Vorsicht bei Trumps »Friedensplan«
Die Kommunistin Reem Hazzan von der israelischen Wahlliste Hadash über eine Region vor und nach dem Waffenstillstand
Interview: Johannes Tesfai

Reem Hazzan erzählt im Interview von der aufgeheizten Stimmung in den letzten zwei Jahren in Israel, warum Trumps Friedensplan mit Vorsicht zu genießen ist und wie sie als Linke und Palästinenserin in Israel auf den Nahostkonflikt blickt.
Die Geiseln sind zurück in Israel. Viele palästinensische Gefangene wurden freigelassen. Größtenteils sind die Waffen verstummt. Aber was sind die nächsten Schritte, die in der aktuellen Situation unternommen werden müssen?
Reem Hazzan: Wir sind vorsichtig optimistisch bezüglich des Abkommens und der Freilassung einiger palästinensischer Gefangener. Wir freuen uns für die Familien der israelischen Geiseln, die sie nach so langer Zeit wieder zurückbekommen. Wir sollten nicht vergessen, dass wir dieses Abkommen bereits im November 2023 hätten haben können. Wir sind nicht begeistert von dem Abkommen, aber es gibt den Menschen in Gaza Luft zum Atmen und ermöglicht humanitäre Hilfe. Dieses Abkommen ignoriert jedoch völlig die Existenz der palästinensischen Führung. Bei der Planung der Zukunft des palästinensischen Volkes dürfen die Palästinenser*innen und die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) nicht übersehen werden, denn ohne sie wird es keine Selbstbestimmung und Unabhängigkeit geben. Im Moment sieht das Abkommen mehr nach einem Business-Deal als nach einer politischen Lösung aus. Der internationale Druck und die Solidarität müssen weitergehen, denn es ist noch lange nicht vorbei.
Reem Hazzan
ist internationale Sekretärin der Kommunistischen Partei Israels (KPI), Aktivistin, Mutter und Dolmetscherin. Die KPI bildet mit anderen linken Parteien die Wahlliste Hadash.
Wie sind Trumps Vorschläge und das Treffen in Ägypten zu bewerten? Was könnte zum Scheitern des Prozesses führen?
Trump konnte aus eigenem Interesse einen Waffenstillstand von Israel erzwingen. Dieser kann erfolgreich sein, so sehr wir diesen Plan auch ablehnen. Andererseits misstrauen wir Trump, der US-Regierung und natürlich der israelischen Regierung und Netanjahus Agenda. Die EU, die USA und andere große Länder unterstützen Israel seit sehr langer Zeit, haben weggeschaut, als es den Genozid begangen hat, und es versäumt, dafür zu sorgen, dass zumindest humanitäre Hilfe und Wiederaufbauhilfe Gaza erreichen konnten.
Wie wichtig ist der Aspekt der Selbstbestimmung?
Die territoriale Einheit des zukünftigen Staates Palästina innerhalb der Grenzen von 1967 ist von entscheidender Bedeutung. Von palästinensischer Selbstbestimmung oder einem palästinensischen Staat war keine Rede. Es gab Andeutungen auf eine Art pervertierter Form der Selbstverwaltung im Gazastreifen. Wo sind die Punkte, in denen das gefordert wurde? Sie wurden von denjenigen, die dieses Abkommen ausgehandelt haben, völlig außer Acht gelassen.
Dein Vorschlag lautet, dass die PA nach Gaza zurückkehrt?
Ich bin Palästinenserin und gleichzeitig Bürgerin Israels, wo ich mein Wahlrecht ausübe. Aber ich bin auch ein politischer Mensch. Diese Frage sollte man dem palästinensischen Volk stellen. Ob es den Menschen gefällt oder nicht, die Palästinensische Autonomiebehörde ist die einzige gewählte Führung. Die Menschen sollten sich fragen, wer die Neuwahlen der PA verhindert hat. Das hätte schon vor Jahren geschehen müssen. Israel hat Wahlen in Ostjerusalem verboten, weil es die Stadt nach wie vor als vereinte Hauptstadt Israels betrachtet. Die Durchführung von Wahlen ist seit langem eine Forderung der Palästinenser*innen.
Die Welt schaut auf Gaza. Wie ist die Lage derzeit im Westjordanland?
Es hat sehr lange gedauert, bis alle Augen auf Gaza gerichtet waren. Das Westjordanland steht seit sehr langer Zeit unter Besatzung, ist Angriffen von Siedler*innen ausgesetzt und von Annexion bedroht. Am 8. Oktober 2023 erhielten dieselben Siedler*innen, die Masafer Yatta, die Dörfer im Gebiet C, das vollständig von Israel kontrolliert wird, und das Jordantal bedrohten, von der israelischen Regierung grünes Licht, um weiter zu töten, zu stehlen, zu vertreiben und anzugreifen. In den ersten Wochen nach dem 7. Oktober kam es zu brutalen Angriffen auf Palästinenser*innen in den Dörfern dort. Die militärische Präsenz hatte sich nach Gaza verlagert. Damit waren die Siedler*innen in einigen Gebieten des Westjordanlands die einzige bewaffnete Kraft. Es gibt unglaubliche Berichte über Dinge, die Palästinenser*innen auf ihrem eigenen Land angetan wurden, manchmal in Anwesenheit und unter dem Schutz der israelischen Besatzungstruppen. In den letzten zwei Jahren hat die israelische Armee Flüchtlingslager, Städte und Dörfer im Westjordanland zerstört und Tausende von Kontrollpunkten eingerichtet. Mittlerweile gibt es alle zwei bis drei Kilometer einen Kontrollpunkt, an dem Palästinenser*innen stundenlang befragt und aufgehalten werden. Es ist unmöglich geworden, zur Arbeit zu gehen oder als Ärzt*in medizinische Hilfe zu leisten. Für die palästinensische Bevölkerung ist die Lage noch unerträglicher geworden.
Ich weiß nicht, ob ich das Wort Frieden verwenden möchte. Es ist in der Region zu einem bedeutungslosen Wort geworden, und wir wollen sicher nicht den Frieden, von dem Trump spricht.
Ist es für Israelis und Palästinenser*innen möglich, all das zu verarbeiten, was in den letzten zwei Jahren geschehen ist?
Ich muss diese Frage aufteilen, da wir hier von zwei verschiedenen Bevölkerungsgruppen sprechen. Die eine Gruppe, die Palästinenser*innen, ist selber nochmal unterteilt. Unterschieden werden kann zwischen denen, die in den seit 1967 besetzten Gebieten leben, denen aus Ostjerusalem, dem Gazastreifen und denen innerhalb Israels. Die andere große Gruppe sind die israelischen Jüdinnen und Juden. Wir sprechen hier von unterschiedlichen Traumata, dem Trauma, das die Israelis nach dem 7. Oktober erlebt haben. Aber es gibt auch das Trauma der Palästinenser*innen innerhalb Israels aufgrund der faschistischen Angriffe und Unterdrückung, die unmittelbar nach dem 7. Oktober begannen. Und dann gibt es noch das Trauma der Palästinenser*innen im Gazastreifen. Eine kollektive Heilung beider Bevölkerungen wird nur möglich sein, wenn wir einen politischen Weg anbieten. Wir sind alle auf so vielen Ebenen traumatisiert, individuell und kollektiv. Wir sollten politische Lösungen fordern, um diese Traumata zu behandeln. Politische Lösungen können Hoffnung bringen.
Du bist Vorsitzende der Ortsgruppe deiner Partei in Haifa. Haifa gilt als jüdisch und arabisch zugleich. Was hat sich seit dem 7. Oktober verändert?
Die gesamte Atmosphäre hat sich verändert. Die Unterdrückung jeder Antikriegsaktion durch die Polizei ist in Haifa einzigartig. Wir haben eine Verschlechterung der Stabilität der Beziehungen zwischen Araber*innen und jüdischen Israelis im ganzen Land beobachtet. Am 8. Oktober 2023 erklärte Netanjahu, dass Israel einen Krieg an acht Fronten führt: im Westjordanland, im Gazastreifen, im Iran, in Syrien, im Libanon, im Jemen, im Irak und als achte Front gegen die Palästinenser*innen innerhalb Israels. Der Minister für innere Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, begann mit der Verteilung von Waffen an etwa 300.000 jüdische Bürger*innen. Damit sollte Angst unter den Palästinenser*innen in Israel geschürt werden. Es gab viele Vorfälle, bei denen ganz normale Menschen, sogar jüdische Israelis, von Zivilist*innen erschossen wurden, weil sie verdächtigt wurden, Palästinenser*innen zu sein, die »etwas planen« wollten. Obwohl die Lage angespannt ist, konnte Haifa seine Vernunft bewahren. Dennoch fühlen sich palästinensische Bürger*innen Israels aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit weiterhin nicht sicher, und auch die progressiven jüdischen Kräfte, die sich ebenfalls in diesem Kampf mit uns befinden, fühlen sich aufgrund ihrer Meinungen nicht sicher.
Deine Partei ist die einzige gemischte arabisch-jüdische Liste in der Knesset. Was unternimmt sie, um die Zusammenarbeit zwischen Araber*innen sowie Jüdinnen und Juden zu fördern?
Was wir seit 100 Jahren tun, tun wir in der Überzeugung, dass es sich hierbei nicht um einen Konflikt zwischen Araber*innen und Jüdinnen bzw. Juden handelt. Meine Partei fördert einen gemeinsamen Kampf mit einer politischen und sozialen Agenda, die nicht von der nationalen oder ethnischen Herkunft abhängt, sondern davon, welche politische Haltung vertreten wird: Sind die Kämpfenden in ihrer Haltung gegenüber Menschen und Menschenrechten internationalistisch oder nationalistisch? Meine Heimat als Palästinenserin oder als Israeli zu lieben bedeutet, Gutes für die Arbeiter*innenklasse, Frauen, Kinder, den Sozialstaat, Bildung, Kultur, Wohlstand und gute nachbarschaftliche Beziehungen zu wollen. Es ist sehr schwierig, sich für diese Dinge einzusetzen, wenn man sich inmitten eines nationalen Konflikts befindet, der aufrechterhalten wird, um die imperialistischen und kolonialen Interessen in Palästina und in dieser Region zu schützen.
Warum ist Hadash nicht in den besetzten Gebieten vertreten?
Zunächst einmal, weil wir an die Zweistaatenlösung glauben und innerhalb Israels als palästinensische und jüdische Bürger*innen Israels agieren. Das palästinensische Volk braucht seine eigene Souveränität. Eine in Israel registrierte Partei würde die Souveränität verletzen, die wir für das palästinensische Volk und den palästinensischen Staat anstreben. Meine Rolle als Palästinenser*in in Israel besteht darin, für Gleichberechtigung, Demokratie und die Beendigung der Besatzung zu kämpfen und dieses Regime für alle Menschen auf dieser Seite der Grenze erträglicher zu machen. Natürlich arbeiten wir mit der PPP (Palästinensische Volkspartei) und einigen palästinensischen politischen Fraktionen und Bewegungen zusammen: Frauenbewegungen, Jugendbewegungen. Wir sind sehr daran interessiert, die palästinensische Linke zu stärken, um ähnliche Partner auf der anderen Seite der Grenze zu haben. Ich weiß nicht, ob ich das Wort Frieden verwenden möchte. Es ist in dieser Region zu einem bedeutungslosen Wort geworden, und wir wollen sicherlich nicht den Frieden, von dem Trump spricht.