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|ak 698 | International

Linksbündnis am Ende

Ein Streit um den Nahostkonflikt spaltet das linke Wahlbündnis in Frankreich

Von Thomas Waimer

Ein älterer Mann mit rotem Schal schaut leer. Hinter ihm ein grüner Baum
Jean Luc Mélenchon ist zum Zankapfel des französischen Linksreformismus geworden. Foto: Pierre-Selim/Flickr, CC BY 2.0 DEED

Das französische Wahlbündnis NUPES ist am Ende. Die Parti Socialiste (PS) verkündete bereits ihren Austritt aus der »Nouvelle Union populaire écologique et sociale«, und auch die Kommunistische Partei (PCF) sowie die Grünen deuteten ihr Verlassen an und übten harsche Kritik am Gründer der linkspopulistischen Partei La France Insoumise (LFI), Jean-Luc Mélenchon. Mit PS, PCF und den Grünen verabschieden sich die größten Parteien aus dem Bündnis, das 18 Parteien umfasst. Mélenchon hatte das breite Bündnis zu den französischen Parlamentswahlen vor anderthalb Jahren ins Leben gerufen. Der Chef der PCF, Fabien Roussel, bezeichnete die Arbeit in der NUPES jüngst als »Sackgasse«, während der Chef der Sozialist*innen, Olivier Faure, vor allem die Person des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten angriff, der »nicht mehr derjenige sein kann, der die gesamte Linke und die Umweltbewegung verkörpert«.

Die Auslöser dieser schweren Krise der französischen parlamentarischen Linken waren Äußerungen Mélenchons und der LFI-Fraktion zum Krieg in Nahost. Stein des Anstoßes war insbesondere ein Tweet Mélenchons vom 7. Oktober: »All die entfesselte Gewalt gegen Israel und in Gaza beweist nur eines: Gewalt produziert und reproduziert nur sich selbst. Wir sind entsetzt, und unsere Gedanken und unser Mitgefühl gehen an all die hilflosen Menschen, die Opfer dessen geworden sind. Der Waffenstillstand muss durchgesetzt werden. Frankreich muss sich hierfür mit all seinen politischen und diplomatischen Kräften einsetzen. Das palästinensische und das israelische Volk müssen Seite an Seite leben können. Es gibt eine Lösung: Zwei Staaten gemäß den UN-Resolutionen.« Die Fraktion der LFI bedauerte in einem Communiqué am gleichen Tag die Opfer auf beiden Seiten und ordnete die Gewalttaten der Hamas in »einen Kontext der Intensivierung der israelischen Besatzungspolitik in Gaza, im Westjordanland und in Ost-Jerusalem« ein. Und auch im Parlament machte sich diese Positionierung der LFI und damit die Uneinigkeit der Linken bemerkbar. Als die Präsidentin der Nationalversammlung, Yaël Braun-Pivet, zurückgekehrt von ihrem Israel-Besuch, der Regierung Netanyahu ihre »bedingungslose Unterstützung« zusicherte, waren es die Abgeordneten der linkspopulistischen Fraktion, die geschlossen den Applaus verweigerten.

Angekündigte Spaltung

Es waren in der Folge vor allem die Gleichsetzung von israelischer und palästinensischer Seite und die Aussparung des Begriffs des Terrorismus, die das bürgerliche Lager zum Anlass nahm, die Linke einzukreisen und anzugreifen. Die Folge war eine »beispiellose politische und mediale Hexenjagd auf die LFI«, wie es in der französischen Novemberausgabe der Le Monde Diplomatique heißt. Die Medien der französischen Bourgeoisie nannten Mélenchon und die LFI auf ihren zahlreichen Kanälen unentwegt Antisemit*innen und »Komplizen und Unterstützer der Hamas«, und auch die Premierministerin Elisabeth Borne sah sich veranlasst, dem LFI »versteckten Antisemitismus« vorzuwerfen. Mélenchon beharrte allen Angriffen zum Trotz auf dieser Einordnung der Kriegsparteien. In einem Beitrag auf seinem Blog stellte er dar, dass der Begriff des Terrorismus einen rechtsfreien Krieg eröffne. Stattdessen verwende er »Kriegsverbrechen« oder »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«, da in diesem Falle die Anrufung des Internationalen Strafgerichtshofs möglich sei und er sich derart außerhalb des Kampfes »Gut gegen Böse« stelle, der »einen Zyklus unterschieds- und grenzenloser Vergeltungsmaßnahmen« rechtfertige.

Das Ende des Linksbündnisses kommt jedoch alles andere als überraschend. Bereits seit Anbeginn stand die NUPES auf kaum tragfähigen Füßen und sah sich zugleich ständigen Angriffen von außen ausgesetzt. Kurz nach ihrer Gründung im Frühjahr 2022, die der PS-Vorsitzende Olivier Faure nur gegen erheblichen Widerstand der eigenen Partei durchsetzen konnte, machten sich erste Ängste der Sozialist*innen, Grünen und Kommunist*innen bemerkbar, die sich keiner gemeinsamen linken Fraktion anschließen wollten, die ihnen Mélenchon vorschlug. Sie wollten sich, so die Begründung, ihre ideologische Eigenständigkeit erhalten und im Parlament ihr eigenes Profil bewahren. So blieb die NUPES nur ein Wahlbündnis, die gefallenen einstigen Volksparteien PS und PCF konnten sich politisch, die Grünen finanziell absichern, und der rechtsextreme Rassemblement National wurde stärkste Fraktion in der Nationalversammlung.

Mit den sozialen Unruhen Ende Juni kehrte auch die Unruhe ins Linksbündnis zurück.

Die erste wirkliche Krise erschütterte diese parlamentarische Linke während der großen Protestbewegung gegen die durch die Regierung Macron geplante Rentenreform zu Beginn des Jahres. Während der Debatte über das neue Rentengesetz, das unter anderem das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre erhöhen sollte, nannten Abgeordnete der LFI-Fraktion den verantwortlichen Arbeitsminister Olivier Dussopt einen »Betrüger« und »Mörder« und riefen Parolen der Straße gegen das Absingen der Marseillaise im Parlament. Zudem brachte die LFI-Fraktion gleich zu Beginn 20.500 Änderungsanträge ein, um den Reformprozess zu sabotieren.

Nach der 73 Stunden dauernden Debatte klagte der sozialliberale Arbeitsminister darüber, dass er durch die LFI »fünf Tage beschimpft wurde«. Der ehemalige sozialistische Staatschef François Hollande (PS) schlug sich auf die Seite der Regierung und bejammerte eine »gewaltige Zeitverschwendung«. Doch auch die PCF-nahe Gewerkschaft CGT kritisierte die Linkspopulist*innen für ihre Blockadehaltung, und ihr Chef Philippe Martinez warb für eine »Klarheit der Debatte«. Mélenchon schoss zurück und beschuldigte die linken Abgeordneten, die der Debatte nicht fundamental entgegentraten, sich »den Lektionen guten Benehmens durch die Macronie« zu unterwerfen. Präsident Emmanuel Macron erteilte der französischen Nationalversammlung letztendlich eine Lektion in bürgerlicher Demokratie und verabschiedete die Rentenreform dank Notstandsparagraf 49.3 am Parlament vorbei, um sicherzustellen, dass die Arbeiter*innen in Zukunft dem Kapital länger zur Verfügung stehen.

Mit den sozialen Unruhen Ende Juni kehrte auch die Unruhe ins Linksbündnis zurück. Dieser gewaltige Aufstand gegen das Elend in den Vorstädten, der auf einen rassistischen Mord durch die Polizei antwortete und weder vor Schulen noch Rathäusern Halt machte, sollte, ging es nach der Regierung, alle Parteien zur republikanischen Ordnung ermahnen. Mélenchon verweigerte sich diesem Republikanismus jedoch, zeigte stattdessen Verständnis für den »Aufstand der Armen« und forderte die Verfolgung der Polizeigewalt. (ak 695) Laut Roussel von der PCF gebe es nun zwei Linke, eine Linke der Ordnung und die Linke der LFI, die sich den Rufen nach Recht und Ordnung verweigert. Der Kommunist war damit ganz auf der Linie von Premierministerin Elisabeth Borne und der Tageszeitung Le Monde, die »diese aufständische Linke, die auf Gewalt setzt und diese fördert, um die Regierung zu stürzen«, aus dem republikanischen Lager exkommunizierten.

PCF auf Rechtskurs

Kleinere Konflikte suchten diese wackelige Linke beinahe wöchentlich heim. Mit den neuesten Querelen innerhalb der NUPES ist nun laut dem LFI-Patron jedoch der »Punkt ohne Wiederkehr erreicht«, und er empfiehlt den Abgeordneten eine »umfassende Umgruppierung«. Ob die Partei durch ihre, häufig recht wild und unorganisiert vorgetragene, oppositionelle Standfestigkeit ihre Basis vergrößern und gestärkt aus dem Ende der NUPES hervorgehen kann, ist momentan eher fraglich. Bei den Senatswahlen Mitte September war LFI bereits aus einem linken Wahlbündnis exkludiert und endete deshalb ohne einen einzigen Sitz. Und auch das Verhältnis von Parteibasis und ihrem Gründer ist mehr als unklar und birgt kommende Konflikte. Während hierzulande die Linkspartei von einer Krise zur nächsten wandelt und immer kleiner wird, hält sich mit LFI und ihrem ex-trotzkistischen Chef Jean-Luc Mélenchon immerhin ein linksreformistisches Projekt gegen massiven Widerstand. Auch wenn einige in der Partei vertretene Positionen kritikwürdig sind, versuchen die Linkspopulist*innen Internationalismus und Klassenpolitik nicht gegeneinander auszuspielen.

Anders verhält es sich aufseiten der PCF. Der Vorsitzende Roussel, der bei den Präsidentschaftswahlen 2021 2,3 Prozent der Stimmen erhielt, steht für einen Rechtskurs der Kommunist*innen. Den sozialstaatlichen Etatismus im Programm der LFI bezeichnete er als sowjetische Kolchose, und er trete an, um ein klassenübergreifendes Frankreich der Arbeit zu verteidigen. Dieses sei ebenso »das Frankreich der kleinen Chefs, und auch wenn dies aus dem Munde eines Generalsekretärs der Kommunistischen Partei überraschend klingen mag, will ich mich für sie einsetzen.« Der größte Teil derer, die Roussel vertreten will, ist vorwiegend weiß sowie männlich und sorge sich um nationale Souveränität, Terrorismus und Fundamentalismus, wie er in seinem Buch »Mein Frankreich« schreibt. Parallelen zum Parteiprojekt Wagenknechts sind unverkennbar. Das Ende dieser Bündnisse muss wahrlich nicht betrauert werden.

Thomas Waimer

lebt in Berlin und ist Redakteur des Onlinemagazins Communaut.