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Hart gegen Ökoproteste

Die aserbaidschanische Regierung ist autoritär im Innern und macht gute Geschäfte mit der Europäischen Union

Von Rovshana Orujova

Ein Stau, dahinter ein Hochhaus mit riesiger Fahne, mit den Farben Grün, Rot, Hellblau, daneben eine Statur mit einem Mann, der ein Schwert hält.
Eine riesige Nationalfahne in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku während des Krieges 2020. Foto: Aykhan Zayedzadeh / Wikimedia, CC BY-SA 4.0

Seit dem 20. Juni 2023 protestieren die Dorfbewohner*innen von Söyüdlü im Westen Aserbaidschans gegen die Politik des Regimes, das für drastische Umweltprobleme verantwortlich ist. Die Firma Azerbaijan International Mining Company (AIMC) zusammen mit Anglo Asian Mining plant den Bau eines zweiten Sees im Dorf, in dem schädliche chemische Abfälle wie Zyanidsäure entsorgt werden sollen. Diese Substanz wird bei der Goldgewinnung verwendet. Die Dorfbewohner*innen können in dieser giftigen Umgebung nicht mehr leben. Durch den Goldabbau wurde ihre Trinkwasserquelle durch Zynaidsäure vergiftet, die Luft verschmutzt, und ihre Schafsweiden sind vertrocknet. Infolgedessen starben unzählige Menschen.

Die Proteste werden vor allem von Frauen des Dorfes organisiert. Auf Videoaufnahmen vom ersten Tag des Protests sind die harten Reaktionen der aserbaidschanischen Staatsgewalt zu sehen. Frauen werden mit Pfefferspray besprüht, Polizist*innen schlagen Menschen und setzen Gummigeschosse ein. Zahlreiche Protestierende wurden durch Polizeigewalt schwer verletzt und etliche Dorfbewohner*innen festgenommen. Viele Festnahmen glichen einer Entführung am helllichten Tag. Bis heute ist unbekannt, wo die entführten Menschen festgehalten werden. Das Dorf ist weiterhin von der Polizei abgeriegelt.

Im Parlament herrscht Einigkeit darüber, dass der Aufstand in Söyüdlü von ›ausländischen Kräften‹ organisiert wurde.

Die Proteste und die Repression sind zum Thema in der aserbaidschanischen Öffentlichkeit geworden. Viele Menschen verfolgten die Ereignisse in den sozialen Medien unter dem Hashtag #söyüdlü und bekundeten ihre Solidarität mit dem Aufstand. Journalist*innen und Aktivist*innen äußerten ebenfalls ihre Kritik an den repressiven Maßnahmen der Regierung in den sozialen Medien. Einige von ihnen bezahlten ihre kritische Haltung mit einer Festnahme. Alle Betroffenen teilten einen solidarischen Facebook-Post über den Söyüdlü-Aufstands. Einer von ihnen ist der Antikriegsaktivist Giyas Ibrahim. Nach seiner Festnahme wurde er zu 30 Tagen Haft verurteilt. Daraufhin trat er sofort in einen trockenen Hungerstreik.

Ein weiterer Regierungskritiker, Elmir Abbasov, wurde auf der Straße von der Polizei festgenommen, weil er in seinem Facebook-Post die Polizei in Söyüdlü als »unmoralisch« bezeichnet hatte. Darüber hinaus protestierten Feminist*innen am 23. Juni vor der US-Botschaft in Aserbaidschan, indem sie mit einer gemalten Faust am Hals auftraten. Sie wollten einerseits gegen die Unterdrückung der Menschenrechte in Aserbaidschan protestieren und andererseits die Öffentlichkeit auf den Aufstand in Söyüdlü aufmerksam machen. Die Feminist*innen Gulnara Mehdiyeva, Narmin Shahmarzadeh, Sanubar Heydarova und Ulvi Hasanli wurden dafür festgenommen.

Regierungsfreundliche Medien und Parlamentsmitglieder bezeichnen diejenigen, die die Protestierenden von Söyüdlü unterstützen, als »Verräter*innen«. Im Parlament herrscht Einigkeit darüber, dass der Aufstand in Söyüdlü von »ausländischen Kräften« organisiert wurde. Aus Regierungskreisen werden Forderungen laut, jedwede Äußerung über die Proteste in den sozialen Medien zu unterbinden.

Energiediktatur

Nach längerem Warten hat Ilham Alijew, der Präsident Aserbaidschans,  eine Stellungnahme zum Söyüdlü-Aufstand abgegeben. Das ist untypisch, setzt seine Regierung doch meist auf Polizeigewalt, um Konflikte zu befrieden. Die Stellungnahme kann als Erfolg angesehen werden, da das Regime die Proteste als Gefahr einstuft; sonst hätte sich der Präsident nicht geäußert. Er verteidigte das Vorgehen der Polizei mit dem Kommentar: »Die einzige, die sich in Söyüdlü würdevoll verhielt, war die aserbaidschanische Polizei.«

Aserbaidschan ist durch Öl- und Gasreserven sehr reich, allerdings lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Die Menschenrechtslage ist katastrophal, Arbeitslosigkeit ein weitverbreitetes Problem und der Staat korrupt. Alijew folgte seinem Vater in das Amt des Präsidenten und regiert das Land seit 2003 autoritär. Ähnlich wie sein Vater baut er einen Personenkult um sich auf. Dieser Personenkult erreichte 2020 seinen Höhepunkt im Krieg um Karabach/Arzach (Bergkarabach). Die Region ist ein umstrittenes Gebiet, das zwischen Armenien und Aserbaidschan liegt und von Armenier*innen bewohnt wird. Bis Anfang der 1990er Jahre lebten dort auch Menschen aus Aserbaidschan. Alijew nutzt den Krieg, um seine Macht zu erhalten, in dem die Gesellschaft durch nationalistische Propaganda militarisiert wird. Alle Armenier*innen gelten laut der Regierung als »Feinde« des Landes. Nicht nur die Umweltproteste, sondern auch der Krieg zeigen, dass es der Regierung in Aserbaidschan vor allem um wirtschaftliche Interessen geht.

Nach der Waffenstillstandsvereinbarung 2020 versucht Alijew, eine endgültige Entscheidung um Karabach/Arzach zu erzwingen. Einerseits ist die Region ein wichtiger Baustein auf den Handelsrouten zwischen Zentralasien und der EU. Anderseits gilt sie als eines von acht Vertragsgebieten des britischen Unternehmens Anglo Asian Mining, das in Aserbaidschan Bergbau zur  Gold- und Kupfergewinnung betreibt. Jenes Unternehmen, das auch mit der aserbaidschanischen Firma AIMC in Söyüdlü aktiv ist. Durch die russischen Truppen ist der Zugang Karabach/Arzach eingeschränkt. Die aserbaidschanische Regierung will den Zugang deshalb auch aus wirtschaftlichen Interessen erzwingen.

In diesem Zusammenhang nutzt die Regierung die  Blockade des Latschin/Berdsor-Korridors als Druckmittel. Dieser Korridor, die einzige Verbindung zwischen Karabach/Arzach und Armenien, ist seit dem 12. Dezember 2022 durch das aserbaidschanische Regime brutal blockiert. Infolgedessen kam es zu schweren Engpässen bei der Versorgung mit Lebensmitteln und medizinischen Gütern in Karabach/Arzach. Viele sind aufgrund fehlender Lebensmittel und mangelnder medizinischer Versorgung ums Leben gekommen. Eine mögliche Luftbrücke zur Unterstützung der eingeschlossenen Bevölkerung durch die internationale Gemeinschaft verweigert die Regierung in Baku. Am 10. Januar 2023 äußerte Alijew in einem Interview mit einem lokalen Fernsehsender, dass »die in Bergkarabach lebenden Armenier*innen entweder die aserbaidschanische Staatsbürgerschaft annehmen oder sich einen anderen Wohnort suchen müssen.«

Obwohl der Aufstand in Söyüdlü mit großer Härte niedergeschlagen wurde, nutzt die Regierung von Aserbaidschan ökologische Fragen im Konflikt mit Armenien. Das Regime schickte Ökoaktivist*innen einer staatlich gelenkten NGO nach Karabach/Arzach, um dort gegen die sogenannte Ausbeutung von Mineralvorkommen durch Armenien zu protestieren. Auf Bildern sieht man Aktivist*innen mit Schildern auf denen »stop ecoside«, »stop pollution« oder »stop mining« steht. Dem Regime geht es nicht um Ökologie oder Umweltschutz, sondern um kapitalistische Interessen, die ihre Legitimität aus der nationalistisch-militaristischen Staatsideologien gewinnen und gerade dadurch aufrechterhalten werden.

Kaviar-Diplomatie

Alijew möchte das Image seines Landes verbessern, indem er versucht, ein Netzwerk europäischer Politiker*innen zu beeinflussen, auch aus Deutschland. Diese Strategie nennt sich Kaviar-Diplomatie und ist bereits bekannt. Karin Strenz von der CDU zählte zu den Mitgliedern, aber auch Eduard Lintner von der CSU. Strenz war über viele Jahre Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE), die die Einhaltung der Menschenrechte in Ländern wie Aserbaidschan überwachen soll. Interessanterweise zeigte sie großes Interesse am Familien-Clan von Alijew. Seit 2010, als Strenz zum ersten Mal an einer Wahlbeobachtungsmission in Aserbaidschan teilnahm, hat sie häufig Baku besucht und deutsche Geschäftsleute mitgebracht. Im Mai 2015 brachte sie eine Delegation von Abgeordneten nach Baku und organisierte erneut ein Treffen mit Alijew.

Aserbaidschan hat durch Druck und Lobbyarbeit in der PACE erfolgreich verhindert, dass eine Resolution zur Situation politisch Inhaftierter im Land verabschiedet wurde. Zuvor hatte das Land bereits den Berichterstatter behindert und diskreditiert. Alijew beauftragte deutsche Lobbyist*innen, darunter die Firma Line M-Trade von Lintner, dem ehemaligen CSU-Staatssekretär, diese Aufgabe zu übernehmen. Mit Hilfe dieser Firma finanzierte er Reisen von Wahlbeobachter*innen nach Baku. Diese Beobachter*innen hatten wenig an der autoritären Regierung des Landes zu beanstanden. Karin Strenz nahm 2010 an einer solchen Reise teil. Im Jahr 2015 wurde im Europarat die Freilassung politischer Gefangener gefordert. Nur eine deutsche Abgeordnete stimmte dagegen: Karin Strenz.

Nun ist Aserbaidschan ein bedeutender Verbündeter der Europäischen Union und ein strategischer Energiepartner, der Europa mit Erdgas und -öl versorgt. Die EU hat 2022 mehrere Abkommen über grüne Energie sowie Öl- und Gasreserven mit dem autoritär regierten Aserbaidschan unterzeichnet, um ihre Abhängigkeit von Russland nach dem Angriffskrieg gegen die Ukraine als Energielieferant zu verringern. Dabei bezeichnete die EU Aserbaidschan als zuverlässigen Energielieferanten. Das autoritäre Regime in Aserbaidschan kann nur existieren, weil kapitalistisch-demokratische Staaten wie die der EU seine Existenz sichern, während Menschen täglich ums Überleben kämpfen müssen, sei es in Karabach/Arzach oder in Söyüdlü.

Die Blockade des Dorfes Söyüdlü dauert weiterhin an, wobei die Dorfbewohner*innen berichten, dass die Polizei den Zugang seit über einem Monat versperrt hält. Sie geben an, dass Vertreter*innen der Behörden zu ihren Häusern kommen und Druck auf sie ausüben. Gegenwärtig versucht das Alijew-Regime, jede kritische Stimme in Bezug auf den Protest in Söyüdlü zum Schweigen zu bringen.

Rovshana Orujova

studiert Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Orujovas Forschungsfokus liegt auf dem Zusammenhang von Geschlecht und Krieg aus materialistischer Sicht sowie auf gesellschaftspolitischen Analysen des  postsowjetischen Südkaukasus.