Deckel drauf und gut
Linkspartei und linke Bewegung haben jetzt die Chance, den Klassenkampf um die Miete voranzubringen
Von Merle Groneweg

Wohnen und Mieten sind zu einem zentralen Anker klassenpolitischer Mobilisierung geworden – und das aus gutem Grund. Immer mehr Menschen müssen einen immer größeren Anteil ihres Einkommens fürs Wohnen aufbringen oder darum kämpfen, überhaupt noch eine bezahlbare Wohnung zu finden. In Großstädten ist die Lage besonders angespannt; in Berlin hat sich die Höhe der Miete, die beim Abschluss neuer Verträge gefordert wird, innerhalb der letzten zehn Jahre verdoppelt. Doch diese Entwicklung folgt keinem Naturgesetz: »Mieten steigen nicht einfach, sie werden bewusst erhöht«, schreibt der Sozialwissenschaftler Andrej Holm. Jede Mieterhöhung verschärft dabei »die ohnehin bestehende Vermögensumverteilung von unten nach oben«. Denn in Deutschland finanzieren 44 Millionen Menschen mit ihren Mietzahlungen »die Einkünfte, Erträge und Profite von vier Millionen Vermieter*innen«, so Holm in einem Beitrag für die Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Der Klassenkonflikt lässt sich über das Thema Mieten und Wohnen nicht nur erzählen, sondern auch zuspitzen. Die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen (DWE) ist hierfür ein prominentes Beispiel, gelang ihr doch eine der beeindruckendsten Mobilisierungen, die Berliner soziale Bewegungen in den letzten Jahren erlebt haben. 2021 stimmte die Mehrheit der Berliner*innen in einem Volksentscheid für die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne. Seitdem verhindern die zunächst SPD-, nun CDU-geführten Berliner Regierungen dessen Umsetzung.
Der Kampf für die Vergesellschaftung geht zwar weiter, doch auch ein anderes Instrument ist wieder stärker in den Blick gerückt: der Mietendeckel. Das ist auch der Linkspartei zu verdanken, die den Mietendeckel zusammen mit der Vermögenssteuer und der Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel zu ihren zentralen Forderungen im Wahlkampf erhoben hat. Dabei betonten prominente Linkspartei-Politiker*innen stets, dass sie auch nach der Bundestagswahl nicht aufhören werden, über den Mietendeckel zu sprechen – im Gegenteil: Sie möchten eine breite Kampagne lancieren.
Für das Grundrecht auf Wohnen gilt es nun zu kämpfen – und dabei das Zusammenspiel aus Bewegung und Partei geschickt zu nutzen.
An diesem Versprechen gilt es, die Partei jetzt zu messen. Denn die Linke, deren Mitgliederzahl kürzlich die 100.000-Marke überschritt, wird das bei weitem einflussreichste Mitglied jenes Bündnisses aus mehr als 70 Vereinen, Verbänden, Initiativen und Gruppen sein: Mietendeckel Jetzt! Dazu gehören Mietervereine aus Berlin, Bochum, Dortmund und anderen Städten, Initiativen wie DWE und Hamburg Enteignet, aber auch Attac und die Grüne Jugend Berlin. Ein Sprecher der Kampagne erklärte auf Anfrage: »Wir wünschen uns eine Zusammenarbeit mit allen Parteien, die für den Mietendeckel sind. Dazu gehören allen voran Die Linke, aber auch die Grünen.«
Atempause für den Wohnungsmarkt
Zu den zentralen Forderungen der Kampagne gehört ein sofortiges Verbot von Mieterhöhungen in ganz Deutschland für sechs Jahre. Dieser »Mietenstopp« soll den Mieter*innen »erstmal eine Atempause« verschaffen, heißt es auf der Website. Darüber hinaus fordert die Kampagne festgelegte Obergrenzen für Mietpreise, die sich an den ortsüblichen Vergleichsmieten orientieren. Diese Obergrenzen sollen nicht nur für Neuvermietungen gelten, sondern auch für bestehende Mietverträge. Überhöhte Mieten müssten dann also gesenkt werden. So soll der Mietendeckel, der verschiedene Elemente des Miet- und Wirtschaftsstrafrechts kombiniert, für sofortige finanzielle Entlastung sorgen.
In der Vergangenheit erwies sich der Mietendeckel bereits als wirksames Instrument: 2020 beschloss die damalige rot-rot-grüne Koalition in Berlin das »Gesetz zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung«, das von Februar 2020 bis April 2021 in Kraft war. Das Gesetz beinhaltete einen Mietenstopp bzw. die Beschränkung von Mieterhöhungen, Mietenbegrenzungen bei Modernisierungen und bei Wiedervermietungen (dem Abschluss eines neuen Mietvertrages) sowie die Senkung überhöhter Mieten.
Das gefiel natürlich nicht allen: CDU/CSU- und FDP-Bundestagsabgeordnete klagten gegen den Berliner Mietendeckel, da das Land Berlin damit seine Befugnisse überschritten habe. Im Mai 2020 erklärte Marco Buschmann, damals parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion: »Insbesondere weil der Berliner Mietendeckel wirtschaftlich katastrophale Folgen nach sich zieht, sehen wir uns ganz besonders in der Pflicht, ihn vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall zu bringen.« Und das ist gelungen: Das Bundesverfassungsgericht stellte zwar nicht die grundsätzliche Rechtmäßigkeit eines Mietendeckels in Frage, urteilte aber, dass eine solche Maßnahme nicht von einem einzelnen Bundesland beschlossen werden könne, sondern in den Zuständigkeitsbereich des Bundes falle. (ak 670)
Freilich hilft dieses Urteil nicht, wenn sich diejenigen, die die Bundesrepublik regieren, nicht für die Senkung der Mieten zuständig fühlen. Zwar ist unbestritten, dass es zu wenig bezahlbaren Wohnraum gibt, doch die Standardantwort lautet weiterhin: »Bauen, bauen, bauen« – vorzugsweise durch private Immobilienkonzerne. Gleichzeitig verschleppte das von Marco Buschmann geführte Justizministerium in der Ampelkoalition die Verlängerung der Mietpreisbremse. Die Mietpreisbremse legt fest, dass in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt – die als solche von den Bundesländern selbst zu bestimmen sind – die Miethöhe bei Neuvermietungen maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. Nach dem Bruch der Ampelkoalition drohte die Maßnahme zum Ende dieses Jahres auszulaufen. Nach einigem Hin und Her einigten sich CDU und SPD nun in den Sondierungsgesprächen darauf, die Mietpreisbremse um zwei Jahre zu verlängern.
Eine Bremse, die kaum bremst
Die Mietpreisbremse war zunächst für fünf Jahre eingeführt und bereits einmal um fünf Jahre verlängert worden. Ihre Wirksamkeit ist umstritten. So berichtete das ZDF über verschiedene Tricks, die Vermieter*innen nutzten, um die Mietpreisbremse zu umgehen. Ein ARD-Bericht bezeichnete sie als »weitgehend wirkungslos«, auch, weil die Städte kaum prüfen, ob sie eingehalten wird – und ein Verstoß für die Vermieter*innen keine rechtlichen Konsequenzen hätte. Außerdem müssen Mieter*innen die Mietpreisbremse selbst aktiv durchsetzen, was voraussetzt, dass sie überhaupt von ihr wissen, sich nicht vor möglichen Konsequenzen wie einer Eigenbedarfskündigung fürchten und weder den zeitlichen noch finanziellen Aufwand – etwa durch Anwaltskosten – scheuen. Trotzdem gäbe es, würde die Mietpreisbremse wegfallen, »keine mietrechtliche Grenze mehr«, schreibt Andrej Holm. Der Deutsche Mieterbund (DMB) rechnete vor, dass in Frankfurt am Main, Freiburg und München die durchschnittliche Höhe beim Abschließen neuer Verträge ohne Mietpreisbremse jeweils ca. sechs Euro/pro Quadratmeter höher läge.
Dass die Mietpreisbremse nun in zwei Jahren auslaufen könnte, bietet deshalb einen geeigneten Interventionspunkt, um das Thema Wohnen und Mieten wieder in den Vordergrund zu stellen und die Kampagne für einen bundesweiten Mietendeckel mit aller Kraft voranzutreiben. Gleichzeitig können die vergangenen Diskussionen um die Mietpreisbremse helfen, sich gut auf den Gegenwind, den der Mietendeckel erzeugen wird, vorzubereiten.
Denn auch gegen die Mietpreisbremse wurde geklagt. Doch das Bundesverfassungsgericht zweifelte nicht an der Verfassungsmäßigkeit der Mietpreisbremse: 2019 urteilte es, dass der Artikel 14 des Grundgesetzes zwar die Eigentumsfreiheit schütze, ein Eingriff in diese Freiheit jedoch nicht bereits dann vorliege, »wenn aus einem Eigentumsobjekt nicht mehr die höchstmögliche Rendite erzielt werden kann«. Stattdessen gehe die Eingriffsbefugnis der Gesetzgeber*innen »umso weiter (…), je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und in einer sozialen Funktion steht«, erklärt die Rechtswissenschaftlerin Selma Gather auf dem Verfassungsblog.
In ihrer Analyse bezieht sich Gather auf ein liberales Verständnis von Angebot und Nachfrage, das die Preise in anderen Bereichen vermeintlich fair reguliert, und führt aus, warum der Wohnungsmarkt grundsätzlich ein dysfunktionaler ist: »Die Besonderheit der Wohnungsmiete spiegelt sich u.a. darin, dass der ›freie Markt‹ für die Preisbildung tendenziell zu keinen gerechten Lösungen führt. Das liegt maßgeblich daran, dass Boden, und mit ihm Wohnraum, nicht beliebig reproduzierbar ist. Dadurch ist ein idealer Markt – das heißt einer, auf dem ein (annäherndes) Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage besteht – jedenfalls ab dem Moment nicht mehr gegeben, in dem die Nachfrage das Angebot übersteigt. Hinzu kommt, dass die mietende Seite auf die Leistung existenziell angewiesen ist. Diese Umstände führen dazu, dass Vermieter*innen die Preise schier unendlich anheben können.« Auch die Mietendeckel-Jetzt-Kampagne betont auf ihrer Website, dass der Mietendeckel das im Grundgesetz verankerte Eigentumsrecht bewahre, dieses allerdings mit einer Sozialpflicht verknüpfe: »Eigentum soll dem Wohl der Allgemeinheit dienen.« Nicht die Profitmaximierung steht hier im Mittelpunkt, sondern das Grundrecht auf Wohnen.
Partei und Bewegung Hand in Hand?
Für dieses Grundrecht auf Wohnen gilt es nun zu kämpfen und dabei das Zusammenspiel aus parlamentarischer und außenparlamentarischer Opposition, aus Bewegung und Partei geschickt zu nutzen. Wie gelingt es den jeweiligen Akteur*innen des Bündnisses, gemeinsam die größtmögliche Wirkung zu entfalten?
Noch im Wahlkampf konnte die Linkspartei von dieser Zusammenarbeit selbst profitieren: Zahlreiche politisch Bewegte, die sonst eher bei den Plena unterschiedlichster Politgruppen anzutreffen sind, unterstützten die Partei auch als Nicht-Mitglieder. Darin spielte das Szenario des drohenden Untergangs der Linkspartei bei gleichzeitigem Aufstieg der AfD eine große Rolle. Doch anzuerkennen ist auch, dass sich der Haustürwahlkampf als niedrigschwelliges, attraktives Mittel zur Mobilisierung erwiesen hat, sowohl von zuvor politisch nicht aktiven Menschen als auch von alten Bewegungshasen. Denn wer an einer Wohnungstür klingelte, trat unmittelbar mit »der Welt da draußen« in Kontakt, begleitet von dem Gefühl, vielleicht doch etwas bewirken zu können. Die Sehnsucht nach eben diesem Gefühl in politisch düsteren Zeiten teilten auch jene, die bereits seit langem in politischen Gruppen aktiv sind.
Nun fragen sich viele: Kommen die eigentlich auch wieder zurück? Oder, wie es Jan Ole Arps und Nelli Tügel formulierten: »Sollte tatsächlich eine größere Zahl radikale Linker in die Partei rübergemacht haben, stellt sich die Frage nach der politischen Perspektive und Organisierung jenseits der Partei noch einmal anders als bisher.« Eine Möglichkeit »zurückzukommen« bieten die Haustürgespräche, die auch die Mietendeckel-Kampagne in großem Stil führen möchte; ein Leitfaden dafür findet sich bereits auf der Website (mietendeckel-jetzt.org). Gleichzeitig muss sich auch die Linkspartei überlegen, wie sie sich geschickt in ein breites Bündnis einbringen und dort Ressourcen teilen kann, während sie Akteur*innen aus der Bewegung Platz auf den Bühnen gibt und lässt – und ihre Stimmen stärkt, statt sie zu vereinnahmen.