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Power und Union

Die Gewerkschaftswahl in New York ist ein lehrreicher Meilenstein

Von Nina Scholz

Protestierende, lachende Arbeiter*innen vor dem Werkstor von Amazon in Shakopee, Minnesota
Arbeiter*innen bei Amazon in Shakopee, Minnesota, bei einer Aktion im Dezember 2018. Im März 2019 kam es hier zum ersten Streik in der US-Geschichte Amazons. Jetzt gibt es die erste Gewerkschaft an einem US-Standort: in New York. Foto: Fibonacci Blue / Flickr, CC BY 2.0

Monatelang hatten Amazon-Arbeiter*innen die Wahl in Staten Island, New York, vorbereitet: Am 1. April 2022 wurde dort die erste Gewerkschaft in einem Amazon-Logistiklager in den USA gewählt – ein Tag für die Geschichtsbücher. Der Ort des Geschehens, das sogenannte Fulfillmentcenter JFK8b, war bereits vor zwei Jahren, zu Beginn der Pandemie, in der Presse, als der Amazon-Arbeiter Chris Smalls einen Walkout organisierte, um auf die hohen Ansteckungszahlen aufmerksam zu machen. Amazon feuerte Smalls, und dieser arbeitete fortan von außen mit seinen Kolleg*innen innen daran, eine Gewerkschaft zu gründen.

Doch warum ist eine Gewerkschaftsgründung bei Amazon in den USA spektakulärer als bei anderen Unternehmen? Weil Amazon mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, versucht, Gewerkschaften zu verhindern. Bereits vor einem Jahr hatte es ebenfalls einen Versuch gegeben, eine Gewerkschaft im Amazon-Lager in Bessemer, Alabama, zu gründen, der kläglich gescheitert war. Die Organizerin und Autorin Jane McAlevey hatte damals kritisiert, dass die Gewerkschaft vor Ort sich nicht klar gemacht habe, wieviel Druck Amazon auf die Arbeiter*innen ausüben würde – und wieviel Gegendruck die Gewerkschaft erzeugen muss, damit die Arbeiter*innen am Ende mit Ja stimmen.

Statt einer behäbigen Gewerkschaftskampagne mit Durchschnittsmaßen, wie in Bessemer, organisierten sich in New York die Amazon-Beschäftigten in der Basisgewerkschaft Amazon Labor Union (ALU) mit konkreten Forderungen und kleinteiliger Überzeugungsarbeit.

Auch in New York hat Amazon wieder etliche Millionen Dollar ausgegeben, um die Gewerkschaftsgründung zu verhindern, Desinformationen zu streuen und Stimmung gegen die Gewerkschaft und die Organizer*innen zu machen. Doch die Aktivist*innen in New York haben diesmal keine Abkürzungen genommen. Statt einer behäbigen Gewerkschaftskampagne mit Durchschnittsmaßen, wie in Bessemer, organisierten sich in New York die Amazon-Beschäftigten in der Basisgewerkschaft Amazon Labor Union (ALU) mit konkreten Forderungen und kleinteiliger Überzeugungsarbeit. Statt Gewerkschaftsfunktionär*innen vor den Toren rekrutierte die ALU ihresgleichen, mehrheitlich nicht-weiße Arbeiter*innen aus dem armen Staten Island – und wurde so immer mächtiger.

Das ist der maßgebliche Unterschied: Auch wenn der zweifelsohne charismatische Chris Smalls, mittlerweile Vorsitzender der ALU, gerade als Held in den Medien gefeiert wird – gegen ein Unternehmen mit der Größe, Macht und den Überwachungswerkzeugen wie Amazon können Arbeiter*innen nur gemeinsam gewinnen. Das wissen auch die deutschen Amazon-Arbeiter*innen: Im beschaulichen Bad Hersfeld fanden 2013 die ersten Streiks bei Amazon weltweit statt. Über ein Jahr hatte ver.di damals bereits Arbeiter*innen dafür organisiert. Was die deutschen Amazon-Arbeiter*innen auch wissen: Jetzt geht für ihre Kolleg*innen in New York der eigentliche Kampf erst los.

Für die sich seit Jahren international vernetzenden Amazon-Gewerkschaften ist die erste Gewerkschaft in den USA ein Meilenstein der transnationalen Vernetzung. Und in den USA ist die erkämpfte Gewerkschaft bei einem scheinbar übermächtigen Gegner wie Amazon ein Hoffnungsschimmer für alle, die ihr Leben in den zahlreichen trostlosen, unterbezahlten, überwachten Jobs fristen.

Nina Scholz

arbeitet als freie Journalistin in Berlin.