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Allianz gegen Repression

Unterschiedliche Exilgruppen protestieren in Deutschland gegen die äthiopische und die eritreische Regierung

Von Kochob Mihretaab und Mihir Sharma

Proteste gegen den Krieg in der Region Tigray gab es in vielen Ländern, hier in Benton Park West, Missouri, USA. Foto: Paul Sableman/Flickr, CC BY 2.0

No Justice in Tigray, Eritrea and Oromia – No peace in Ethiopia« war eine der zahlreichen Parolen der Demonstration, bei der Anfang April in Berlin Hunderte diasporische Aktivist*innen zusammenkamen. Gemeinsam wurde gegen den andauernden Genozid in Tigray, die Situation der eritreischen Geflüchteten in Äthiopien und der politischen Unterdrückung der Oromo-Bevölkerung in Äthiopien demonstriert. Es ist bislang die erste Aktion, die der bundesweite Zusammenschluss organisiert hat. Das neue Bündnis besteht aus diasporischen linken Akteuren und Gruppen, u.a. United for Eritrea, Oromo Community Germany, Tigray Unity Germany und Ubuntu Haus Frankfurt. Die diesjährige bundesweite Aktion hat neben Berlin auch in Hamburg, Köln, Frankfurt, Heidelberg und München Hunderte von Menschen zusammengebracht. Ein zentrales Anliegen der Organisator*innen bestand darin, sich gegen die autoritäre und repressive Politik des eritreischen Präsidenten Isayas Afwerki und des äthiopischen Premierministers Abiy Ahmed zu stellen.

Die Lage in Tigray, im Norden Äthiopiens, hat sich seit Beginn der Militäroffensive Ahmeds letzten November nicht entspannt. Offiziell gilt die Offensive als beendet, aber mehrere Medien berichten, dass es weiterhin Kampfhandlungen gibt. Bereits seit dem Amtsantritt des äthiopischen Premierministers im Jahr 2018 ist die politische Situation mit der Regionalpartei Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) angespannt. Ausgelöst wurde die Militäroffensive, laut Regierungschef Ahmed, durch einen Angriff der TPLF auf einen Militärstützpunkt der äthiopischen Zentralarmee in Tigray. Zuvor ließ die Regionalregierung in Tigray Wahlen abhalten, was der Premierminister aber mit Verweis auf die Corona-Pandemie verbot.

Unterschiedliche internationale Organisationen werfen der Regierung Äthiopiens, die durch eritreische Truppen des Diktators Afwerki unterstützt wird, Kriegsverbrechen vor. Neben Massakern in Tigray leidet die Zivilbevölkerung vor allem an Plünderungen, Zerstörung der medizinischen Versorgung und Massenvergewaltigungen. Auch durch das Zerstören von Erntefeldern und den gezielten Versuch, die Menschen durch die Blockade von Nahrungsmittellieferungen auszuhungern, besteht bereits jetzt die Gefahr einer großen Hungerkatastrophe in der Region. Viele Initiativen und internationale Organisationen wie Amnesty International sprechen von »ethnischer Säuberung« und der Gefahr eines Genozid. Auch die Situation der eritreischen Geflüchteten, die vor der eritreischen Diktatur in Tigray Zuflucht suchten, ist seit Kriegsbeginn mehr als prekär.

Der langersehnte Frieden zwischen Äthiopien und Eritrea diente primär militärischen Überlegungen.

Seit 2019 ist zwar nach der jahrzehntelangen »No War, No Peace«-Situation offiziell Frieden zwischen Eritrea und Äthiopien eingekehrt. Ahmed erhielt dafür den Friedensnobelpreis. Im Rahmen der aktuellen Kriegsgeschehnisse ist jedoch deutlich geworden, dass »der langersehnte Frieden zwischen Eritrea und Äthiopien primär militärischen Überlegungen diente« teilte Farid Abeulhamid, Mitglied des Research Netzwerks GRILA aus Toronto, ak mit.

Dieser Eindruck wird auch aus ehemaligen Regierungskreisen bestätigt: »Ich war unter denen, die den ersten Flug 2019 nach Asmara nahmen, um die Zukunft der Beziehungen zwischen beiden Ländern zu diskutieren«, sagt ein ehemaliger Berater der äthiopischen Regierung im Gespräch, der anonym bleiben will. Er erzählt zudem: »Ich hatte am Anfang Hoffnung, bis mir schnell klar wurde, dass das, was nach der Preisverleihung in Asmara geschah, einem Kriegsvertrag gegen die TPLF zwischen Afwerki und Ahmed ähnelte.« Der Großteil der Streitkräfte Ahmeds sind durch die eritreische Armee gestellt worden. Die Truppen werden für genozidale Kriegsverbrechen wie das Massaker in Axum, etliche Plünderungen und unzählige Massenvergewaltigungen verantwortlich gemacht. Ahmed versucht schon seit seinem Amtsantritt, eine zentralisierte, einheitliche Machtstruktur zu erzwingen, das dem bisherigen, ethnischen föderalistischen Gefüge Äthiopiens entgegensteht. So wurde die TPLF als solche schon früh durch Ahmed politisch isoliert. Dieses Vorgehen betrifft aber jede oppositionelle Stimme im Land.

Unterschiedliche politische Akteure in der Diaspora, die sich gegen die stetige Machtfestigung und -zentrierung Ahmeds stellen, schließen sich gerade zusammen. Sie wollen mit den von der Außenwelt Abgeschotteten und Stimmlosen in Eritrea und Äthiopien für eine Verbesserung der Situation kämpfen. »Wir sind gegen die diktatorische Politik Afwerkis, genauso wie wir gegen die Kriegsverbrechen und Repression Ahmeds sind«, teilte Biniam der ak mit, der in Berlin vor dem Auswärtigen Amt im April eine Rede hielt. Darum hätten die unterschiedlichen Communities, die sich gerade vernetzten, einen gemeinsamen Nenner, wie Biniam weiter berichtet. Er gehört der Tigray Unity Germany an und hat sich mit anderen aus der Diaspora hier zusammengeschlossen. »Wir sind zusammengekommen, nachdem die katastrophalen Angriffe in Tigray begannen. Wir sammelten Spenden, informierten einander über die Geschehnisse, und überlegten uns Strategien, wie wir am besten von hier aus agieren können«, so Biniam.

Mit den bundesweiten Demonstrationen fordert das Bündnis auch internationale Akteure dazu auf, sich gegen den Genozid in Tigray einzusetzen. Das würde vor allem der Abzug der eritreischen und äthiopischen Truppen sowie unterschiedlicher Milizen bedeuten. Unterstützt durch Redebeiträge von Sudan Uprising und dem Ezidischen Frauenrat wurde lautstark das Ende der sexualisierten Gewalt als Kriegswaffe gefordert.

Das Bündnis ist Teil einer EU-weiten Initiative aus unterschiedlichen Gruppen der Diaspora. Die Initiative überreichte der EU ihre Forderungen. Darin werden unter anderem unabhängige Ermittlungen auf internationaler Ebene bezüglich der Straftaten in den Konfliktregionen in Äthiopien und Eritrea, Nothilfe für die von der Kriegsoffensive betroffene Region und ein Ende des Krieges gefordert.

Das Thema Familiennachzug wird durch den Konflikt wieder wichtiger. Durch die Anordnung des Auswärtigen Amtes werden Eritreer*innen in Deutschland dazu gezwungen, in Kontakt mit den eritreischen Behörden zu treten, um Dokumente und Urkunden für die Familienzusammenführung zu beschaffen. Die Mitglieder der Initiative Familiennachzug Eritrea, ein Zusammenschluss eritreischer Geflüchteter, fordern jedoch das Auswärtige Amt dazu auf, nicht mit dem diktatorischen Regime kooperieren zu müssen, da das eritreische Regime ihnen weiterhin mit politischer Verfolgung droht, ihnen die Dokumentenbeschaffung verwehrt und ihnen und ihrer Familie in Eritrea Repression für die Flucht droht. Denn Tausende eritreische Geflüchtete in Tigray sollen unter Zwang wieder zurück nach Eritrea gebracht worden sein.

Almaz Haile vom Flüchtlingsrat Berlin fordert deshalb: »Wenn man die Kriegssituation in Äthiopien wirklich ernst nehmen würde, würde man den berechtigen eritreischen Familienmitglieder den Nachzug breitflächig gewähren. Die Situation ist gefährlich, und der Nachzug muss schneller passieren und für mehr Menschen ermöglicht werden.«

Trotz einer neuen Anweisung des Auswärtigen Amtes, die den Spielraum der Dokumentenbeschaffungen erweitert, konnten seitdem nur wenige Familienzusammenführungen ermöglicht werden. Die Hürden der deutschen Bürokratie bedrohen fortan viele weitere Menschenleben und zerstören unzählige Familien.

 »Wir werden sicherlich bundesweit alles tun, damit die Regierungen in Deutschland und EU-weit auf unsere Forderungen eingehen«, so Biniam im Namen des Bündnises.

Kochob Mihretaab

lebt und studiert in Berlin. Sie ist in antirassistischen, feministischen und linken Initiativen organisiert.

Mihir Sharma

ist Mitglied der Arbeitsgruppe Anthropologie globaler Ungleichheiten bei der Bayreuth International Graduate School for African Studies (BIGSAS) und lehrt an der Universität Bayreuth. Er schreibt zu Anti-Rassismus, politischer Ökonomie und sozialen Bewegungen.