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Gegen EU und Bürgermeister

In Athen protestieren Geflüchtete gegen die Räumung des Camps Eleonas

Von Judith Weger

Menschen stellen sich während der Proteste gegen die Schließung des Lagers der Polizei entgegen. Foto: Siyâvash Shahabi

Keine Zwangsumsiedlungen von Migrant*innen für Tourismus und Profit ­­– Rassismus bekämpfen«, steht auf einem Banner vor dem Geflüchtetencamp Eleonas. Es befindet sich im gleichnamigen Athener Außenbezirk, unweit vom Stadtzentrum. Die Regierung der rechts-konservativen Nea Dimokratia möchte gemeinsam mit der Stadt Athen das Camp räumen lassen. Seit über zwei Monaten wehren sich die Bewohner*innen gegen diese Pläne und die damit verbundenen erzwungenen Transfers in andere Camps. Außer Eleonas befinden die sich weit weg von Athen, abgeschottet von der griechischen Gesellschaft und jeglicher Infrastruktur.

Die Gründe der Bewohner*innen, sich gegen die Schließung des Camps zu wehren, liegt vor allem an dessen zentraler Lage. Die Chancen hier eine – wenn auch schlecht bezahlte – Arbeit zu finden, sind deutlich größer, die medizinische Versorgung ist besser, Kinder können zur Schule gehen, und es besteht die Möglichkeit, am städtischen Leben teilzuhaben. Die Angst ist deshalb groß, in ein geschlossenes Camp zurückkehren zu müssen.

Darüber hinaus leben einige Bewohner*innen hier schon seit vielen Jahren und haben so etwas wie ein Zuhause gefunden, nachdem sie über Jahre hinweg auf der Flucht waren und in den Hotspot-Camps zum Beispiel auf Lesbos und Samos leben mussten. Doch noch etwas ist außergewöhnlich in Eleonas: Nicht nur diejenigen, die sich im Asylverfahren befinden, kommen hier unter, sondern auch Menschen ohne gültige Papiere und Aufenthaltserlaubnis wohnen im Camp.

Die Schließung des Camps bedeutet also nicht nur den unfreiwilligen Transfer und die massive Verschlechterung der Lebensbedingungen vieler, sondern birgt auch die Gefahr von Wohnungslosigkeit und Abschiebung. Das Camp ist für viele das kleinere Übel inmitten einer bedrohlichen Asylpolitik. Eine Perspektive auf würdige Wohn- und Lebensbedingungen kann auch Eleonas als Campstruktur nicht bieten, daher ist eine der Forderungen des Protests die dezentrale Unterbringung in Wohnungen im Stadtgebiet.

Die Schließung des Camps Eleonas reiht sich in die Migrationspolitik der Regierung unter der Nea Dimokratia ein, die Geflüchtete aus den Städten und der griechischen Gesellschaft drängen soll. Schon das ganze Jahr über finden konzentrierte rassistische Polizeikontrollen an migrantisch geprägten Orten statt, und zahlreiche Menschen ohne gültige Papiere werden in Abschiebezentren gebracht.

So schreiben die Bewohner*innen in einem offenen Brief vom 28. Juni 2022, der sich an die griechische Regierung, die Stadtverwaltung sowie die Internationale Organisation für Migration (IOM) richtet: »Die griechischen Behörden sehen in uns keine Menschen, die zur Flucht gezwungen sind: Sie sehen in uns ein Problem, das es zu verstecken gilt, indem sie uns den Blicken der griechischen Bürger*innen entziehen und uns in Lagern fernab der Städte, fernab der übrigen Gesellschaft einsperren.«

Das Gelände um Eleonas soll laut Migrationsminister Notis Mitarakis »modernisiert« werden, mit Hilfe von Investor*innen soll ein neues Stadion für den Fußballverein Panathinaikos A. O. gebaut werden. Linke Ultragruppen des Vereins haben sich schon gegen den Stadionbau auf Kosten der Schließung des Camp Eleonas ausgesprochen.

Widerstand im Lager

Bereits für den 21. Juni 2022 waren die ersten Transfers geplant, doch es gelang den Protestierenden, diesen Versuch zu unterbinden: Bis heute konnten sie die endgültige Schließung und viele Umsiedlungen verhindern. Die Protestierenden sind vor allem Bewohner*innen des Camps, aber auch linke Gruppen wie etwa Solidarity with Migrants, eine Nachbarschaftsinitiative aus dem benachbarten Stadtteil Kolonos, das antirassistische Netzwerk KEERFA sowie ehemalige, mittlerweile entlassene Sozialarbeiter*innen, die bis vor kurzem noch im Camp arbeiteten, sind dabei. Das Besondere an den Protesten ist, dass von Anfang an vor allem Frauen aus dem Camp eine tragende Rolle einnahmen, an den Versammlungen und Blockaden nehmen sie meist mit ihren Kindern teil.

Seit dem Beginn der angekündigten Umsiedlungen folgte eine Reihe an Blockaden, Protesten, Demonstrationen und anderen Aktionen – direkt vor dem Camp und andernorts. So fand eine Demonstration zum Migrationsministerium statt, Startpunkt war Eleonas. Doch der Weg ist weit, also entschloss sich der Demonstrationszug spontan, die Metro zu nehmen, und über fünf Stationen hinweg hörte man in den Gängen und Waggons »Eleonas, keine Schließung!« schallen, der immer wieder auftauchende Sprechchor der Proteste. Auch während der Sitzung der Athener Stadtverwaltung versammelten sich die Bewohner*innen, als der Bürgermeister Kostas Bakogiannis und andere politische Entscheidungsträger*innen am 4. Juli über die Zukunft von Eleonas verhandelten.

Das Besondere an den Protesten ist, dass von Anfang an vor allem Frauen aus dem Camp eine tragende Rolle einnahmen, an den Versammlungen und Blockaden nehmen sie meist mit ihren Kindern teil.

Trotz der Proteste blieb die Stadt bei ihrer repressiven Linie und beschloss die Schließung zum 16. August.  Als Reaktion auf die erfolgreich verhinderten Umsiedlungen setzte die Stadt eine neue Campleitung ein: Maria-Dimitra Nioutsikou sollte nun den Beschluss der Stadtverwaltung umsetzen. Viele der Bewohner*innen von Eleonas kennen sie noch aus Samos, wo sie als Campleitung für Menschenrechtsverletzungen im Camp verantwortlich war.

Das Datum der geplanten Schließung wurde nicht zufällig gewählt, denn es fiel genau in die Zeit, in der sich ein großer Teil der Athener Bevölkerung im Urlaub befand. Die Entscheidungsträger*innen hofften offensichtlich darauf, dass die Bewohner*innen so weniger Unterstützung von außen erhalten würden und die Räumung leichter vonstattengehen könnte. Die Unterstützer*innen waren jedoch weiterhin – wenn auch in geringerer Anzahl – gemeinsam mit den Bewohner*innen ab den frühen Morgenstunden vor den Toren des Camps präsent und konnten so erneut die geplante Räumung verhindern.

In der Nacht vom 19. August eskalierte die Lage jedoch, die Campmanagerin zog die Bereitschaftspolizei (MAT) sowie das Spezialkommando der Polizei (OPKE) hinzu, sechs Unterstützer*innen wurden verhaftet, zahlreiche Menschen verletzt, darunter auch schwangere Frauen und Kinder. Videoaufnahmen zeigen, wie die Polizei gewaltsam mit Schildern, Knüppeln und Tränengas in das Camp eindringt. Während sich die Protestierenden noch von diesen Ereignissen erholen müssen, ist der nächste Transfer bereits angekündigt.

Tödlicher Druck

In den frühen Morgenstunden des 31. Augusts kommt es zu einem tödlichen Vorfall: Der 52-jährige Pakistaner Waris Ali stirbt an einem Herzinfarkt. Schon Stunden vorher klagt er über Schmerzen in der Brust und im linken Arm, seine Frau informiert aufgrund fehlendem medizinischen Personals im Camp die Security und fordert, dass ein Krankenwagen gerufen wird. Trotz der Ankündigung, dass dieser erst in zwei Stunden kommen würde, unternehmen das Sicherheitspersonal oder die anwesende Campleitung Nioutsikou nichts. Der Rettungswagen kommt schließlich erst als Waris Ali schon tot ist.

Das Groteske an Alis Tod: Der Krankenwagen braucht über zwei Stunden, die Einheiten der Bereitschaftspolizei erscheinen jedoch, kurz nachdem Campleitung sie anfordert. Für sie ist die Durchsetzung des Transfers wichtiger als der lebensbedrohliche Zustand von einem der Campbewohner*innen. Als Alis Frau kurz darauf seinen Tod auf dem Polizeirevier bestätigen muss, wird ihr die Abschiebung mitsamt ihrer drei Kinder nach Pakistan angedroht. Nur aufgrund der Begleitung durch eine Sozialarbeiterin kann die Abschiebung noch abgewendet werden.

Seine Familie, die Campbewohner*innen sowie unterstützende Gruppen wie Solidarity with Migrants sehen den Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis sowie Campmanagerin Nioutsikou für den Tod in der Verantwortung: Denn neben dem enormen Stress, die die anstehende Umsiedlung und die Angst vor der Abschiebung auf die Bewohner*innen verursachen, wurde schon Wochen zuvor Sozialarbeiter*innen und dem Gesundheitspersonal gekündigt, um die Situation im Camp möglichst unangenehm zu gestalten und den Druck auf die Bewohner*innen zu erhöhen, sich »freiwillig« umsiedeln zu lassen.

Da die Schließung von Eleonas nicht so leicht wie geplant durchgesetzt werden konnte, wendet die Campleitung nun eine verstärkte Taktik der Einschüchterung und Erpressung an. So bekommen die Bewohner*innen mit der Nachricht über den anstehenden Transfer auch den Hinweis, sollten sie nicht kooperieren, würden ihre Asylverfahren geschlossen werden. Solle der Asylantrag weiterbearbeitet werden, müssten sie in das entsprechende Camp umziehen, in dem die Akte liege.

Je nach Schätzung verweilen immer noch zwischen 400 und 600 Bewohner*innen in Eleonas und verweigern ihre Umsiedlung. Sie kämpfen mit großem Durchhaltevermögen gegen das Migrationsregime Griechenlands und der EU und bilden in einem System, das auf Abschottung und Isolation setzt, Bündnisse mit Unterstützer*innen.

Judith Weger

ist Soziologin. Als freie Journalistin schreibt sie außerdem zu Griechenland.