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»Dieser Kampf wird nicht vor Gerichten entschieden«

Was ist von Prozess und Untersuchungsausschuss im Neukölln-Komplex zu erwarten? Eine Einschätzung von Ferat Koçak, der selbst Opfer der Terrorserie wurde

Interview: Carina Book

Nur durch sehr viel Glück konnten sich Ferat Koçak und seine Eltern vor den Flammen retten. Foto: Ferat Koçak

Immer wieder Brandanschläge, Morddrohungen, antisemitische und rassistische Schmierereien: Seit 13 Jahren steht Neukölln im Fokus rechten Terrors. Nun hat ein Strafprozess gegen drei hauptverdächtige Neonazis begonnen und ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufgenommen. Unterdessen gehen die Bedrohungen weiter. In der Nacht zum 7. September wurden erneut rassistische und antisemitische Parolen und Hakenkreuze in einen Neuköllner Hausflur geschmiert. Im Interview berichtet Ferat Koçak, der 2018 einen Brandanschlag überlebte und nun als Nebenkläger im Strafprozess auftritt, über den Prozess, den Untersuchungsausschuss und die Verstrickung staatlicher Stellen mit den Neonazis.

Kürzlich hat der Prozess begonnen. Hat das etwas für dich verändert?

Ferat Koçak: Je näher der Gerichtsprozess rückte, desto stärker wurden meine Ängste wieder. Retraumatisierung könnte man das auch nennen. Ich musste mir psychologische Betreuung suchen, denn ich habe schlaflose Nächte und bin ständig in Alarmbereitschaft. Meine Nebenklageanwältin und ich sitzen dort den drei Angeklagten und deren drei Anwälten gegenüber. Das ist schon ein unangenehmes Ungleichgewicht und ich finde es krass, dass ich der einzige Nebenkläger bin, der zugelassen wurde.

Was erhoffst du dir von dieser Nebenklage?

Meine Hoffnungen und Erwartungen halten sich in Grenzen. Allein wie die Behörden bis jetzt mit dem Thema umgegangen sind, zeigt ja, dass wir nicht nur ein massives Problem mit Nazis auf den Straßen haben, sondern das Problem bis in die Behörden hineinreicht. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir durch den Prozess und auch durch den Untersuchungsausschuss Informationen bekommen, mit denen wir Betroffenen, Antifa-Recherche und investigative Journalist*innen weiter forschen können. Egal, was der Untersuchungsausschuss oder das Gericht zu Tage fördern, ich werde keinen Haken an die Sache machen, auch weil in dem Prozess nur ein Bruchteil der Anschlagsserie in Neukölln verhandelt wird. Dieser Kampf wird nicht vor Gerichten oder Untersuchungsausschüssen entschieden.

Wenn man sich deinen Twitter-Account »Der Neuköllner« anschaut, sieht man, hier ist eine Person, die sich wehrt…

Ja. Ich will aufklären und auch andere Betroffene ermutigen, sich zusammenzuschließen. Angefangen habe ich mit der Öffentlichkeitsarbeit aber auch, weil in der Berichterstattung dauernd geschrieben wurde, es hätte einen Anschlag auf mein Auto gegeben. Es mag ja richtig sein, dass der Brandsatz an meinem Auto gezündet wurde, aber hier geht es nicht um einen Anschlag auf ein Auto – sondern um einen Anschlag auf mich und meine Familie. Als der Anschlag passiert ist, hat es mich völlig fertig gemacht, in den Augen meiner Eltern die pure Angst zu sehen. Einer meiner ersten Gedanken war: »Ich muss es denen, die das gemacht haben heimzahlen.« Dementsprechend hat sich mein aktivistisches Pensum massiv erhöht. Ich habe seitdem keine Ruhe mehr. Seit dem Anschlag funktioniere ich nur noch.

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Trotzdem wurde deine Nebenklage zunächst abgewiesen…

Das war für mich besonders schlimm. Die Richterin hat das damit begründet, dass mein körperliches und seelischen Leiden aus ihrer Perspektive nicht ausreichend wären, um die Nebenklage zuzulassen.

Eigentlich bin ich dreimal Opfer dieser Tat geworden. Einmal durch die Polizei, die wusste, dass ich von Nazis beobachtet werde und die mich nicht gewarnt hat. Und schließlich kam dann noch die Ausrede mit dem Quellenschutz – den haben sie mal wieder vor den Opferschutz gestellt. Das haben aber sogar die Leute vom Verfassungsschutz widerlegt, als die darauf hingewiesen haben, dass der Quellenschutz nicht höher zu bewerten ist als Leib und Leben eines Menschen, der in Gefahr ist. Als zweites bin ich bei der Tat selbst Opfer geworden. Und schließlich ein drittes Mal durch die Richterin, die die Tat und die Folgen, die ich zu erleiden habe, relativiert hat. Für mich, als jemand der diesen Anschlag erlebt und überlebt hat, ist völlig klar, dass das versuchter Mord war. Das ergibt sich aus meiner persönlich erlebten Erfahrung. Die juristische Bewertung überlasse ich den Jurist*innen. Dass das Landgericht nun entschieden hat, dass meine Nebenklage zugelassen wird, ist genau richtig.

Eigentlich bin ich dreimal Opfer dieser Tat geworden.

Kürzlich wurde bekannt, dass auch in einem weiteren Fall der Quellenschutz über den Opferschutz gestellt wurde.

Ja, da geht es um einen linken Aktivisten. Er war Ziel von staatlichen Überwachungsmaßnahmen. Während dieser Überwachung ist er Angriffsziel von Nazis geworden, die bei ihm zu Hause Morddrohungen gesprayt haben. Die Polizei hat ihre eigenen Überwachungsvideos vier Monate lang nicht ausgewertet. Da fragt man sich doch: Wenn die Behörden den Aktivisten überwachen, weil angeblich eine Gefahr durch ihn besteht, warum werden diese Videos erst vier Monate später ausgewertet? Nächste Frage: Nachdem er diese Morddrohungen bekommen hat, war ja klar, dass er in Gefahr ist – spätestens dann hätte man doch einmal in diese Videos schauen müssen. Als die Polizei die Videos dann ausgewertet hatte, wurde mitgeteilt, die Nazis seien nicht zu erkennen gewesen. Der zuständige Staatsanwalt, der inzwischen wegen Befangenheit abgezogen wurde, soll das auch bestätigt haben. Kürzlich hat sich herausgestellt, dass das gar nicht stimmte und die Täter sehr wohl erkennbar waren. Auch hier wurde wieder der Quellenschutz über Opferschutz gestellt, dabei reden wir hier über Morddrohungen.

Neben dem Prozess gibt es ja auch noch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Wie läuft es denn dort mit der Aufklärung?

Noch gar nicht. Wir warten noch auf die Akten. Aber ich erwarte ähnliches, wie wir es auch aus Untersuchungsausschüssen zum NSU kennen: geschwärzte und verschwundene Akten, Informationen, die unter Verschluss bleiben und Behördenmitarbeiter, die mit Nazis zusammen arbeiten.

Inwiefern?

Die Befangenheit des Staatsanwalts bestand zum Beispiel darin, dass er einem der Hauptverdächtigen gesagt haben soll, er bräuchte sich keine Sorgen machen, er würde auch AfD wählen und sei auf seiner Seite. Zudem soll der Staatsanwalt einem Hauptverdächtigen gesagt haben, dass er zwei Antifaschist*innen anzeigen solle, weil die Poster mit Bildern des Hauptverdächtigen in Neukölln geklebt hätten. Diese Antifaschist*innen wurden freigesprochen. Was bleibt ist das Gefühl, dass Staatsanwaltschaft und Menschen mit rechter Gesinnung Hand in Hand gegen Antifaschist*innen vorgehen.

Gibt es noch mehr Verstrickungen zwischen Nazis und Behörden?

Es gab ein Treffen eines LKA-Beamten mit einem der Hauptverdächtigen, Sebastian T., in einer Berliner Eckkneipe. Das Treffen wurde vom Verfassungsschutz beobachtet. Als das dann an die Öffentlichkeit kam, stand der Verfassungsschutz so unter Druck, dass es plötzlich mehrere Versionen dieser Beobachtung gab bis dahin, dass der Verfassungsschutzmitarbeiter irgendwann gesagt hat, er könnte sich auch geirrt haben.

Wir sehen, dass wir in den Sicherheitsbehörden und auch in der Staatsanwaltschaft ein riesiges Problem haben.

Foto: @der_neukoellner

Ferat Koçak

ist Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin (MdA), Sprecher der Linksfraktion für Antifaschistische Politik und überlebte im Februar 2018 einen neonazistischen Anschlag auf sich und seine Familie.