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»Dafür sorgen, dass das PKK-Verbot nicht angewendet wird«

Der Medienwissenschaftler und Aktivist Kerem Schamberger über antikurdischen Rassismus in Deutschland, deutsch-türkische Interessen und die Kriminalisierung linker Kurd*innen

Interview: Osman Oğuz

Foto: Yeni Özgür Politika

Kerem Schamberger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und promoviert über kurdische Medien im Nahen Osten und Europa. Er beschäftigt sich seit Langem mit Kurdistan und der kurdischen Freiheitsbewegung, sowohl wissenschaftlich als auch aktivistisch. Gegen Schamberger laufen deshalb um die 30 Ermittlungen und Gerichtsprozesse. Anlässlich des 27. Jahrestags der Einführung des PKK-Verbots in Deutschland, das die Basis einer weitgehenden Kriminalisierung der politisch aktiven Kurd*innen in Deutschland darstellt, erklärt Schamberger im Interview, wie der öffentliche Diskurs zu Kurd*innen in Deutschland funktioniert und wie das Verbot überwunden werden könnte.

Ist es angemessen, von einem »antikurdischen Rassismus« in Deutschland als einer besonderen Kategorie zu sprechen? Und wenn ja, warum?

In Deutschland ist der Rassismus gegen Kurd*innen zum einen eingebettet in den rassistischen Alltag des Landes, der auch alle anderen betrifft, die nicht als Deutsche gelesen werden. Zum anderen sind Kurd*innen aber auch speziell betroffen, weil sie von Polizei, Verfassungsschutz und Justiz als vermeintliche »Terroristen« gebrandmarkt sind. So sind sie besonders auf politischer Ebene von Ausgrenzung betroffen. Zumindest diejenigen, die sich der kurdischen Freiheitsbewegung verbunden fühlen und hier politisch aktiv sind.

Der Heimatrassismus gegen Kurd*innen wird in Deutschland insofern fortgeführt, als Kurd*innen gar nicht als eigenständige Kategorie erfasst, sondern hier als türkische, syrische, irakische oder iranische Staatsbürger*innen gesehen werden. Das ist auch der Grund dafür, dass es bis heute keine gesicherten Zahlen darüber gibt, wie viele Kurd*innen in Deutschland leben. So wird die Assimilierungspolitik, die in den Herkunftsländern der Kurd*innen vorherrscht, auch in Deutschland in staatliche Politik übersetzt.

Dadurch treten dann auch Akteur*innen der Türkei als Vertretung der Kurd*innen auf, oder?

Genau. Das AKP-Regime gibt vor, alle in Deutschland lebenden Staatsbürger*innen der Türkei zu vertreten, obwohl viele der hier lebenden türkischen Staatsbürger*innen genau vor diesem Regime oder vorherigen türkischen Regimen geflohen sind.

Kerem Schamberger

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU München und promoviert derzeit zu kurdischen Medien im Nahen Osten und in Europa. Von ihm erschienen sind unter anderem »Die Kurden. Ein Volk zwischen Unterdrückung und Rebellion« (Westend Verlag, 2018) und die Broschüre »Mediale Realitäten eines marginalisierten Volkes: Kurd*innen und Öffentlichkeit« (gemeinsam mit Dastan Jasim). Schamberger ist Mitglied der Linkspartei, des Vereins marxistische linke und im Vorstand des Instituts Solidarische Moderne und des Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung.

Kerem Schamberger. Foto: privat

In Deutschland haben Kurd*innen aber auch hunderte Selbstorganisationen – Vereine und andere Institutionen. Die Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V. (KON-MED) schafft es, zehntausende Kurd*innen auf die Straße zu bringen. Werden sie in offiziellen Räumen als Vertreter*innen der kurdischen Bevölkerung anerkannt? Zum Beispiel in Medien…

Das ist eine sehr gute Frage. Ich glaube, dass in der deutschen Politik bezogen auf Kurd*innen auch eine Zweiteilung gemacht wird: Der gute Kurde und der böse Kurde. Die bösen Kurd*innen, mit denen auch die Medien nicht reden wollen, sind die Kurd*innen, die in Vereinen von KON-MED organisiert sind – also eine Nähe oder Sympathie zur kurdischen Freiheitsbewegung haben. Sie werden als Terrorist*innen abgestempelt. Und die guten Kurd*innen, die würde ich eher als »staatsnah« bezeichnen, die politisch eine andere Linie vertreten, aber innerhalb Deutschlands eigentlich ziemlich marginal sind. Im Vergleich zu KON-MED vertreten sie nur eine kleine Anzahl der hier lebenden Kurd*innen und haben weniger Einfluss auf die Gemeinde hier. Sie sind aber gleichzeitig ein Ausdruck der politischen Spaltungen innerhalb der kurdischen Gesellschaft. Auf der einen Seite die nationalstaatliche, nationalistische, kapitalistische Linie um die Regierungspartei der Autonomen Region Kurdistan (Nordirak) PDK und andere nationalistische kurdische Parteien. Und auf der anderen Seite die revolutionäre, progressive, linke Linie um die kurdische Freiheitsbewegung. Natürlich sucht sich die Bundesregierung diejenigen aus, die ihr politisch näher stehen und das sind eben die konservativen Kurd*innen.

In der Broschüre »Mediale Realitäten eines marginalisierten Volkes: Kurd*innen und Öffentlichkeit«, die von dir und Dastan Jasim herausgebracht wurde, wird die öffentliche Wahrnehmung der Kurd*innen in Deutschland unter anderem auf das Werk von Karl May zurückgeführt. Ist dieses Werk bzw. sind die Definitionen dieser Zeit heute wirklich immer noch prägend?

Ich habe zur Wahrnehmung der Kurd*innen in der deutschen Öffentlichkeit keine empirische Untersuchung durchgeführt, kann das also nur mit meinen Erfahrungswerten beantworten, die ich auf vielen Veranstaltungen in den letzten Jahren gesammelt habe. Ich würde sagen, dass es mittlerweile schon viel differenzierter ist als früher. Das liegt zum einen an der kontinuierlichen Öffentlichkeitsarbeit der Bewegung, zum Beispiel durch das Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad oder der Informationsstelle Kurdistan e.V., aber auch der kurdischen Vereine vor Ort. Zum anderen liegt es aber natürlich auch an den Entwicklungen im Nahen Osten und dem Kampf der Freiheitsbewegung, etwa gegen den Islamischen Staat. Viele Menschen haben das zu Recht sehr positiv wahrgenommen und sich deshalb auch etwas ausführlicher mit der Situation der Kurd*innen beschäftigt. Deshalb bin ich guter Dinge, dass es nicht mehr nur noch Karl May ist, der das Bild von Kurdistan hierzulande prägt.

Foto: Yeni Özgür Politika

Die PKK ist aber in Deutschland seit 1993 verboten. Durch das Verbot kommt es immer wieder zu Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und anderen Formen der Repression. Inwieweit ist dieses rechtliche Verbot auch gesellschaftlich wirksam?

Das Verbot der PKK ist das Kernproblem hier in Deutschland, weil es die Grundlage jeglicher Verfolgung ist und damit auch maßgeblich zur Stigmatisierung beiträgt. Politische Strukturen, die nicht links sind, haben Berührungsängste, mit Kurd*innen zusammenzuarbeiten, die zum Beispiel in Vereinen der KON-MED organisiert sind, weil das Damoklesschwert des Terrorismusvorwurfes über ihren Köpfen schwebt. Fördergelder werden mit dem Verweis auf das PKK-Verbot nicht bewilligt, Räume entzogen. Da ruft auch schon mal die Polizei zuvor beim Vermieter an. Auch demokratische Freiheitsrechte, die eigentlich für alle hier lebenden Menschen gelten sollten, werden im Bezug auf Kurd*innen immer wieder eingeschränkt. Zum Beispiel gab es den Versuch, Demonstrationen und Kundgebungen, die von NAV-DEM-Vereinen (dem Vorgänger von KON-MED) angemeldet wurden, von vornherein zu verbieten. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir das Augenmerk in unserer Solidaritätsarbeit darauf legen, klar zu machen, dass die herrschende Politik versucht, unliebsame politische Akteur*innen mit dem Terrorismusvorwurf aus dem öffentlichen Diskurs auszugrenzen.

Bezüglich der Ereignisse in Nordsyrien/ Rojava und insbesondere während des Widerstands in Kobanê gegen den IS gab es auch eine Phase, in der Kurd*innen hauptsächlich positiv dargestellt wurden. Es kam ja soweit, dass die Bilder der kurdischen Freiheitskämpferinnen zu modischen Ikonen geworden sind. Hat das nicht dazu geführt, dass kurdische Stimmen heute in Deutschland mehr Gehör finden?

Wie ich schon erwähnt habe, hat der Kampf gegen den IS zu großer Sympathie und auch zu einer neuen Beschäftigung mit dem Thema geführt. Immerhin war Kobanê der Anfang des Endes der IS-Islamo-Faschisten. Im Herbst und Winter 2014 gab es deshalb Anzeichen dafür, dass auch wieder grundsätzlich über das PKK-Verbot und seine Aufhebung diskutiert werden könnte. Volker Kauder von der CDU forderte damals sogar Waffenlieferung auch an die PKK. Aber wie sich herausgestellt hat, fand diese Diskussion vor allem gesellschaftlich statt, viele Solidaritätsgruppen haben sich gegründet und sind teilweise bis heute aktiv, Abgeordnete der Linkspartei solidarisierten sich auch und zeigten in München und im Bundestag die PKK-Fahne. Doch in der offiziellen Regierungspolitik wurde nicht ernsthaft darüber nachgedacht, weil man die Türkei nicht verschrecken wollte. Aus der Perspektive der Bundesregierung soll das Erdoğan-Regime unbedingt auf der Seite des Westens gehalten werden, das hat ökonomische und geostrategische Gründe und hängt auch mit dem sogenannten Türkei-EU-Flüchtlings-Abkommen zusammen.

Wie könnte erreicht werden, dass über das PKK-Verbot in Deutschland grundlegend diskutiert und dieses Verbot aufgehoben wird?

Das ist eine sehr schwierige Frage, weil das PKK-Verbot letztendlich nur ein Produkt ist von der langen, engen Zusammenarbeit des deutschen Staats mit dem türkischen Staat. Das heißt, damit das PKK-Verbot aufgehoben wird, muss eine grundlegende Änderung der Türkei-Politik stattfinden. Das ist wiederum abhängig von unterschiedlichen Kräfteverhältnissen. Wenn wir sagen, wir haben eine linke Regierung in Deutschland, die das Verhältnis zum türkischen Regime komplett anders gestalten wird, dann würde auch die Aufhebung des PKK-Verbots in greifbare Nähe rücken. Solange das nicht der Fall ist, ist es eher schwierig. Ich denke daher, dass wir in der jetzigen Situation, in der eine Veränderung der Kräfteverhältnisse nicht auf der Tagesordnung steht, dafür sorgen müssen, dass das PKK-Verbot nicht angewendet wird. Das wäre sozusagen die niedrigschwelligere Taktik. Das Ziel wäre dann erst einmal, dass das Verbot ignoriert wird, so wie es in vielen europäischen Ländern passiert, wo es zwar formell ein PKK-Verbot gibt, aber das Verbot keine Auswirkungen hat wie in Deutschland.

Du bist auch selber mehrfach vom PKK-Verbot betroffen: Deine Wohnung wurde durchsucht und du bist auch deswegen immer wieder vor Gericht. Spürst du an der Universität auch Folgen des Verbots oder hast du eher Solidarität erfahren?

Öffentliche Solidaritätsbekundungen gab es nicht, aber natürlich sind viele Kolleg*innen über das Vorgehen der Polizei empört gewesen. Aber man merkt auch, dass dieses Thema die Menschen insgesamt einschüchtert. Insofern ist die staatliche Verfolgungspolitik hier in einem gewissen Sinne erfolgreich. Klar ist aber auch, dass sich die Solidaritätsbewegung nicht einschüchtern lassen und gemeinsam mit vielen anderen Menschen die berechtigten Anliegen der kurdischen Freiheitsbewegung zusammen mit dieser weiterhin an die Öffentlichkeit bringen wird.

Foto: Yeni Özgür Politika

Nun gab es gerade erst ein Urteil zum Zeigen von YPG- und YPJ-Symbolen (Symbole der nordsyrischen Volksverteidigungs- und Frauenverteidigungseinheiten, Anm. der Redaktion). Was ist der Inhalt des Urteils? Und was bringt das konkret?

Am 1. Dezember hat das Bayerische Oberste Landesgericht einen Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. Es ging um den Freispruch des Amtsgerichts München für einen kurdischen Genossen, der im Februar 2018 bei einem Protest gegen den türkischen Angriffskrieg auf Afrin eine YPJ-Fahne getragen hatte. Dagegen wollte die Staatsanwaltschaft vorgehen und hat jetzt eine juristische Niederlage eingefahren. Die wichtigste Begründung des Gerichts war: Die YPG/ YPJ sind in Deutschland nicht verboten, deshalb darf man ihre Symbole zeigen. Ein Polizist oder Staatsanwalt kann nicht in die Köpfe derjenigen schauen, die die Fahnen tragen und beurteilen, ob sie damit »eigentlich« die PKK meinen oder
doch nur die YPG/ YPJ. Solche subjektiven Eindrücke haben vor Gericht
keinen Bestand.

Dies ist vor allem ein politischer Sieg, der in Bayern und auch in anderen Bundesländern die Kriminalisierung der Symbole der YPG/ YPJ beenden dürfte und eine Niederlage für den Freistaat wie auch das Bundesinnenministerium (BMI) darstellt. Letzteres hatte mit einem »internen Informationsrundschreiben« an alle Innenministerien im März 2017 ja überhaupt erst die Grundlage für die konkrete Verfolgung gelegt. Die Hartnäckigkeit vieler Aktivis*innen, die Fahnen immer wieder zu zeigen und dafür insgesamt hunderte Strafverfahren in Kauf zu nehmen, hat sich nun ausgezahlt.

Unklar ist jetzt, wie die Staatsanwaltschaft und auch das BMI weiter vorgehen werden. Der Ursprung sämtlicher Verfolgung von politischen Aktivitäten im Sinne der kurdischen Freiheitsbewegung – also das PKK-Verbot – ist ja immer noch vorhanden und wird auch in Zukunft für eine Einschränkung der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit sorgen. Denn wir dürfen nicht vergessen: Das Zeigen der YPG/ YPJ-Fahnen ist nun leichter möglich, aber es sitzen immer noch elf kurdische Aktivist*innen in deutschen Gefängnissen, verurteilt zu langjährigen Haftstrafen. Auch ihnen muss unsere Solidarität gelten.

Osman Oğuz

Osman Oğuz ist Redakteur bei Yeni Özgür Politika.

Anmerkung: Dies ist eine bearbeitete und aktualisierte Fassung eines Interviews, das zuerst am 2. Dezember in der kurdisch-türkisch-deutschen Tageszeitung Yeni Özgür Politika erschienen ist.