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|Thema in ak 701: Anti-AfD

Nordic Walking

Die neuen Demonstrationen gegen den Rechtsruck wollen oft nur ein nettes Deutschland, egal wie rechts

Von Jacinta Nandi

Ein blauer Kothaufen mit zwei Augen wird von schwarzen Stöckern gekreuzt.
Für die meisten das Laufen mit den Stöckern auch nur ein Ausflug in die Sonne. Grafik: Melanie Nehls

Kommst du mit zur Demo morgen?«, schreibt mir eine  richtig normale, richtig nette deutsche Freundin. Ich antworte eine Weile nicht, später schreibe ich ihr: »Warum? Die AfD kommt sowieso an die Macht, die Demos sind sinnlos.«

»Das glaube ich nicht!«, schreibt sie sofort zurück. »Sag mal, bist du gerade depressiv? Die AfD kommt nicht an die Macht, und die Demos sind nicht sinnlos!« antwortet meine Freundin.

»Die Demos sind zu spät«, schreibe ich.

»Ich glaube überhaupt nicht, dass die AfD an die Macht kommt«, schreibt sie.

»Warum demonstrierst du dann?«, frage ich.

»Mir tut’s gut«, schreibt sie zurück, »an der frischen Luft mit Gleichgesinnten zu sein. Zu fühlen, dass ich nicht alleine bin. Abends könnten wir in die Kneipe gehen.«

Ihr wisst, wie gerne ich über meine Freundinnen in Kolumnen lästere, und ich habe nie ein schlechtes Gewissen, nie, zumindest nicht beim Schreiben. Danach, wenn sich jemand verletzt fühlt, kriege ich das schlechte Gewissen, aber nicht beim Schreiben. Bei dieser Freundin ist es anders. Bei ihr tut’s mir weh, über sie zu lästern, sie meint es gut. Ich glaube ihr das, dass es ihr gut tut, an der frischen Luft zu sein, unter Gleichgesinnten. Mir würde es auch gut tun, wahrscheinlich. Nur: Ich könnte genauso gut Mitglied in einem Nordic-Walking-Verein werden.

Ich verstehe ja, dass demonstrieren Spaß macht. Man darf in der Mitte der Straße laufen, trifft immer Menschen, die man von früher kennt, und die Leute haben lustige Plakate. Ich war als Kind in Großbritannien fast jede Woche auf einer Demonstration – für die Bergwerke, gegen Atomkraft, gegen den Golfkrieg, manchmal einfach nur generell gegen Margaret Thatcher, weil die ganz böse war. Wir waren 1990 dabei als die Demonstration gegen die Poll Tax (eine von Thatcher eingeführte Kopfsteuer) in London sich in einen Krawall verwandelte.

Für unsere Eltern, meine kleine Schwester und mich war es die zweite Demo an diesem Tag. Wir haben uns in einem Sandwichladen hinter der Theke versteckt. Ich war in meinen 20ern bei der Demonstration gegen den Irakkrieg vor dem Springerhaus (ich war schockiert, als die Demonstrierenden riefen »Ihr seid grün, ihr seid Scheiß, ihr seid Deutschlands Superscheiß«, damals war die Berliner Bullenuniform grün und sie sahen wie süße, kleine Gärtner aus), ich war in meinen 30ern bei den Slut Walks und Anti-Trump-Demos dabei und später bei Unteilbar. Ich denke übrigens, dass Alleinerziehende kein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn sie Demos aus Faulheit oder Überforderung – oder vielleicht nur wegen eines Kindergeburtstags – schwänzen. Aber ich weiß auch, wie viel Spaß es macht, in der Mitte der Straße laufen zu dürfen, und der Welt zu zeigen, dass du nicht die einzige bist, die so denkt.

Die Menschen, die jetzt demonstrieren, finden die AfD peinlich. Es geht um das Selbstbild, was man hat, von sich als Land.

Und fast alle Demonstrationen, auf denen ich je gewesen bin, waren sinnlos. Die Bergwerke wurden geschlossen und die Kriege geführt. Nur die Poll Tax ist abgeschafft worden, aber das war nicht wirklich wegen der Krawalle, sondern weil die Leute sie einfach nicht bezahlt haben. Alle Demonstrationen sind ein bisschen sinnlos.

Jedoch erscheinen mir die Anti-AfD-Demos am sinnlostesten von allen, nahezu unerhört in ihrer unverschämten Sinnlosigkeit. Die Menschen, die jetzt demonstrieren, finden die AfD peinlich. Es geht um das Selbstbild, was man hat, von sich als Land. Dieses Selbstbild ist hierzulande gerade ein bisschen zerstört worden.

Denn was ist der Unterschied zwischen der AfD und den Durchschnittsdeutschen? Die AfD ist ohne Frage eine rechte Partei, also eine Partei, die Ansichten hat, die rechts sind: was Abtreibung betrifft, was Frauen betrifft, was das Ausländerrecht betrifft. Die Menschen, die davor Angst haben, die AfD Nazis zu nennen, sind Menschen, die immer stolz betonen, dass Tomaten eigentlich Obst sind, oder der Islam eine Religion und Muslime zu hassen deshalb kein Rassismus wäre.

In meinen Augen ist der große Unterschied zwischen der AfD und dem Mainstream in Deutschland die Einstellung zur Demokratie und der Stolz der AfD darauf, dass sie rechts sind. Das sind die einzigen Unterschiede. Die AfD tut nicht so, als ob sie die Demokratie mag, und sie tut auch nicht so, dass sie anders ist als Nazis.

Und das ist das, wofür das moderne Deutschland steht: Wir sind keine Nazis mehr. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Abtreibung ist bei uns zwar eine Straftat, Frauen und Mütter leben bei uns in Armut, Migrant*innen bekommen keine Wohnungen und werden dezent abgeschoben – aber wir sind keine Nazis mehr. Deswegen gehen wir mit Olaf Scholz auf die Straße, um dafür zu kämpfen, dass man »nett« abschiebt – das heißt, ohne hinzuschauen.  Aber das machen wir alles nur demokratisch, denn wir sind keine Nazis.

»Wir müssen endlich im großen Stil abschieben, diejenigen, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben«, sagte Olaf Scholz. Dafür steht die SPD, die demokratischen Parteien, die deutsche Demokratie: mit Stil abschieben. Dafür demonstriert man, wenn man gegen die AfD demonstriert: dafür, dass Deutschland wieder nett wird.

Als ich für Arbeitslose Englisch unterrichtete, hatte ich eine nette Schülerin aus Ost-Berlin, sie war richtig hübsch, mit großen dunklen Augen und trug immer viel Mascara. Das war 2008. Als Hausaufgabe sollte sie einen Essay über Istanbul schreiben.

»Ich habe es nicht gemacht«, sagte sie.  »Die Türken, die hier leben, interessieren sich nicht für Deutschland, warum soll ich mich für die Türkei interessieren?«

Ich war ein bisschen überrascht, dass sie dachte, eine Rassistin zu sein, wäre eine gute Ausrede, die Hausaufgaben nicht gemacht zu haben, vor allem wenn deine Lehrerin selbst einen indischen Elternteil hat. Aber ich war nicht wütend. Ich habe ganz höflich gesagt: »Ich finde es eine Verschwendung von Geld, dass das Jobcenter für dich diesen Unterricht bezahlt. Es ist sinnlos, denn egal wie gut dein Englisch wird, werden Menschen in Europa denken, dass du eine Rassistin bist. Deswegen ist deine Aussprache und deine Grammatik eigentlich egal.«

Ich fand nicht schlimm, was ich sagte. Sie fing an zu weinen. Sie heulte die ganzen 60 Minuten lang. Ich weigerte mich, mich bei ihr zu entschuldigen, ich war nicht wütend – ich sagte nur die Wahrheit, Mann.

Und die andere Schüler*innen im Unterricht:

»Du verstehst es nicht, Jacinta.«

»Du verstehst nicht, wie schlimm das ist, in Deutschland Rassistin genannt zu werden.«

»Unsere deutsche Geschichte…«

»Unsere Geschichte ist so kompliziert….«

»Das Schlimmste, was man Deutschen sagen kann, ist, dass sie Rassisten sind.«

Ich dachte heimlich: Eure Geschichte ist gar nicht so kompliziert, es ist eigentlich sehr einfach. Ihr wart Nazis, und ihr seid es immer noch, und ihr seid traurig, wenn jemand es erwähnt.

Dass die AfD an die Macht kommt, das ist nicht mehr sehr unwahrscheinlich, es ist aber unnötig. Die anderen Parteien, die auf diesen Demonstrationen gerne gesehen sind – sie symbolisieren übrigens alles, was an Deutschland gut ist, die Demokratie –, werden jeden Tag rechter. Nicht peinlich, laut, aggressiv und plump wie die AfD, aber diskret und nett, dafür demonstriert man, wenn man bei den Demos mitläuft, es ist ein Nordic-Walking-Verein, kein Jäger-Club. Wir sind nett, wir sind süß, wir haben lustige Sprüche auf unseren Plakaten, wir haben kein schlechtes Gewissen, wir lieben Deutschland, wir lieben die Demokratie, wir sind die Guten.

Ich glaube euch das alles – aber vergebt mir, wenn ich nicht mitgehen kann.

Jacinta Nandi

ist Autorin und lebt in Berlin, außerhalb des S-Bahn-Rings. Ihr letztes Buch heißt »50 Ways to Leave Your Ehemann« – ein Manifest, das alle Frauen in Deutschland ermutigen soll, ihre faulen Ehemänner zu verlassen (mehr oder weniger).

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