zeigen.

Johannes Tesfai

ist Redakteur bei ak.