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|ak 685 | Soziale Kämpfe

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Mit einem bundesweiten Kongress wollen NGO-Beschäftigte für bessere Arbeitsbedingungen in ihrem Sektor kämpfen

Von Rudolf Bader und Milly Rosenkranz

Hintereinander aufsteigend geordnete und bunte Stühle in einer Vorlesungshalle
Foto: Roel Dierckens / Unsplash

Mit Biegen und Brechen habe ich geschafft, dass mein Arbeitsvertrag dann doch noch verlängert wurde«, erzählt Maxi Engler. Sie arbeitet als Referentin bei einer großen Organisation für politische Bildung. Mit 32 Stunden Arbeit pro Woche verdiente sie anfangs circa 1.750 Euro brutto, netto haben die meisten in ihrem Betrieb zwischen 1.400 und 1.800 Euro pro Monat auf dem Konto.

Als Engler für ihren Job umziehen musste, hätte sie aufgrund ihrer befristeten Anstellung fast keine Wohnung bekommen, denn Vermietende bevorzugen dauerhafte Zahlungssicherheit. Dabei ist die junge Frau gut ausgebildet; in der freien Wirtschaft könnte sie ohne Weiteres einen dauerhaften Vertrag und ein höheres Gehalt bekommen. Doch das hat sie stets abgelehnt. Warum tut sie sich das also an, die Arbeit bei einer NGO? Ihre Antwort: Sie will etwas Sinnvolles tun. So geht es vielen. Knapp die Hälfte aller 16- bis 40-Jährigen weltweit wünscht sich einen Job, der ihren Werten entspricht, wie eine Studie von Deloitte von 2021 zeigt.

Dieser Anteil dürfte unter Linken noch größer sein. Wer Lohnarbeit und Aktivismus nicht strikt trennt, versucht im Job Gutes zu tun. »Oder wenigstens etwas, das den eigenen politischen Überzeugungen nicht diametral entgegensteht«, beschreibt David Mandelbaum seine Motivation, für eine Organisation zu arbeiten, die sich gegen Diskriminierung einsetzt. Auch er hat geringe Bezahlung, hohen Leistungsdruck und enorme Unsicherheit erlebt.

Weil der Wirtschafts- und Finanzsoziologe die Tätigkeiten von NGOs aber unverzichtbar für unsere Gesellschaft findet und überzeugt ist, dass diese nur mit guten Arbeitsbedingungen gelingen können, organisiert er einen Kongress, auf dem sich NGO-Mitarbeitende aus ganz Deutschland über ihre Erfahrungen austauschen können.

Doch was heißt das eigentlich, »NGO«? Die Abkürzung steht für non-governmental organization, zu Deutsch: Nichtregierungsorganisation. Zumindest der Definition nach handelt es sich weder um Wirtschaftsunternehmen noch um staatliche Stellen. Bekannte Beispiele, bei denen jedoch keine der erwähnten Personen tätig ist, sind Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen, Greenpeace oder Stiftung Warentest. Rechtlich stehen hinter NGOs meist eingetragene Vereine, gemeinnützige Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder Stiftungen.

Nicht-staatlich? Die Realität sieht anders aus: Viele NGOs sind abhängig vom Staat. So nutzen humanitäre NGOs beispielsweise Geld vom Entwicklungsministerium, um Hilfe in Krisengebieten zu leisten. Im Inland verteilte das Bundesfamilienministerium allein im vergangenen Jahr mit dem Programm »Demokratie leben!« mehr als 150 Millionen Euro an NGOs. Diese betreiben damit rund 500 Projekte für das Regierungsziel der »Extremismusprävention«.

Dazu gehört etwa der Einsatz gegen Antisemitismus, der in Deutschland theoretisch zwar Staatsräson ist, für den Beschäftigte praktisch aber oft unter Tarif bezahlt und teils nur für wenige Monate angestellt werden. Schuld daran sind die staatlichen Stellen, die Mittel teils nur jährlich neu bewilligen oder verweigern. Wie bei Maxi Engler befristen manchmal die NGOs Arbeitsverträge ohne Sachgrund auch für einen noch kürzeren Zeitraum. Und wer um eine Verlängerung bangt, spürt besonderen Leistungsdruck: »Man hat das Gefühl, man sollte besser 130 oder 150 Prozent geben«, so Engler.

Gefahr der Selbstausbeutung

Eine andere NGO im Bereich der Seenotrettung, bei der die 35-jährige Lola Braumeier tätig war, finanziert sich hingegen aus Spenden. In diesem Fall besteht eine Abhängigkeit von Unternehmen oder privaten Großspender*innen, auch wenn viele NGOs klare Richtlinien haben, Abhängigkeiten von Einzelnen zu begrenzen.

Auch Braumeier sagt: »Ich bin zutiefst dankbar, dass ich Geld mit etwas verdienen darf, das sich richtig anfühlt.« Zugleich kritisiert sie den »White saviour«-Komplex, den sie gerade bei NGOs in der Entwicklungshilfe beobachtet. Sie meint damit die Haltung einiger Menschen aus dem Globalen Norden, die so tun, als müssten sie die Welt retten und alle anderen seien Opfer. Diese Haltung führt zu dem Paradox, das auch aus der Pflegebranche bekannt ist. »Wenn Menschen sterben, kann man doch nicht einfach pünktlich Feierabend machen«, nennt Braumeier polemisch eine der typischen Begründungen für die Selbstausbeutung. Weil sie intrinsisch motiviert seien, gingen Angestellte von NGOs laut Braumeier besonders häufig über ihre Grenzen hinaus, mitunter auch ohne dass Vorgesetzte das verlangen.

Das Problem der Entgrenzung kennt auch Ngunoue Scheller. Er arbeitet bei einer linken Hilfs- und Menschenrechts-NGO mit Büros in zwei Ländern. Seine Arbeitszeit wird, wie bei vielen NGOs, nicht erfasst. Das birgt die Gefahr, dass Beschäftigte Überstunden anhäufen. Scheller sagt, er achte penibel darauf, diese abzubauen. Bei anderen klappt das nicht so gut, wenn etwa Ansprüche hoch und Teams unterbesetzt sind. »Dann will man nicht das Kollegenschwein sein, das um 17 Uhr den Stift fallen und anderen die Arbeit zurücklässt«, beschreibt Braumeier das Dilemma, wenn man als Einzelne versucht, sich abzugrenzen.

Ein anderes großes Problem im NGO-Sektor ist aus Schellers Sicht das Gehalt. Der Referent hat eine Promotion und jahrelange Berufserfahrung. Zu Beginn habe er bei 32 Wochenstunden Arbeit rund 2.800 Euro brutto im Monat verdient. Das liegt weit unter dem, was bei seiner Qualifikation angemessen ist. »Selbst wenn die Spenden steigen, werden die Gehälter nicht unbedingt erhöht«, beklagt eine der Betroffenen. »Statt ins Personal, investieren Geschäftsführungen dann gern in neue, noch größere Kampagnen, Digitalisierung oder schicke Büros.«

Immer häufiger überwachen Vorgesetzte mithilfe teurer digitaler Projektmangement-Tools oder Ticket-Systeme – nicht alle von ihnen entsprechen der europäischen Datenschutzrichtlinie DSGVO – die einzelnen Arbeitsschritte der Mitarbeitenden.

Auch die von der NGO bereitgestellten Arbeitsmittel für das Homeoffice sowie für die Prävention gegen Gesundheitsrisiken, vom Burnout bis zum Bandscheibenvorfall, bezeichnen viele Beschäftigte als mangelhaft. Hinzu kommen ableistische Strukturen, die behinderte Menschen ausschließen. So kann zum Beispiel bei einer NGO, deren Büro nicht mit dem Aufzug erreichbar ist, auch kein Mensch mit Rollstuhl arbeiten.

Von wegen flache Hierarchien

Wer die vielen Hürden auf dem Weg in eine NGO überwindet und eine reguläre Stelle ergattert, kann sich glücklich schätzen. Noch weniger Gehalt, Mitbestimmungsrechte, Sicherheit oder Rentenanspruch haben die vielen Honorarkräfte, Praktikant*innen, Werkstudierenden, Freiwilligen, Ehrenamtliche und Leiharbeiter*innen (etwa Putzkräfte), die die Einrichtungen täglich am Laufen halten.

Wer eine reguläre Stelle ergattert, kann sich glücklich schätzen.

Bis jetzt konnten sich NGOs diese prekären Bedingungen leisten, denn die Nachfrage nach sinnstiftenden Tätigkeiten ist groß. »Wem die Bedingungen nicht passen, der kann ja woanders arbeiten«, heißt es dann. Ob Personalabteilungen diese Arroganz angesichts von Personalnot und leer gefegtem Arbeitsmarkt bald ablegen werden, wird sich zeigen.

Fehlende Wertschätzung kennt auch Florian Wegner. Der 42-jährige Berliner war jahrelang Mitarbeiter einer ca. 25-köpfigen Kultur-NGO. Ihn stört unter anderem die Inkompetenz von Geschäftsführungen in seinem Sektor. »Das sind oft charismatische Persönlichkeiten mit guten Ideen, die wissen, wie man Gelder akquiriert.« Aber je erfolgreicher und größer die NGO werde, desto deutlicher zeige sich: »Diese Leute haben nicht unbedingt Ahnung von Buchhaltung oder strategischer Planung – und vor allem nicht von Personalführung.« Um dem nicht allein gegenüberzustehen, haben Wegner und seine Kolleg*innen sich als Betriebsgruppe der Berliner Basisgewerkschaft FAU organisiert.

Einer ihrer Erfolge: eine basisdemokratische Struktur mit Sprecher*innen-Rat. Sie haben sich gegen einen Betriebsrat entschieden, unter anderem deshalb, weil Gewählte aufgrund der kurzen Vertragslaufzeiten faktisch nicht den Kündigungsschutz genießen würden, den das Gesetz theoretisch garantiert.

Auch andere klagen über »Egozentriker«, »Narzissten« oder gar »Diktatoren« an der Spitze ihrer NGO. An deren »übersteigerter Motivation« und der »Wachstumslogik« stört die radikale Linke Lola Braumeier noch etwas anderes: »Mit der Professionalisierung verwässert oft der politische Anspruch einer NGO.« Dann gehe genau der Sinn verloren, für den man bisher so vieles in Kauf genommen habe.

Die Welt der NGOs verbessern

Doch all das muss nicht so sein. Nach jahrelangen Gesprächen untereinander fand in Braumeiers Team in letzter Zeit ein Umdenken statt. »Mittlerweile werden Kolleg*innen bei uns liebevoll gemobbt, wenn sie an ihren freien Tagen auf dienstliche Nachrichten reagieren«, erzählt sie.

Ngunoue Scheller findet, in seinem Betrieb laufe es besser als bei anderen. Dort gibt es einen Betriebsrat. Erst kürzlich habe dieser eine Home-Office-Regelung im Sinne der Angestellten verabschiedet. »Das A und O ist die Organisierung. Gerade in kleinen NGO, wo es ja immer sehr menschlich zugeht, braucht es institutionalisierte Mechanismen«, betont er.

Der Weg dahin verläuft selten reibungslos. »Bei uns war die Gründung des Betriebsrats ein echtes Abenteuer«, sagt Maxi Engler. Auch Gewerkschaften berichten immer wieder, dass Leitungen – oft unauffällig – versuchen, Betriebsräte zu verhindern, etwa, indem sie das Vorgehen mit fadenscheinigen Argumenten delegitimieren und versuchen, die Belegschaft zu spalten. Auch offene Vergeltungsmaßnahmen wie Mobbing und Kündigungen von einzelnen Angestellten sind an der Tagesordnung.

Wie viel Angst vor negativen Reaktionen von oben herrscht, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass keine einzige der für diesen Artikel Befragten ihren echten Namen oder den ihrer NGO nennen will. Ein anderer Grund dafür ist, dass sich alle so sehr mit den Zielen ihrer Projekte identifizieren, dass sie deren Ruf in der Öffentlichkeit keinesfalls schaden wollen. Engler ist trotzdem froh, dass sie und ihr Team den Schritt gewagt haben: »Endlich wird bei uns über Probleme gesprochen. Die Leitung geht einige Punkte neuerdings sogar von sich aus an.«

Ob Betriebsrat, Betriebsgruppe oder Basisdemokratie: Um über verschiedene Instrumente des Organizing zu diskutieren und sich über »best practices« auszutauschen – wie es im NGO-Sprech so schön heißt –, haben sich bereits 45 Personen aus acht Städten zum Kongress angemeldet. Und das, obwohl Mandelbaum und sein Kollege nur mit einem einzigen Post auf Social Media Werbung gemacht haben. Für ihn zeigt das, wie groß bei NGO-Beschäftigten der Wunsch nach Verbesserungen und die Bereitschaft zum Arbeitskampf ist.

Milly Rosenkranz und Rudolf Bader

haben beide selbst bei verschiedenen NGOs gearbeitet, um die es in diesem Artikel aber nicht geht.

Der Kongress findet unter dem Motto »Arbeiten bei den Guten? Na herzlichen Glückwunsch!« vom 7. und 8. Oktober in Frankfurt am Main statt. Anmeldungen sind bis Ende September möglich.