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Fröhlich für die Vielfalt

In Hanau entsteht ein Konflikt um das Wo und Wie des Mahnmals für den rassistischen Anschlag

Der Entwurf »Bruchstücke« von Matthias Braun soll den Betrachtenden zeigen, dass auch sie hätten Betroffen sein können. Dabei ist völlig klar, dass eben nicht irgendwelche blonden Personen waren, die mit dem Anschlag in Hanau gemeint waren. Foto: Gözde Saçıak

Zwei Jahre nach dem rassistischen Anschlag in Hanau soll das zentrale Mahnmal der Stadt Hanau stehen. Anfang September bot sich der Öffentlichkeit erstmals die Möglichkeit, die fünf noch zur Wahl stehenden Modelle zu sehen. Beim Betrachten bekommt man den Eindruck, Rassismus hätte es weder vor noch seit dem Anschlag gegeben.

Matthias Braun hat spiegelnde Flächen in sein Modell »Bruchstücke« eingebaut, um die Betrachter*innen zu dem Gedanken anzuregen, dass auch sie Opfer des Anschlags hätten werden können. Als wolle er die Absurdität dieser Behauptung verdeutlichen, hat Matthias Braun in seinem Modell zwei kleine, blonde Figuren vor die Spiegelflächen gestellt. Genau diese beiden hätten keine Opfer eines rassistischen Anschlags werden können. Dazu passt sein Konzept, dass die Hanauer Gesellschaft vor dem Anschlag eine ungetrübte, ungebrochene Einheit gewesen sei, die erst durch den Anschlag in »Bruchstücke« geschlagen wurde. Wie das beispielsweise zu der rassistischen Vertreibung einer Rom*nja-Familie 2017 und 2018 in Hanau passt, bleibt dabei natürlich offen.

Heiko Hünnerkopfs Modell »Einschnitt« stellt zwar die Namen der Opfer in den Mittelpunkt. Doch, wenn man ihm zuhört und seine Präsentation betrachtet, stellt man fest, dass er sich dabei nicht etwa auf die Forderung der Angehörigen »Say Their Names« bezieht, sondern stattdessen auf ein Zitat von Thomas Mann. Rassismus erwähnt er im Konzept kein einziges Mal.

Auch in Stephan Quappe Steffens Modell »9« wurden glatte spiegelnde Oberflächen gewählt, um Betrachter*innen zu suggerieren, dass der Anschlag auch sie hätte treffen können. Besonders irritierend ist die fröhliche Gestaltung seines Entwurfs. In Interviews erklärt er diese stehe für die »Lebendigkeit und Vielfalt“«. Inwiefern das zu einem rassistischen Anschlag passt, bleibt er in seinen Antworten schuldig. Rassismus erwähnt auch er nicht.

Damit fügt er sich perfekt in diese Gruppe von Künstler*innen, die alle lieber über Vielfalt reden anstatt über Rassismus, so besonders deutlich Carla Mauschs Werk »Der Vielfalt«. Sie möchte in der gesamten Stadt neun Stelen aufstellen, auf denen Begriffe wie »Vielfalt«, »Demokratie« oder »Varietate« stehen.

Rassismus nicht verstanden

Dass dieses Mahnmal jedoch nicht anlasslos für die Vielfalt oder Demokratie Hanaus errichtet wird, sondern mahnend an einen rassistischen Anschlag erinnern soll, bei dem neun Menschen ermordet wurden, rückt dabei in den Hintergrund. Genauso wie der Fakt, dass er in einer langen Reihe antisemitischer, rassistischer und rechtsterroristischer Gewalt in diesem Land steht. Die Fragen danach, wie dieser Anschlag überhaupt passieren konnte und welche Verantwortung die Behörden, aber auch wir alle dafür tragen – all das blenden die Kunstwerke aus. Durch das Gerede über Vielfalt, kann man dann auch übersehen, dass die Angehörigen und Überlebenden noch immer für eine lückenlose Aufklärung der Tat kämpfen. Wie könnte angesichts dieser Vergangenheit und Gegenwart ein buntes Kunstwerk, das fröhlich »die Vielfalt« feiert, der Realität des Anschlags gerecht werden?

Susanne Lorenz ist die Einzige, die mit ihrem Modell überhaupt etwas kritischere Fragen anspricht. Das Modell »WIR« hat Leerstellen und spiegelt, um die Betrachter*innen damit zu konfrontieren, dass sie Teil des Wir sind und als solche (Mit-)Verantwortung für diese Gesellschaft tragen. Sie ist auch die Einzige, die das Wort »Rassismus« überhaupt auf ihren Plakaten erwähnt. Es bleibt jedoch, einmalig erwähnt, ein Zusatz anstatt ein Grundkonzept ihres Entwurfs.

Rassistische Gewalt ist jedoch keine Gewalt wie jede andere. Sie trifft die Opfer in ihrer Identität, spricht ganzen Gruppen das Lebensrecht ab und greift ihre Würde und Sicherheit an. Sie attackiert das Fundament unserer Gesellschaft. Keine*r der fünf Künstler*innen hat ein Verständnis von Rassismus als gesellschaftliche Struktur mit einer bestimmten Geschichte und Gegenwart. Sie scheinen die Tragweite der Tat im Konkreten und Rassismus und Rechtsterrorismus im Allgemeinen nicht zu verstehen. Und so findet sich auch nichts dazu in den Modellen. Keines nimmt die Perspektive der Verstorbenen, Überlebenden, Angehörigen und der Gemeinten ein. Dabei müssen beim Gedenken an rassistische Gewalt allen voran ihre Perspektiven im Mittelpunkt stehen. Es ist das Recht der Angehörigen zu gedenken, wie sie es wollen. Es ist zudem ein klarer Widerspruch gegen den Rassismus, der den Opfern ihre Teilhabe an der Gesellschaft nehmen will.

Es ist das Recht der Angehörigen zu gedenken, wie sie es wollen.

Anfang Oktober sollte die Jury, bestehend aus zwei Angehörigen je Anschlagsopfer, aus dieser schlechten Auswahl ein Modell an die politischen Gremien der Stadt Hanau empfehlen. Bei diesen liegt die endgültige Entscheidung. Bei der Sitzung zeigte sich jedoch, dass die Politiker*innen die zentrale Bedeutung des Gedenkens nicht verstehen. Die Angehörigen sprachen sich für das Modell »Einschnitt« von Heiko Hünnerkopf aus. Dennoch entschied die Stadt auch das Modell »WIR« von Susanne Lorenz weiter im Rennen zu behalten.

Grund ist der Standort des Mahnmals, der besonders umstritten bleibt. Die Angehörigen fordern seit dem ersten Tag ein Gedenken auf dem Marktplatz. Die Politik verhielt sich dazu seither abwiegelnd und uneindeutig. Jetzt heißt es, der Marktplatz sei zu laut oder unangebracht, weil dort bereits ein Denkmal für die Brüder Grimm stehe. Als Alternativen wurden andere Plätze vorgeschlagen, die auch anderweitig genutzt und noch lauter sind. Laut Frankfurter Rundschau überlegen einige Angehörige, sich vom Mahnmalprozess zu distanzieren.

Mahnmale sind zunächst nur Ansammlungen von Material. Ein Gedenken entsteht erst, wenn sie aktiv genutzt werden. Doch gerade das scheint die Stadt Hanau nicht zu wollen. Das Mahnmal soll zwei Jahre nach dem Anschlag einen Schlussstrich unter das Thema setzen, das nur noch bei einer jährlichen Trauerfreier Raum bekommen soll. Die Angehörigen fordern mit einem zentralen Standort die Aufarbeitung des Anschlags dauerhaft auf der Tagesordnung zu behalten. Dieser Konflikt verdeutlicht, wie absurd die Botschaft der Mahnmal-Modelle ist, dass der Anschlag einen »Einschnitt« in ein »WIR« markiere, das ansonsten von fröhlicher Vielfalt und Gemeinsamkeit geprägt sei.

Im November gibt es eine weitere Sitzung, um über den Standort und das Modell zu entscheiden. Dass die Stadt die Bedeutung eines zentralen Gedenkens mit einem Fokus auf Betroffenenperspektiven versteht, ist unwahrscheinlich. Es ist zu hoffen, dass sie einem ausreichend hohen öffentlichen Druck nachgeben müssen.  Solange bleibt abzuwarten, was und wo am 19. Februar 2022 enthüllt wird.

Anmerkung

Die Modelle sind seit dem 5. September auf der Homepage www.hanau-steht-zusammen.de zu sehen.