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|ak 673 | Soziale Kämpfe

Silberrücken mit Blessuren

Die wochenlangen Streiks bei Gorillas schlagen aufs Image des Lieferdienstes – juckt das auch die Investor*innen?

Von Till Meerpohl

Wer kennt's nicht, dass man mitten in der Nacht wegen einer Tomate eine*n Fahradkurier*in ruft. Foto: Till Meerpohl

Niemand. Wirklich niemand. Obergorilla Kağan Sümer: Wir sind eine harmonische Gorillas-Family«, könnte auch auf einem der gigantischen Werbeplakate des Lieferdienstes Gorillas stehen, an denen es in keiner großen Stadt in Deutschland ein Vorbeikommen gibt. Während die Belegschaft des Berliner Start-ups seit Wochen auf die Barrikaden geht und sogar Filialen kurzfristig geschlossen werden mussten, stellt sich die Frage, wie groß der Imageschaden und die Verunsicherung der Investor*innen durch den Arbeitskampf tatsächlich ist. Dazu lohnt es sich, zunächst einen Blick auf den sogenannten »Instant-Delivery-Markt«, also die Branche von Gorillas und Co., zu werfen.

Im Himmel ist kein Platz mehr für uns zwei

Die Märkte, auf denen diese neuartigen digitalen Geschäftsmodelle entstehen, sind von einer unvorstellbaren Geschwindigkeit geprägt. Finanzexpert*innen rechnen damit, dass auf dem »Instant-Delivery-Markt« innerhalb des nächsten Jahres konsolidiert wird. Konsolidierung meint in diesem Zusammenhang: Aufkaufen, monopolisieren und Alleinanbieter auf dem Markt werden. Erst dann schreiben die durch Hochrisikokapital finanzierten Unternehmen in der Regel schwarze Zahlen. Doch wo Hochrisiko draufsteht, profitiert das Kapital auch, wenn es zu den vermeintlichen Verlierern gehört. Der vergleichende Blick in die ähnlich strukturierte Branche der Restaurantlieferdienste zeigt, wie aus Konkurrentinnen Töchter und aus dem hochriskanten Geschäft eine Wohlfühloase für Investor*innen wird.  Firmen wie pizza.de, Lieferheld, Foodora oder Deliveroo gehören inzwischen alle dem niederländischen Konzern Just Eat Takeaway. Sie alle kämpften mit teils harten Bandagen um die Vormachtstellung in der Lieferdienstbranche. Hackerangriffe auf die Konkurrenz gehörten ebenso zu den gängigen Methoden wie das Bekämpfen von Betriebsräten und das Festhalten an schlechten Arbeitsbedingungen. Doch all das dient zunächst nicht der Realisierung von unmittelbaren Gewinnen, sondern der Ausweitung des Angebots und der Bindung immer größerer Kund*innenkreise. Es werden gigantische Werbebudgets verwendet und mit Gutscheinen für Neukund*innen das Kapital der Investoren zunächst unprofitabel verschleudert. Denn allen Beteiligten ist klar, dass sich das Betreiben einer solchen Plattform nur lohnt, wenn die Konkurrenz geschluckt oder ausgeschaltet wurde. Zu hoch sind die Kosten der Kurier*innen und zu niedrig die Margen durch die hohe Konkurrenz.

Die Strategie von Gorillas dürfte ähnlich aussehen. Es wird ein Geschäftsmodell aus den USA (gopuff) oder der Türkei (getir) kopiert und versucht, möglichst schnell der größte Player auf dem Markt zu werden. Im Fall des Scheiterns spekuliert man auf die Übernahme. Die Konkurrenz dafür ist bereits jetzt zahlreich. In Deutschland gilt der Markt inzwischen als so umkämpft, dass Investoren in neokolonialer Manier die internationalen Schwellenmärkte ins Auge fassen. So gründete der deutsche Investor Ralf Wenzel einen Gorillas-Klon mit Sitz in Luxemburg, der bereits jetzt in Mexiko, Peru und Brasilien aktiv ist. Hierzulande gilt Flink als größter Konkurrent von Gorillas. Die beiden Konzerne arbeiten mit sehr ähnlichen Konzepten und bekommen aktuell Konkurrenz vom, in der Türkei bereits seit 2015 bestehenden, Lieferdienst getir. Daneben gibt es Lieferdienste wie REWE oder picnic, die sich eher auf Großeinkäufe statt auf schnelle Lieferzeiten spezialisiert haben. Die Differenzierungen nehmen damit allerdings noch kein Ende. Ein Anbieter aus Tschechien kommt nun noch mit grünem Anstrich hinzu. München ist der erste Standort in Deutschland, den der Lieferant knuspr mit teilweise biologischen und regionalen Produkten überzeugen will. Doch selbst wenn die Bewertungen der Firmenwerte bei teilweise fast neun Milliarden US-Dollar liegt, wie im Fall von gopuff aus den USA, wirft keiner der Lieferdienste Gewinne ab. Deshalb setzen die Unternehmen auf aggressive Konkurrenz und das Entdecken neuer Einnahmequellen. Am wichtigsten dürfte hier das Schalten von Werbung und die Platzierung von Produkten auf den Plattformen werden. Wie Supermärkte könnten sie sich dafür bezahlen lassen, Konkurrenzprodukte mancher Hersteller*innen nicht ins Sortiment aufzunehmen, oder Produkte in den Katalog aufzunehmen. Gopuff berichtet, dass einige Hersteller*innen ihre Umsätze auf der Plattform durch Werbung verzehnfachen konnten. Sehr wahrscheinlich werden die übrigen Konkurrent*innen sehr bald auf ähnliche Weise versuchen, ihre Umsätze zu steigern.

Die Streiks der Rider bewirken einen Bruch mit den pseudo-flauschigen Selbstdarstellungen.

Bei dieser angespannten Lage wird es für Gorillas kein Selbstläufer werden, sich zu behaupten. Eine streikende Belegschaft und neue Betriebsräte stellen eine Verringerung des Marktwertes dar, und für Investor*innen wird es unattraktiver zu investieren. Für die Streikenden ist das gut und schlecht zugleich. Auf der einen Seite ist dem Konzern nicht daran gelegen, den Streikenden über symbolpolitische Geschenke hinaus entgegenzukommen, um seinen Marktwert nicht zu verringern. Unruhe und Streiks führen aber zum gleichen Ergebnis, weshalb ein gewisses Entgegenkommen notwendig ist, um weitere Eskalationen zu vermeiden. Es verwundert also wenig, dass Firmengründer Kağan Sümer zunächst alles daransetzte, die aufkommenden Konflikte herunterzukochen, auch wenn der Erfolg dabei nicht sonderlich groß ist. Die Streiks bei Gorillas erhielten bundesweite Aufmerksamkeit, und schließlich sah sich der Arbeitsminister Hubertus Heil persönlich dazu gezwungen, schlichtend in den Konflikt um einen gekündigten Fahrer einzugreifen. Er empfahl dem Unternehmen die Gründung eines Betriebsrats. Dem kommt Gorillas zumindest auf dem Papier auch nach. Auf ihrer Web­site veröffentlichen sie ein Schreiben, in dem sie behaupteten, eine solche Wahl zu befürworten. Nach anderen Berichten versuchten aber Mitglieder des Managements, diverse Rider von der Wahl des Wahlvorstandes abzuhalten, indem sie sie beispielsweise zeitgleich in Biergärten einluden.                                                                                                            

Der Chef, dein Freund und Kollege

Dabei inszeniert sich Gorillas, wie sich eben ein Berliner Start-up inszeniert: Alle sind hier Freunde und was vor allem zählt ist die Gemeinschaft. Der Stoff dieser Geschichte wird aus der Kindheit des Gründers Sümer entsponnen. Seine Mutter habe für ihre Einkäufe nur über die Straße zum nächsten Kiosk rufen müssen und ihr seien ihre Einkäufe innerhalb von zehn Minuten in die Wohnung gebracht worden. Immer wieder tischt Sümer dieselben Storys auf und versucht so den Kitt anzurühren, der den Interessenkonflikt mit seiner Belegschaft überkleistern soll. »Ich möchte, dass die Fahrradkuriere anders wahrgenommen werden. Mir geht es um eine Gemeinschaft. Deshalb spielen wir DJ-Sets in den Lagerstandorten, und wir werden im Foyer der künftigen Firmenzentrale Kunst der Fahrer ausstellen«, sagte Sümer gegenüber dem Handelsblatt. Zu diesem Bild passt es auch, dass sich der Firmengründer als mitarbeitender Anpacker inszeniert. So lanciert er, dass er jeden neuen Standort selbst Probe fahre, um zu prüfen, ob die Lieferzeiten auch wirklich realisierbar seien. Die Geschichte von Kağan Sümer als »Self-made-man« ist eine Einlull-Geschichte in Dauerschleife: Sümer, wie er einst das Vorläuferunternehmen von Gorillas mit selbstgedruckten Flyern und einer kleinen WhatsApp-Gruppe aufbaute; Sümer, wie er Investor*innen warten ließ, um noch schnell Bestellungen auszuliefern, damit kein Kunde warten müsse. Da passt es ins Bild, dass es von vielen Investor*innen heißt, dass sie gar nicht an die Geschäftsidee, sondern vielmehr an die Person geglaubt hätten, als sie begannen, in Gorillas zu investieren.

Die Streiks der Rider bewirken einen Bruch mit den pseudo-flauschigen Selbstdarstellungen. Von einer sorgenden Gemeinschaft kann keine Rede sein, wenn Angestellte bei Eis und Schnee auf die Straße geschickt werden, bis sie sich nach zahlreichen Unfällen weigern, weiterhin auszuliefern. Und in welcher »Family« wird auf lange Probezeiten gepocht, um unliebsame Mitglieder der »Community« möglichst einfach zu entlassen? Die Rider können hier ihre diskursive Machtressource in Stellung bringen. Und bei all dem Aufwand, der betrieben wurde, um die Geschichten von Community und Integrität aufzubauen, um Investor*innen zu begeistern, dürfte es den Silberrücken-Gorilla Sümer wirklich schmerzen, dass diese Außendarstellung in sich zusammenbricht – am Ende auch mit finanziellen Folgen.

Till Meerpohl

lebt in Hamburg, studiert und arbeitet dort an der Uni. Er streitet mit seinen Kolleg*innen für einen TV Stud.