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Dann scheint die Sonn’ ohn’ Unterlass

Anmerkungen zu Marx und Ökologie

Von Silvia Federici

Eine Autobahn an einem sonnigen Küstenabschnitt
»Wir fahr’n fahr’n fahr’n auf der Autobahn. Vor uns liegt ein weites Tal, die Sonne scheint mit Glitzerstrahl«, hieß es schon in Friedrichs Engels’ »Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft«. Foto: Kornelia Kugler

In ihrem kürzlich erschienenen Buch »The Robbery of Nature. Capitalism and the Ecological Rift« befassen sich John Bellamy Foster und Brett Clark mit der heiklen Frage nach Marx’ Naturauffassung. Zu diesem Zweck unterziehen sie all jene Autor*innen einer stringenten Kritik, die Marx beschuldigt haben, einer anthropozentrischen Perspektive zu folgen und den gesellschaftlichen und ökonomischen Fortschritt unter anderem von der »Beherrschung der natürlichen Welt durch den Menschen« abhängig gemacht zu haben.

Durch eine sorgfältige Untersuchung verschiedener marxscher Texte und der von Marx zu ökologischen Fragen konsultierten Literatur gelangen Foster und Clark zu dem Schluss, dass Marx ganz im Unterschied zum Vorwurf seiner Kritiker*innen ein tiefes Verständnis von der Rolle hatte, die der Natur im menschlichen Leben und in der kapitalistischen Entwicklung zukommt. Er habe die Natur als unseren »unorganischen Leib« verstanden und im Aufbau des Sozialismus die Möglichkeit gesehen, den vom Kapitalismus erzeugten »Riss im Stoffwechsel« aufzuheben, der die Regenerationsfähigkeit der Natur und damit die physischen Grundlagen und Bedingungen unserer Existenz zerstöre.

Natur und Kapitalismus bei Marx

Völlig zu Recht weisen Foster und Clark darauf hin, dass Marx die Zentralität der Natur für die Reproduktion unseres Lebens und die kapitalistische Akkumulation erkannte. Er wies zum Beispiel (in seiner Polemik gegen die Physiokraten) die Vorstellung zurück, dass die kapitalistische Produktion als einzige Quelle des Reichtums betrachtet werden sollte, und bestand darauf, dass die Natur für jede Form der Produktion unverzichtbar sei. Die Natur stelle das Substrat der Produktion zur Verfügung: »Die Erde ist das große Laboratorium, das Arsenal, das sowohl das Arbeitsmittel wie das Arbeitsmaterial liefert (…).« (Grundrisse, MEW 42, S. 384) Und: »Der Mensch kann in seiner Produktion nur verfahren, wie die Natur selbst, d. h. nur die Formen der Stoffe ändern. (…) Arbeit ist also nicht die einzige Quelle der von ihr produzierten Gebrauchswerte, des stofflichen Reichtums. Die Arbeit ist sein Vater, wie William Petty sagt, und die Erde seine Mutter.« (Kapital I, MEW 23, S. 57f.)

Auch hat Marx viele der Probleme vorhergesehen und angeprangert, die heute im Mittelpunkt ökologischer Debatten und Organisierungen stehen – angefangen bei der fehlenden Nachhaltigkeit der kapitalistischen Landwirtschaft über die ungesunde Trennung von Stadt und Land, die Störung des notwendigen Zusammenhangs zwischen biologischen und ökologischen Prozessen, der die Garantie für unsere Reproduktion ist, bis hin zu der daraus folgenden Erschöpfung des Bodens. Er sah auch, dass es natürliche Grenzen für die kapitalistische Entwicklung gibt, die nach seinen Worten neben anderen Faktoren wie dem »Einfluss der Jahreszeiten« in der »Erschöpfung von Waldungen, Kohlen- und Eisenbergwerken etc.« bestehen. (Kapital III, MEW 25, S. 270)

In Marx’ Werk – so zeigen Foster und Clark – finden wir sogar eine frühe Verurteilung der kapitalistischen Misshandlung von Tieren. Foster und Clark verweisen auf den historisch spezifischen Charakter von Marx’ Sicht auf die Mensch-Tier-Beziehung und sein Bewusstsein von der Art und Weise, wie sie zu seiner Zeit umgestaltet wurde. Er kommentierte zum Beispiel den Trend, die Zeit bis zur Schlachtreife der Tiere zu verkürzen, und die Entscheidung, ihre Körper in reines Fleisch zu verwandeln, sodass sie über das hinaus gemästet wurden, was ihre Knochen aushalten konnten (1) – eine Grenze, die heute von einer Fleischindustrie weit überschritten wird, die dem Leiden der Tiere gegenüber so gleichgültig ist, dass viele Tiere von der Geburt bis zur Schlachtung nie auf ihren eigenen Beinen gestanden haben und deren Knochen bei ihrer Ankunft im Schlachthaus oftmals brechen, weil sie das Gewicht des unnatürlichen, aber gewinnbringenden Fetts nicht tragen können.

Marx habe also, folgern Foster und Clark, den kapitalistischen Krieg gegen die Natur gesehen, ihn angeprangert und auf den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft als notwendige Alternative zu ihm hingewiesen. Somit biete sein Werk eine solide Grundlage für eine ökologische Perspektive. Wie bereits erwähnt, spricht vieles für diese Behauptung, die sich in der Tat auf einen Großteil der Schriften von Marx stützen kann. (2)

Die historische Mission des Kapitals

Einige wichtige Aspekte von Marx’ Kritik der politischen Ökonomie stehen jedoch im Gegensatz zu einer Perspektive, die wir heute als eine solide ökologische bezeichnen würden. Drei Annahmen von Marx sind unvereinbar mit einer ökologischen Haltung und besonders problematisch für uns, die wir sie vor dem Hintergrund von 150 weiteren Jahren kapitalistischer Verwüstung der Erde zu bewerten haben.

Die erste ist sein Beharren auf der Bedeutung des Kapitalismus als einer notwendigen historischen Entwicklungsstufe, deren »historische Mission« die »Entwicklung der Produktivkräfte« sei, in denen Marx eine Vorbedingung für die Eröffnung eines revolutionären Prozesses und den Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft sah. (3) Dies ist zweifellos einer der problematischsten Aspekte von Marx’ Werk, denn es ist schwer zu verstehen, wie jemand, der über »das Geheimnis der ursprünglichen Akkumulation« geschrieben und den Schrecken der Industriearbeit geschildert hat, zugleich in der kapitalistischen Entwicklung einen Weg zu einer besseren Welt sehen konnte. Es ist auch bemerkenswert, dass Marx nie die Frage gestellt hat, ob dabei nicht unwiederbringliche Verluste entstehen, wie der Verlust von Wissen, das im Laufe von Jahrtausenden akkumuliert worden ist. Ich werde später auf diese Frage zurückkommen.

An dieser Stelle möchte ich hinzufügen, dass auch umstritten ist, was Marx mit der »Entwicklung der Produktivkräfte« meinte. Eine gängige Annahme ist, dass er sich auf die Entwicklung der Produktionsmittel und insbesondere auf das Erreichen eines hohen Niveaus an wissenschaftlichem und technischem Knowhow bezog. Entsprechend hat dieser Aspekt der marxschen Theorie einige Kritik hervorgerufen, da er eine direkte Beziehung zwischen technologischer und moralisch-politischer Entwicklung zu postulieren scheint. Marxistische Autonomist*innen wie Antonio Negri haben jedoch eingewandt, dass wir unter »Produktivkräften« nicht Maschinen, sondern die Fähigkeiten und das Wissen der Arbeiter*innen verstehen sollten, wie sie in den »Grundrissen« unter der Kategorie des »general intellect« dargestellt werden. (4)

In jedem Fall steht fest, dass Wissenschaft, Technik, Großindustrie und Automatisierung eine Schlüsselrolle in Marx’ Überlegungen zum Kapitalismus in seinem Endstadium spielen. Denken wir nur an die berühmten Seiten in den »Grundrissen«, auf denen Marx eine Zukunft beschreibt, in der die kapitalistische Produktion vollständig automatisiert sein wird und die Arbeiter*innen nur noch als Aufseher*innen der Maschinen fungieren werden. In diesem Stadium, so wird uns gesagt, wäre die notwendige Arbeit der Gesellschaft auf ein Minimum reduziert und mit der dadurch ermöglichten Zunahme der freien Zeit wären die Arbeiter*innen frei, all ihre kreativen und produktiven Kräfte in vollem Umfang zu entwickeln. (5)

An anderer Stelle habe ich diese Vision und den Enthusiasmus, den sie in Teilen der Linken ausgelöst hat, kritisiert und argumentiert, dass es sich bei ihr selbst im Falle ihrer Verwirklichung um eine männliche Utopie handelt, da ein Großteil der Reproduktionsarbeit – und insbesondere die Arbeit der Pflege von Menschen – nicht mechanisiert werden kann. Im vorliegenden Kontext liegt mein Fokus auf den ökologischen Folgen. In einer Welt, in der alle notwendigen Arbeiten von Maschinen verrichtet werden, würde die Erde mit der Zeit veröden, selbst wenn an der Spitze der neuen Gesellschaft nicht profitorientierte Kapitalist*innen, sondern nicht kapitalistische »assoziierte Produzenten« stünden, die sich verpflichtet hätten, »diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell (zu) regeln«. (Kapital III, MEW 25, S. 828) Denn ein umfassender, weltweiter Industrialisierungsprozess würde notwendigerweise die Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen und eine Vergiftung der Erde mit sich bringen.

»Reine Luft, Wasser und Erde«

Wie wir wissen, wurde die große Industriemacht, die Marx so sehr bewunderte, mit Kohle befeuert, und schon zu Marx’ Zeiten wurden in England Stimmen laut, die »reine Luft, Wasser und Erde« forderten. Romantische Schriftsteller*innen wie John Ruskin, die sich gegen die Gefahr der Luftverschmutzung und für die Relevanz der Bäume für die Atmosphäre aussprachen, fanden Worte, die heute prophetisch klingen. In einem seiner »Letters to the Workmen and Labourers of Great Britain« vom Mai 1871 heißt es: »Ihr könnt die Luft durch eure Art, zu leben und zu sterben, in jedem Ausmaß verschmutzen. Ihr könntet sie leicht derart verunreinigen, dass die über den Globus gebrachte Pestilenz euch alle auslöschen würde. (…) überall, und den ganzen Tag lang, verschmutzt ihr sie mit fauligen chemischen Ausdünstungen; und die schrecklichen Nester, die ihr Städte nennt, sind kaum mehr als Laboratorien für die Destillation von giftigem Rauch und Gerüchen gen Himmel. (…) Zweitens ist eure Macht über den Regen und das Wasser der Flüsse dieser Erde unendlich. Ihr könnt den Regen dorthin bringen, wo ihr wollt, indem ihr klug pflanzt und sorgfältig pflegt …, oder ihr könnt weiter handeln wie bisher und jeden Fluss Englands in eine öffentliche Kloake verwandeln.«

Ruskins Prophezeiung hat sich heute vollauf bestätigt. Nicht nur in England, sondern überall auf dem Planeten wurden Flüsse, Seen und Meere in Kloaken verwandelt, in die routinemäßig Chemikalien, Kunststoffe und Millionen Tonnen anderer giftiger Stoffe eingeleitet werden. Anstatt die materiellen Voraussetzungen für eine kommunistische Gesellschaft zu schaffen, zerstören Kapitalismus und Industrialisierung die Erde und stellen sogar das Leben auf dem Planeten infrage. Nichtsdestotrotz haben Marxist*innen schon so lange an die industrielle Entwicklung geglaubt, dass selbst inmitten einer Klimakatastrophe einige von ihnen Wachstum immer noch für notwendig halten – weil sie vermutlich meinen, es würde den Prozess beschleunigen, durch den sich der Kapitalismus sein eigenes Grab schaufelt.

Die Abwertung bäuerlichen Lebens

Problematisch sind außerdem Marx’ Aussagen über die positiven Auswirkungen der Zerstörung des »kleinbäuerlichen Eigentums« und der kapitalistischen Konzentration von Land, die seiner Ansicht nach die Möglichkeit eines fortschrittlicheren, rationalen Systems der landwirtschaftlichen Produktion eröffnen. (6) In Marx’ Augen ist eine Gesellschaft freier unabhängiger Landwirt*innen, die von den Produkten ihrer Arbeit leben, zwangsläufig rückständig. Denn die Mehrheit ihrer Mitglieder müsse in der Landwirtschaft tätig sein, da es an Investitionen in den Boden fehle und die Arbeitsproduktivität folglich gering sein müsse, sodass kein Raum für andere Aktivitäten bliebe. Daher, so deutete er an, sollte die Auflösung dieser Strukturen nicht beklagt werden. Eine von Kleinbäuerinnen und -bauern und Subsistenzfarmer*innen beherrschte Welt würde aus isolierten Individuen bestehen, »eine halb außerhalb der Gesellschaft stehende Klasse von Barbaren (…), die alle Roheit primitiver Gesellschaftsformen mit allen Qualen und aller Misere zivilisierter Länder verbindet«. (Kapital III, MEW 25, S. 821.)

Wie lässt sich eine solch atemberaubende Ablehnung und Abwertung des bäuerlichen Lebens erklären, das vor dem Aufkommen des Kapitalismus die Hauptexistenzform der Mehrheit der Menschen auf unserem Planeten war? Und wie ist sie damit zu vereinbaren, dass Marx den Kapitalismus dafür kritisiert, dass er die Arbeiter*innen in Städten akkumuliert und so den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur zerreißt?

Zum Teil lässt sie sich auf Marx’ soziales und menschliches Ideal zurückführen, das auf die Entwicklung von »welthistorischen Individuen« ausgerichtet ist. Diese Individuen würden ihre Fähigkeiten und Kräfte in einem Prozess des universellen Austauschs entwickeln, durch den sich jeder Mensch alle Errungenschaften der Menschen auf dem ganzen Planeten aneigne und einverleibe. Aufgrund dieses Ideals konnte Marx, dessen intellektuelle und politische Bildung zutiefst von der Philosophie der Aufklärung geprägt war, ein Leben, das der Pflege der lokalen Umwelt und der lokalen Produktion von Feldfrüchten gewidmet ist, als begrenzt und sogar »viehisch« beurteilen. Aber seine Abwertung der kleinbäuerlichen Lebensweise muss auch darauf zurückgeführt werden, dass er das Wissen unterschätzte, das von den Landwirt*innen wie auch von Jäger*innen und Sammler*innen durch die Jahrhunderte hindurch akkumuliert wurde, und dass er die »Wissenschaft« als ein davon getrenntes intellektuelles Streben idealisierte.

Utopische Gemeinschaften

In Wirklichkeit haben die Jäger*innen und Sammler*innen durch unnachgiebiges Experimentieren mit der Natur die meisten all jener Pflanzen domestiziert, von denen wir uns heute ernähren. Solches Experimentieren ermöglichte es den Ureinwohner*innen des amerikanischen Kontinents lange vor der europäischen Kolonisation, ein ausgeklügeltes landwirtschaftliches System zu entwickeln, im Zuge dessen die Hybridisierung und die genetische Selektion von Saatgut erfunden wurden, der Schutz von Nutzpflanzen vor Schädlingen ohne den Einsatz von Pestiziden entwickelt wurde und Hunderte von Mais- und Kartoffelsorten sowie andere Nutzpflanzen kultiviert wurden, die später zu den wichtigsten Grundnahrungsmitteln in Europa und Afrika gehören sollten.

Außerdem war die bäuerliche Landwirtschaft nie ein isolierter Betrieb, sondern (wie Marx selbst anerkannte) immer von gemeinschaftlichen Aktivitäten begleitet, die oft der Produktion von Überschüssen als Vorsorge für Notfälle dienten. Dies war der Fall bei den bäuerlichen Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa, die das Land, das sie von den Grundherren im Austausch für Arbeitsleistungen erhielten, kollektiv verwalteten, und zwar durch bäuerliche Versammlungen, in denen sie darüber entschieden, welches Land brachliegen sollte, welche Kulturen im Wechsel angebaut werden sollten, wann geerntet werden sollte und so weiter. Selbst bei der Bewirtschaftung ihrer individuellen Parzellen profitierten die vorkapitalistischen europäischen Subsistenzbäuerinnen und -bauern von gemeinschaftlich erarbeiteten Praktiken und Kenntnissen, die es ihnen ermöglichten, die Produktion an ihre Bedürfnisse anzupassen und die Regeneration des Landes sicherzustellen.

Die gemeinschaftlichen Bande unter den »barbarischen«, rückständigen Landwirt*innen des vorkapitalistischen Europas waren so stark, dass sie gegen ihre Ausbeuter in den Krieg ziehen und regelrechte Bauernkriege organisieren konnten – ich beziehe mich hier auf die großen Bauernkriege des 15. Jahrhunderts wie die Kriege der »Remensas« in Spanien und den deutschen Bauernkrieg –, eine Leistung, die Industriearbeiter*innen bis heute nicht vollbracht haben.

Was für Marx ein potenzieller Weg der Befreiung war, muss für uns ein historischer Albtraum sein.

Auch von amerikanischen Ureinwohner*innen wissen wir, dass sie einen hohen Grad an Gesellschaftlichkeit entwickelten und einige der demokratischsten Formen des Gemeinschaftslebens hervorbrachten, die vor dem 19. Jahrhundert in Europa und Amerika bekannt waren. Die egalitären Gesellschaftssysteme der Ureinwohner*innen der Amerikas waren so inspirierend, dass europäische Besucher*innen sie oft als irdische Paradiese bezeichneten. Vermutlich haben sie auch die Vorstellung von Freiheit und Demokratie beeinflusst, die sich in Europa und den amerikanischen Kolonien im 18. und 19. Jahrhundert entwickelte.

Fraglich ist darüber hinaus, ob die kleinbäuerliche Landwirtschaft zur »Knappheit« verdammt ist, wie Marx meinte. Ihre Geschichte würde uns vielmehr zeigen, dass in Zeiten, in denen die Städte hungerten, Lebensmittel in den ländlichen Gebieten zu finden waren, dass in Zeiten von Lebensmittelkrisen kleine Gärten Leben gerettet haben. Im Gegensatz dazu ist die Zerstörung der kleinen Familienbetriebe, sei es durch kapitalistische Landwirt*innen oder durch die Übernahme seitens der Konzerne, eine der ökologischen und sozialen Katastrophen unserer Zeit. Eine weiteres großes ökologisches Problem ist der Verlust des Vertrauens in ältere landwirtschaftliche Methoden, die durch einen langen Prozess der Anpassung an die lokalen Bedingungen entwickelt worden sind, und die Entstehung einer Bauernschaft, die von den Techniken und dem Wissen abhängig ist, das ihr von landwirtschaftlichen Konzernen aufgezwungen wird, oder die durch die kapitalistische Entwicklung so verarmt ist, dass die Regeneration des von ihr bewirtschafteten Landes kein lebenswichtiges Anliegen mehr für sie darstellt.

Marx hat sich eine solche Entwicklung nie vorgestellt und auch nicht darüber nachgedacht, wer die Subjekte sein würden, die den Kampf für eine andere Landwirtschaft am ehesten vorantreiben könnten. Die heutigen Ökomarxist*innen wie zum Beispiel Paul Burkett sind davon ausgegangen, dass die Protagonist*innen des Kampfes für ein regeneratives ökologisches Produktionssystem die Lohnarbeiter*innen sein würden. (7) Doch bis heute haben sich viele Gewerkschaften wie auch Arbeiter*innen im Namen der Verteidigung von Arbeitsplätzen gegen jede Form von ökologischer Regulierung gewehrt und zerstörerische Technologien wie das Fracking unterstützt, ungeachtet der Gefahr, die sie für die Gemeinden, in denen der Abbau oder die Förderung stattfindet, darstellen.

Heute sind es Frauen, vor allem in Lateinamerika, die den Kampf für einen nachhaltigen ökologischen Umgang mit der Natur anführen, da sie für die Reproduktion ihrer Familien verantwortlich sind und die Folgen, die die Vergiftung von Land und Gewässern für die Zukunft ihrer Gemeinden hat, genau kennen. In Opposition zur hegemonialen Rolle des Agrobusiness und zu Monsantos Terminator-Saatgut betreiben sie Saatgutselektion und Saatgutbanking, kehren zu traditionellen Methoden zurück wie dem Mehrfachanbau, der den Stickstoffgehalt im Boden erhöht, und der Anpflanzung von Beikräutern, die der pestizidfreien Abwehr von Schädlingen dient.

Albtraumhafte Destruktivkräfte

Es lässt sich Marx nicht vorwerfen, er habe die immense Zerstörungskraft der kapitalistischen Entwicklung nicht vorhergesehen. Aber er war beeindruckt von den Kräften, die durch den Prozess der Industrialisierung freigesetzt wurden, und felsenfest davon überzeugt, dass sie in die richtigen Bahnen gelenkt werden könnten. Da er außerdem zuversichtlich war, dass der Kapitalismus bald in eine tödliche Krise geraten würde, oszillierte seine Bewertung ständig zwischen gegensätzlichen Polen: Abwechselnd betonte er entweder die Zerstörungskraft der kapitalistischen Entwicklung oder die beispiellosen Möglichkeiten, die sie seiner Meinung nach für die Zukunft der Menschheit eröffne.

Heute können wir uns diese Ambiguität nicht mehr leisten, und sie hat auch keine historische Berechtigung. Die Geschichte der »Entfaltung der Produktivkräfte« ist eine Geschichte von Kolonialisierung, wiederkehrenden Hungersnöten, der Ausrottung von Tausenden von Arten und der zunehmenden Entfremdung von der natürlichen Welt, die uns blind macht für die ökologische Katastrophe, deren Zeug*innen wir sind, und für die grausamen Praktiken, auf denen unser alltägliches Leben beruht. In einer Welt, in der die globale Reichweite der kapitalistischen Entwicklung zu Extraktivismus, Erdölbohrungen und Entwaldung führt, die allesamt massive soziale Verwerfungen hervorrufen, und zu einer Klimakrise, die den Fortbestand des Lebens auf unserem Planeten gefährdet, muss das, was für Marx ein potenzieller Weg der Befreiung war, für uns ein historischer Albtraum sein.

Silvia Federici

ist emeritierte Professorin für politische Philosophie und International Studies und langjährige feministische Aktivistin und Autorin.

Der Text ist dem Buch »Das Klima des Kapitals. Gesellschaftliche Naturverhältnisse und Ökonomiekritik« entnommen, das im Februar 2022 im Karl Dietz Verlag Berlin erscheint. Er wurde leicht redaktionell angepasst und um Fußnoten gekürzt. Aus dem Englischen übersetzt von Christian Frings.

Anmerkungen:

1) In seiner Kommentierung der Methoden, mit denen in der Schafzucht wie in der Industrie die zur Herstellung fertiger Produkte erforderliche Arbeitsperiode verkürzt wurde, beobachtet Marx: »Die Notwendigkeit, früher Geld flüssig zu haben (…), löst diese Frage dadurch, dass Vieh z.B. verkauft und geschlachtet wird, bevor es das ökonomische Normalalter erreicht hat, zum großen Schaden der Agrikultur (…).« (Kapital II, MEW 24, S. 238) »Durch sorgfältige Zuchtwahl reduzierte Bakewell, Pächter von Dishley Grange, das Knochenskelett der Schafe auf das zu ihrer Existenz notwendige Minimum.« (Ebd., S. 240)

2) In einer berühmten Passage zu dieser Frage schreibt Marx: »Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z.B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozess. « (Kapital I, MEW 23, S. 529)

3) Im dritten Band des »Kapital« schreibt Marx: »Die Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit ist die historische Aufgabe und Berechtigung des Kapitals. Eben damit schafft es unbewusst die materiellen Bedingungen einer höheren Produktionsform.« (MEW 25, S. 269) Und einige Seiten später kommt er im Zusammenhang mit der kapitalistischen Produktionsweise auf diese Frage zurück: »Ihr historischer Beruf ist die rücksichtslose, in geometrischer Progressive vorangetriebene Entfaltung der Produktivität der menschlichen Arbeit.« (Ebd., S. 272f.)

4) Antonio Negri: Über das Kapital hinaus, Berlin 2019.

5) MEW 42, S. 607.

6) Vgl. insbesondere die Ausführungen im Kapitel »Genesis der kapitalistischen Grundrente« in: Kapital III, MEW 25, S. 811–821.

7) Paul Burkett: Marx and Nature. A Red and Green Perspective, Chicago 1999.