Sprit des Massenkonsums
Die Geschichte des Erdöls zeigt, wie einzelne Rohstoffe ganze produktive und politische Systeme beeinflussen und verändern können

Drill, baby, drill« – mit diesem Spruch machte US-Präsident Donald Trump schon in seiner Antrittsrede im Januar klar, in welche Richtung sich die Energiepolitik der USA unter seiner Regierung entwickeln würde: Schluss mit der Energiewende, zurück zur Förderung von Öl und Gas. Und tatsächlich unterzeichnete er schon am ersten Tag Dekrete, mit denen er Auflagen strich mit dem Ziel, damit die Ölförderung zu erleichtern.
Den Boom, den er damit auslösen will, gibt es aber bereits: Seit 2008 ist die Ölförderung in den USA stark gestiegen, auch unter der letzten Regierung von Joe Biden, die stets die Notwendigkeit einer Energiewende betonte. 2023 förderten die USA ein Drittel mehr als Saudi-Arabien, der zweitgrößte Produzent der Welt. 2024 vermeldeten die Energiebehörden neue Rekorde: über 13 Millionen Barrel pro Tag – ein Allzeithoch, viermal soviel wie noch vor 15 Jahren. Damit sind die USA wieder das, was sie über weite Strecken des 20. Jahrhunderts waren – der größte Ölstaat der Welt. In der Branche ist das Interesse, die Ölförderung weiter zu steigern, daher gar nicht so groß. Denn der Markt ist bereits überschwemmt mit Öl, und um den Ölpreis stabil zu halten, war den Ölkonzernen und ölfördernden Staaten immer daran gelegen, die Ölmenge künstlich knapp zu halten.
Denn auch global hat die Förderung fossiler Brennstoffe wie Öl, Kohle und Gas zugenommen und steht heute auf einem historischen Höchststand. Angesichts der Klimakrise läuft aber parallel noch eine andere Entwicklung: Auch die Erneuerbaren haben in den letzten Jahren Rekordwerte erreicht. Die internationale Agentur für Erneuerbare Energien, IRENA, vermeldete im März 2025 einen Zuwachs von fast 600 Gigawatt an Kapazitäten, 15 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Wie passen diese Entwicklungen zusammen? Zum einen ist der Umbau von Energiesystemen ein langwieriger Prozess, weil die nötige Infrastruktur für deren Nutzung nicht von heute auf morgen gebaut werden kann. Unterschätzt wird allerdings auch die Wechselwirkung von Energieträgern und bestimmten Produktionsweisen – und politischen Systemen.
Postkoloniale Abhängigkeiten
Zunächst gilt es, mit einem Mythos aufzuräumen, nämlich der Erzählung, dass sich verschiedene Energieträger im Laufe der Zeit ablösen, weil ein neuer »entdeckt« wird und den bisherigen ersetzt. Stattdessen sind neue Energieträger lediglich zu den bisherigen hinzugekommen, weil der Energie- und Ressourcenverbrauch stetig weiter angestiegen ist.
Als die Kohle im 19. Jahrhundert die Industrialisierung anheizte, hat sie Holz, bis dahin der wichtigsten Energieträger, nicht ersetzt. Im Gegenteil: Auch der Verbrauch an Holz liegt heute so hoch wie nie, für die Produktion von Gütern, Papier, zunehmend auch wieder zum Heizen. Auch Kohle wird heute in Rekordmengen genutzt, vor allem in vielen Ländern Asiens ist sie weiterhin die wichtigste Ressource für die Industrie- und Stromproduktion.
Es gilt, mit dem Mythos aufzuräumen, dass sich Energieträger im Laufe der Zeit ablösen.
Wichtigster Energieträger weltweit bleibt jedoch das Öl, das wie kein anderer Rohstoff die Geschichte des 20. Jahrhunderts geprägt hat – und das, obwohl seit mehr als hundert Jahren vor der Erschöpfung der Vorräte gewarnt wird.
Der Aufstieg des Öls ist im Grunde eine junge Geschichte. Zwar ist Öl seit der Antike bekannt und wurde in Babylonien, bei den Griech*innen und in China als Brennstoff, Heilmittel, als Straßenbelag oder im Bau genutzt. Allerdings nutzten die Menschen vor allem das Öl, das durch natürliche Prozesse an die Oberfläche trat.
Mitte des 19. Jahrhunderts begann mit ersten erfolgreichen Bohrungen in den USA und neuen chemischen Verfahren der Aufschwung des Öls. Ab Anfang des 20. Jahrhunderts gewann es an Bedeutung, als es für die Produktion von Treibstoffen für erste Autos, Lastwagen, Schiffe und für Militärfahrzeuge und -flugzeuge genutzt wurde. Die Verfügbarkeit von Öl wurde zu einer militärischen und politischen Frage.
Dass die Geschichte des Öls heute oft einseitig auf die gängige These des Ressourcenfluchs reduziert wird, hilft wenig, um sie zu verstehen. Demnach lasse die Verfügbarkeit einfach zu exportierender Ressourcen wie Öl Staaten zu schnell reich werden und allein auf Ressourcenexport setzen, statt sich tatsächlich zu »entwickeln« und durch harte Arbeit eine eigene Industrie aufzubauen.
Zudem würden sie dadurch zu Rentierstaaten, die ihre Bürger*innen durch Subventionen aus dem Export ruhig stellen, was einer autoritären Regierung Vorschub leiste.
Diese These allerdings folgt nicht nur einem klassisch westlichen Bild, was eine »richtige« Entwicklung bedeute. Sie unterschlägt auch, dass es vor allem (post-)koloniale Abhängigkeiten waren und sind, die dazu führten, dass viele Staaten des Südens in die Rolle von Rohstoffexporteuren gedrängt wurden – und dass oft die Staaten des Nordens selbst eben solche autoritären Regierungen gestützt oder gar an die Macht gebracht haben, aus wirtschaftlichen oder politischen Interessen.
Fossile Demokratie
Gerade für Linke interessanter sind hingegen eine Reihe neuerer Arbeiten und Debatten zur Verbindung von Öl und Politik, beginnend mit dem einflussreichen Buch »Carbon Democracy« von Timothy Mitchell.
Mitchell geht davon aus, dass erst die Verfügbarkeit von Öl die amerikanische Demokratie in der Form, wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte, ermöglichte: Die konzentrierte Energie des Öls, argumentiert Mitchell, sei die Grundlage gewesen für die Verbreitung der Idee unbegrenzten Wachstums. Das wiederum habe ein System geprägt, wonach die Bürger*innen etwas vom Wachstum abbekommen in Form von Massenkonsum und Individualverkehr.
Der Übergang von Kohle zu Öl, zeichnet Mitchell nach, wurde aber auch deshalb vorangetrieben, weil er den Einfluss der damals starken Arbeiter*innenbewegungen schwächte. Kohle ist ein arbeitsintensiver Rohstoff: Bei der Förderung unter Tage, beim Verladen, beim Transport auf Zug oder Schiff, selbst bei der Nutzung waren viele Arbeiter*innen nötig, die eng zusammenarbeiteten. Dies ermöglichte es ihnen, sich zu organisieren – und es machte Streiks höchst effektiv. Nicht ohne Grund war die gewerkschaftliche Organisierung unter Bergleuten, Hafenarbeiter*innen oder Eisenbahner*innen besonders stark. Sie besaßen eine mächtige Position in einem System, das auf Kohle beruhte. Wenn sie den Fluss der Energieversorgung unterbrachen, standen Fabriken, Züge, ganze Städte tatsächlich sehr schnell still.
Dies war beim Öl anders: Die Förderung benötigt nur wenige Arbeiter*innen, vor allem Geolog*innen und Ingenieur*innen. Sie arbeiten über Tage und sind einfacher zu kontrollieren. Und das flüssige, konzentrierte Öl kann über Pipelines geleitet werden, was das Verladen überflüssig macht. Autor*innen wie Henri Lefèvbre diskutierten schon in den 1970er Jahren, wie damit umgegangen werden könne, dass Streiks und gewerkschaftliche Organisation offensichtlich nicht mehr so erfolgreich seien wie zuvor. Der Übergang von der Kohle zum Öl ist dabei nicht der einzige Punkt, aber er bietet wichtige Anhaltspunkte, um nicht nur in die Vergangenheit zu schauen, sondern auch in die Zukunft.
Energiesysteme in Zusammenhang mit Arbeit und Organisierungsmöglichkeiten zu diskutieren, wirft neue Fragen in Hinblick auf neue oder alternative Energiesysteme auf: Wer arbeitet in der Produktion von etwa Solarzellen oder Windkraftanlagen, wer wartet und betreut sie, wer baut die Netze um? Wer kontrolliert und gestaltet die Digitalisierung, die für das Funktionieren dezentraler, überwiegend auf erneuerbaren Energien basierender Netze nötig ist, mit welchen Rohstoffen und durch wen werden Speichertechnologien hergestellt? Wie kann in der kleinteiligen und stark zersplitterten Branche der Erneuerbaren Organisierung überhaupt möglich sein – und kann sie vielleicht auch anders gestaltet werden als bisher?
Öl ist wirtschaftlich sehr viel lukrativer als erneuerbare Energien, sein wirklicher Nutzen ist jedoch politischer Natur, weil es den Herrschenden eine sehr direkte Kontrolle über die Energieversorgung erlaubt. Der Übergang zu erneuerbaren Energiesystemen ist daher nicht nur eine wirtschaftliche oder technische Herausforderung, sondern auch eine politische. Denn anders als häufig angenommen, ist für ein stabiles, auf erneuerbaren Energien beruhendes Energiesystem nicht weniger, sondern sehr viel mehr Koordination und eine stärkere Verflechtung von Räumen und Energieträgern nötig. Energiesysteme in ihrer Komplexität zu analysieren, hilft zu verstehen, wie eng unser wirtschaftliches und politisches System mit Öl verknüpft ist – und warum es so schwer ist, sich von ihm zu lösen.